Neues Deutschland, 8.7.2009
Von Roberto Becker
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Am Reißbrett entworfene Träume
 
In Richard Jones Münchner »Lohengrin«-Inszenierung überzeugen vor allem die Solisten

Dieser »Lohengrin« war von vornherein als Event verpackt. Mit einer Live-Übertragung auf den Max-Josefs-Platz vor der Münchner Oper, wo 14 000 Wagner-Fans, trotz Regen, die Chance auf einen Gratis-Stehplatz nutzten. Mit einer Übertragung auf den Rathausplatz nach Wien, wo der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler bis eben auch Direktor des Burgtheaters war. Mit Promis im Münchner Publikum, darunter der Bundespräsident. Und auf der Bühne mit den sehnsüchtig erwarteten »Lohengrin«-Debüts von Jonas Kaufmann in der Titelrolle und Anja Harteros als Elsa. Kaufmann überzeugte denn auch auf ganzer Linie. Harteros aber überwältigte – mit einer betörend lupenreinen, mühelos sicher aufleuchtenden Glanzleistung. Überhaupt hatte München eine exzellente Besetzung zu bieten: von Michaela Schusters Ortrud über den Telramund von Wolfgang Koch bis hin zum Heerrufer Evgeny Nikitin.

Am Ende gab es das bei einer ambitionierten Wagner-Inszenierung offenbar unvermeidliche Buh-Konzert fürs Regieteam um Richard Jones. Der Brite verweigerte nämlich konsequent die Romantik und auch das Spiel mit ihren Versatzstücken. Dabei gab es sogar einen »richtigen« Schwan, den Lohengrin zwei Mal, fürsorglich wie einen Verletzten, über die Bühne trug. Jones unterliefen indes auch manche Ungereimtheiten in seinem Bühnen-Brabant, das mehr nach einem stilisierten Bayern aussah. Vielleicht fiel auch deshalb die Ablehnung so heftig und einhellig aus.

Bei der Bühnenoptik von Ausstatter Ultz hätte man eher auf das Sponsoring eines Bauunternehmens als das einer Automarke getippt. Denn in diesem seltsam gegenwärtigen, doch auch vergangenheitskontaminierten Brabant vermasselt eine selbstbewusst in Arbeitslatzhose mit Steinen durch die Szene stiefelnde junge Frau den spießigen Mitbewohnern ihren Aufmarsch vor dem König, der hier eher nach Landrat aussieht. Schon im Vorspiel sah man diese Frau von hinten an einem Reißbrett mit den Plänen für ihr Traumhaus –, zu dem ihr da noch der Traummann fehlt. Vielleicht kompensiert sie auch nur den Verlust des Bruders, dessen Porträt unter dem Vermerk »Vermisst« schon am Eingang verteilt wurde.

Doch die Idylle und ihre Freiräume fürs individuelle, »richtige« Leben im falschen sind trügerisch. Man ahnt es, wenn man die zu Bildschirmen umfunktionierten Lautsprecher in der Höhe sieht, über die der Heerrufer alles Offizielle verkündet. Dahinter lauert ebenso Orwells Big Brother, wie hinter den braunen Uniformen der Truppe des Königs deren unselige Vorbilder lauern. Die energisch vorgetragene Anschuldigung Telramunds, dass Elsa für das Verschwinden ihres Bruders verantwortlich sei, genügt für eine Lynchstimmung im Volk. Dass besonders die Chöre im »Lohengrin« von einem furchterregenden Opportunismus geprägt sind, das jedenfalls wird hier ebenso klar, wie Ortruds und Telramunds Rolle als systemtragende Politiker.

Wenn dann aber Lohengrin, offenbar Elsas Traumtyp, in Designer-Jogginghose und Silberschuhen auftaucht, mit einer veritablen Fechtnummer Telramund ausschaltet, sich obendrein wie einst Peter der Große in eine Zimmermannskluft wirft und einen wuselnden Bauboom en miniature auslöst, dann ist er zwar Star und Trendsetter –, zum Kriegshelden aber taugt der Mann nicht.

Man könnte einwenden, dass die Übersetzung durchschimmernder Romantik in Alltagsbanalität mit doppeltem Boden der Geschichte einen Teil ihres Zaubers nimmt. Aber die Tragik des Helden bekommt Raum zur Entfaltung. Selten sind sich Lohengrin und Elsa so zärtlich nahegekommen wie hier. Das liegt auch am gestalterischen Charisma von Jonas Kaufmann, der aus dem Strahlemann eine tieftraurige Figur macht. Dadurch bekommt vor allem die Gralserzählung eine neue Dimension. Bei Kaufmanns geradezu abenteuerlichen Piani stockt einem der Atem und man ahnt, dass mit dem ganzen Gralszauber irgendetwas nicht stimmen kann.

Hier lieferte auch Kent Nagano mit dem Orchester jene Spannung zum romantischen Sound, die ihm sonst nicht immer gelang. Diese durch die Hintertür zelebrierte Romantik bricht Jones freilich gründlich. Voller Verzweiflung steckt Lohengrin seinen geplatzten Traum vom Glück im eigenen Heim in Brand. Der zarte Junge, den er den Brabantern als neuen Führer aus dem Schwan zaubert, kann nichts mehr retten. Wenn die sich zum letzten »Weh« allesamt eine Pistole in den Mund stecken, dann zieht sich Richard Jones mit einer der radikalsten denkbaren Pointen aus der Lohengrin-Affäre.






 
 
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