"Lohengrin ist die Lieblingsoper aller gefühlvollen
Damen", behauptete einst, 1894, Eduard Hanslick. Das ist boshaft, aber nicht
ganz falsch. Mit der Tiefe und Mehrdeutigkeit der späteren Figuren, sagen
wir im 'Tristan' oder in den 'Meistersingern', können es Elsa, Lohengrin,
Telramund und Ortrud nicht so recht aufnehmen. So lebt diese Oper vielleicht
mehr als alle anderen Werke Wagners vom Märchenhaft-Romantischen, in das die
mittelalterliche Geschichte einer gescheiterten Mahrtenehe eingekleidet ist.
Dabei sollte man aber nicht vergessen, daß auch der junge Thomas Mann gerade
diese Oper sehr liebte. Gewiss ist das kein Zufall. Schließlich geht, die
Sehnsucht nach den "Wonnen der Gewöhnlichkeit" im Herzen, Lohengrin ein
wenig wie Tonio Kröger gewissermaßen als Fürst in zivil unter die Menge,
wird von der aber doch gleich als etwas Besonderes, nicht zu ihr Gehöriges
erkannt. Anders gesagt: 'Lohengrin' als Tragödie des Genies.
Elsa und Lohengrin auf der Baustelle
Gefühlvolle Damen werden nun am neuen Münchner 'Lohengrin' wenig Freude
haben: Vom Zaubervollen und Übersinnlichen, Wunderbaren und Dunklen bleibt
in Richard Jones' Inszenierung nämlich rein gar nichts übrig. Das spricht
zunächst einmal nicht gegen seine Arbeit. Aber auch nicht für sie. Es ist
noch kein Verdienst, ein Stück entzaubert und dekonstruiert zu haben. Wer
dem 'Lohengrin' all das nimmt, wofür gefühlvolle Damen ihn lieben, der
sollte schon etwas Überzeugendes an diese Stelle setzen können. Sonst könnte
es öde werden. Was hat Richard Jones also zu Wagners Oper zu sagen? Was ist
sein Konzept?
Der Beginn vermag durchaus Interesse zu erwecken: Von der Klage, die Graf
Telramund wider sie erhebt, bleibt Elsa völlig unberührt. Diese Frau hat
eine Vision, an die sie unerschütterlich fest glaubt. Wie Anja Harteros die
Kindlichkeit Elsas gestaltet, die sich einerseits in einer so ruhigen
Sicherheit, in einem so festen Glauben an ihren "Retter" äußert und die
andererseits auch wiederum dazu führt, dass sie sich so unbedingt und blind
ihrem "Heil", ihrem "Schirm" und "Erlöser" hingibt, das ist durchaus
einleuchtend und zeugt vor allem von der darstellerischen Kunst dieser
großartigen Sängerin. Zudem passt ihre nicht zu schwere, aber sehr kräftige
und klare Stimme exzellent zu dieser Figur. Dieser Einstieg ist zwar nicht
in jedem Punkt einleuchtend, aber durchaus vielversprechend. Daraus könnte
sich etwas entwickeln.
Leider ist damit gleich zu Beginn das Überzeugendste, was dieser Abend zu
bieten hat, auch schon vorbei, - wohingegen die Oper noch vier Stunden lang
dauert. Richard Jones zeigt Elsa und Lohengrin nun als Handwerker, die auf
einer Baustelle alle Hände voll zu tun haben. Dabei werden sie von ein paar
handwerklich begabten Statisten unterstützt, die fleißig Zement anrühren,
Bretter hobeln und Ziegel schleppen, indes der Chor untätig herumsteht.
Gekonnte Personenführung sieht anders aus. Was aber wird dort mühevoll
gebaut? Ein Schloß? Eine neue Burg für Brabant? Das bleibt lange unklar. Da
Elsa von Beginn an unbeirrt an diesem Bau arbeitet, für den schon während
des Vorspiels auf offener Bühne am Reißbrett Pläne entworfen worden sind,
müßte es sich, so meint man, doch um etwas Bedeutsames, Gewichtiges,
Symbolisches handeln. Von Akt zu Akt wächst der Bau auf der Bühne in die
Höhe - bis am Ende des zweiten Aufzugs endlich Richtfest gefeiert werden
kann. Entstanden ist ein hübsches Einfamilienhaus samt Balkon und Terrasse.
Elsa und Lohengrin möchten darin künftig ihr kleines, bürgerliches,
kleinbürgerliches Leben führen. Eine Vision, die im Bürgerlichen endet,
vielleicht dann auch am Bürgerlichen scheitert, - so ließe sich das dürftige
Konzept der Inszenierung vielleicht umreißen. Sie scheitert schon daran, daß
die Figur des Lohengrin allzu gut in diese Welt paßt. Kaum dass er Telramund
im Kampf besiegt hat, greift er auch schon zur Maurerkelle. Was soll in
dieser profanen Welt denn aber zum Beispiel das Frageverbot bedeuten? Das
müsste doch gedeutet werden, wenn es nicht mehr durch seine mythische
Abkunft als Märchenmotiv legitimiert ist.
Was außergewöhnlich sein soll an diesem Zimmermann-Lohengrin, ist nicht
ersichtlich. Schon Lohengrins Epiphanie - aber man mag das Wort hier gar
nicht gebrauchen - ist bar jeden Zaubers. Unsinnlicher kann man diese Szene
kaum bieten: In einer Art Teichoskopie berichten Chor und Solisten von
seiner Ankuft, indem sie gebannt in den Zuschauerraum starren, wo sich aber
genauso wenig ereignet wie auf der Bühne. Kein Lichtspiel, kein Glanz, kein
Nachen, nichts. Endlich kommt, den Schwan auf dem Arm, Lohengrin im blauen
T-Shirt von rechts auf die Bühne. Lustig ist das leider nicht, sondern nur
läppisch. Immerhin trägt er silbere Turnschuhe, und seine grauen Hosen
weisen zwei silbere Streifen auf; mehr an ritterlichem Glanz wird ihm nicht
zugestanden. Dieser Figur fehlt jede Fallhöhe. Den Zimmermann glaubt man
Jonas Kaufmann sofort, den Gralsritter keinen Augenblick. Kaufmann ist ein
guter, solider Lohengrin, aber den enormen Erwartungen, die eine rege
Musikindustrie geschäftstüchtig zu wecken weiß, kann er kaum gerecht werden
- weder darstellerisch, noch stimmlich. Im Spiel kommt er über ein paar eher
nichtssagende Gesten kaum hinaus und schüttelt nur immer wieder mal sanft,
mal heftig den Kopf, um Elsas Frage abzuwehren. Die Gralserzählung gelingt
ihm hingegen eindringlich: Es sind die leisen, zarten Töne, die für ihn
einnehmen, - und dann natürlich die dramatischen Spitzen am Ende, über die
er souverän verfügt. Gerade diese dramatischen Höhen meistert er großartig!
Hat er hingegen etwas in mittlerer Tonlage zu singen, klingt seine Stimme
oft merkwürdig angestrengt, unschön gaumig und belegt. Das überrascht bei
seiner eher baritonal timbrierten Stimme.
Der Gral, die alten Götter und die Baustelle
Was alle diese Märchen- und Zaubermotive (Gral, Frageverbot, heidnische
Götter) in der so entsetzlich banalen, kleinbürgerlichen Welt bedeuten
sollen, darauf bleibt Jones die Antwort schuldig. So ist völlig unklar, was
oder wer denn mit den alten Göttern gemeint sein könnte, die Ortrud
verschiedentlich anruft. Das ganze düstre Pathos dieses Handlungsstranges
nimmt sich albern aus vor dieser Kulisse. Daß Ortrud ein "fürchterliches
Weib" ist - darüber sind sich sogar Lohengrin und Telramund einig! -, kommt
in keiner Szene auch nur andeutungsweise zur Geltung. In ihrem mausgrauen
Kostüm und mit ihrer blonen Perrücke ist Michaela Schuster wie eine
beliebige Büroangestellte gekleidet. Sicher, auch Geschäftsfrauen können
fürchterliche Weiber sein. Was aber diese Bürokauffrau mit Wotan und Erda zu
schaffen haben soll und worüber sie sich eigentlich dauernd so hysterisch
aufregt, das wird nirgends plausibel gemacht. Das Düstere, Abgründige und
Verletzte bleibt völlig unbegründet. Leider verfügt Michaela Schuster auch
nicht ganz über die stimmlichen Mittel, um diese Figur in ihrer tückischen
Wandlungsfähigkeit zu gestalten. Egal, ob sie mit Telramund streitet, ob sie
sich bei Elsa heuchlerisch einschleicht oder voll Ingrimm der Rache Werk
beschwört: Bei Michaela Schuster klingt das oft ähnlich. Ihr fehlt der
differenzierte Ausdruck. Blässlich bleibt auch der König Heinrich des
Christof Fischesser, der mit den Höhen seiner Partie gelegentlich zu kämpfen
hat und manchmal arg forcieren muss, um das freilich extrem laute Orchester
zu übertönen. Stimmgewaltiger ist sein Heerrufer Evgeny Nikitin. Und
Wolfgang Koch, der in München schon als Bussonis 'Doktor Faust' überzeugte,
ist ein erstklassiger Telramund, der nicht zuletzt mit seiner sprechenden,
den Text ausleuchtenden, oft fast rezitativischen Deklamation begeistert.
Aber obwohl das musikalische Niveau durchweg so beachtlich ist, berührt
diese Aufführung überhaupt nicht, weil Richard Jones kaum ein Bild findet,
das unmittelbar suggestive Kraft entfaltet. Das liegt auch an der
Ausstattung von Ultz, in dem sich kein stimmungsvoller Moment und keine
Intimität herstellen kann (am ehesten noch in der Szene zwischen Elsa und
Lohengrin im dritten Aufzug). Alle Moden und Marotten, die man während der
letzten Jahre auf Opernbühnen ertragen mußte, sind hier versammelt: Da gibt
es die Jogginghose, den dunklen Anzug und das graue Business-Kostüm genauso
wie ein paar Nazi-Anklänge und den Mief der 50er Jahre. Das wirkt so
abgestanden wie der Einfall, die Ansagen des Heerrufers und die Trauung von
Elsa und Lohengrin - natürlich nicht im Münster, sondern direkt auf der
Baustelle vollzogen - per Kamera festzuhalten und live auf zwei runden
Leinwänden zu zeigen. Wenn es gerade nichts zu senden gibt, weist mal ein
dort abgebildeter Hahn darauf hin, daß es nun tagt, mal eine Eule, daß es
jetzt Nacht sei. Informationen, auf die der unkundige Opernbesucher im öden
Einerlei dieser Kulisse tatsächlich angewiesen ist.
Daß man so wenig angerührt wird von dieser Aufführung, hat ein wenig aber
auch mit Kent Naganos Dirigat zu tun. Technisch ist das Bayerische
Staatsorchester wie auch der Chor brillant. Es ist schon beeindruckend, mit
welcher Präzision und Wucht hier musiziert wurde. Aber der Herr im
Zuschauerraum hatte mit seinem Zwischenruf vor Beginn des dritten Aufzugs
nicht ganz unrecht: "Viel zu laut!" In der Tat: Nur selten erlebt man so
laute Opernaufführungen! Ein wenig Zurückhaltung wäre wünschenswert - und
ein wenig mehr an dunklem Zauber, an Schmelz und Innigkeit wohl auch. Aber
das ist natürlich Geschmackssache. Wie Nagano den 'Lohengrin' interpretiert,
passt zu dem, was auf der Bühne geschieht, und entspricht der
Entromantisierung, die Jones so eifrig wie unbeholfen betreibt.
An Ende gab es viel Applaus und Bravo-Rufe für die Musik - und donnerde Buhs
für das Regie-Team. Zu recht. Denn Richard Jones hat dieser Oper alles
Naiv-Märchenhafte genommen, ohne die dadurch entstandenen Leerstellen durch
eine kohärente Deutung schließen zu können. So entsteht maximal großer
Schaden. Und dagegen kann man sich gar nicht laut genug zur Wehr setzen! |