Dieser »Lohengrin« war von vornherein als Event
verpackt. Mit einer Live-Übertragung auf den Max-Josefs-Platz vor der
Münchner Oper, wo 14 000 Wagner-Fans, trotz Regen, die Chance auf einen
Gratis-Stehplatz nutzten. Mit einer Übertragung auf den Rathausplatz nach
Wien, wo der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler bis eben auch Direktor
des Burgtheaters war. Mit Promis im Münchner Publikum, darunter der
Bundespräsident. Und auf der Bühne mit den sehnsüchtig erwarteten
»Lohengrin«-Debüts von Jonas Kaufmann in der Titelrolle und Anja Harteros
als Elsa. Kaufmann überzeugte denn auch auf ganzer Linie. Harteros aber
überwältigte – mit einer betörend lupenreinen, mühelos sicher aufleuchtenden
Glanzleistung. Überhaupt hatte München eine exzellente Besetzung zu bieten:
von Michaela Schusters Ortrud über den Telramund von Wolfgang Koch bis hin
zum Heerrufer Evgeny Nikitin.
Am Ende gab es das bei einer ambitionierten Wagner-Inszenierung offenbar
unvermeidliche Buh-Konzert fürs Regieteam um Richard Jones. Der Brite
verweigerte nämlich konsequent die Romantik und auch das Spiel mit ihren
Versatzstücken. Dabei gab es sogar einen »richtigen« Schwan, den Lohengrin
zwei Mal, fürsorglich wie einen Verletzten, über die Bühne trug. Jones
unterliefen indes auch manche Ungereimtheiten in seinem Bühnen-Brabant, das
mehr nach einem stilisierten Bayern aussah. Vielleicht fiel auch deshalb die
Ablehnung so heftig und einhellig aus.
Bei der Bühnenoptik von Ausstatter Ultz hätte man eher auf das Sponsoring
eines Bauunternehmens als das einer Automarke getippt. Denn in diesem
seltsam gegenwärtigen, doch auch vergangenheitskontaminierten Brabant
vermasselt eine selbstbewusst in Arbeitslatzhose mit Steinen durch die Szene
stiefelnde junge Frau den spießigen Mitbewohnern ihren Aufmarsch vor dem
König, der hier eher nach Landrat aussieht. Schon im Vorspiel sah man diese
Frau von hinten an einem Reißbrett mit den Plänen für ihr Traumhaus –, zu
dem ihr da noch der Traummann fehlt. Vielleicht kompensiert sie auch nur den
Verlust des Bruders, dessen Porträt unter dem Vermerk »Vermisst« schon am
Eingang verteilt wurde.
Doch die Idylle und ihre Freiräume fürs individuelle, »richtige« Leben im
falschen sind trügerisch. Man ahnt es, wenn man die zu Bildschirmen
umfunktionierten Lautsprecher in der Höhe sieht, über die der Heerrufer
alles Offizielle verkündet. Dahinter lauert ebenso Orwells Big Brother, wie
hinter den braunen Uniformen der Truppe des Königs deren unselige Vorbilder
lauern. Die energisch vorgetragene Anschuldigung Telramunds, dass Elsa für
das Verschwinden ihres Bruders verantwortlich sei, genügt für eine
Lynchstimmung im Volk. Dass besonders die Chöre im »Lohengrin« von einem
furchterregenden Opportunismus geprägt sind, das jedenfalls wird hier ebenso
klar, wie Ortruds und Telramunds Rolle als systemtragende Politiker.
Wenn dann aber Lohengrin, offenbar Elsas Traumtyp, in Designer-Jogginghose
und Silberschuhen auftaucht, mit einer veritablen Fechtnummer Telramund
ausschaltet, sich obendrein wie einst Peter der Große in eine
Zimmermannskluft wirft und einen wuselnden Bauboom en miniature auslöst,
dann ist er zwar Star und Trendsetter –, zum Kriegshelden aber taugt der
Mann nicht.
Man könnte einwenden, dass die Übersetzung durchschimmernder Romantik in
Alltagsbanalität mit doppeltem Boden der Geschichte einen Teil ihres Zaubers
nimmt. Aber die Tragik des Helden bekommt Raum zur Entfaltung. Selten sind
sich Lohengrin und Elsa so zärtlich nahegekommen wie hier. Das liegt auch am
gestalterischen Charisma von Jonas Kaufmann, der aus dem Strahlemann eine
tieftraurige Figur macht. Dadurch bekommt vor allem die Gralserzählung eine
neue Dimension. Bei Kaufmanns geradezu abenteuerlichen Piani stockt einem
der Atem und man ahnt, dass mit dem ganzen Gralszauber irgendetwas nicht
stimmen kann.
Hier lieferte auch Kent Nagano mit dem Orchester jene Spannung zum
romantischen Sound, die ihm sonst nicht immer gelang. Diese durch die
Hintertür zelebrierte Romantik bricht Jones freilich gründlich. Voller
Verzweiflung steckt Lohengrin seinen geplatzten Traum vom Glück im eigenen
Heim in Brand. Der zarte Junge, den er den Brabantern als neuen Führer aus
dem Schwan zaubert, kann nichts mehr retten. Wenn die sich zum letzten »Weh«
allesamt eine Pistole in den Mund stecken, dann zieht sich Richard Jones mit
einer der radikalsten denkbaren Pointen aus der Lohengrin-Affäre. |