Das Münchner Nationaltheater ist eine Baustelle: Elsa
von Brabant träumt von einem Eigenheim, der Schwanenritter muss dafür
schuften. Musikalisch aber war die "Lohengrin"-Premiere festspielreif.
Bundespräsident Horst Köhler und Gattin kamen auf dem roten Teppich die
Stufen hoch zum Nationaltheater, sie fanden mit Ehrenkarte einen Platz in
der Königsloge, hörten sich aber demokratisch gelassen die martialischen
Heerrufe des "Lohengrin" an: "Für deutsches Land das deutsche Schwert!/So
sei des Reiches Kraft bewährt!" Drunten im Parkett wiederum bezahlten
Opernfestspielgänger im Smoking oder im tief dekolletierten Abendkleid bis
zu 243 Euro für das Ticket. Aber draußen, auf dem Max-Joseph-Platz, breitete
das gut eingezäunte Volk die Decken aus und erlebte die Premiere als
Direktübertragung kostenlos.
"Freude unter freiem Himmel": Das an der Residenz aufgezogene Werbeplakat
des Sponsors BMW meinte zwar Cabrios und war um ein Mehrfaches größer als
die Videoleinwand, aber bitte: "Oper für alle" war angesagt. Schöne Sache.
Fast alle im Publikum waren sich am Ende auch im Urteil über die
Inszenierung einig. Sie straften Regisseurs Richard Jones und Bühnenbildner
Ultz mit Buhs ab.
Was war passiert? "Frag nicht!", stand auf Bannern am Säulenportal des
Nationaltheaters. Trotzdem ein Erklärungsversuch. Von "höchster,
überirdischer Liebessehnsucht" handelt also der "Lohengrin", denn die reale
Welt ist von "Hass und Hader" durchzogen und von einer Gesellschaft
bestimmt, die gefangen ist von der "öden Sorge für Gewinn und Besitz" -
Wagner war ja 1848, als er diese romantische Oper vollendete, noch
Revolutionär. Das alles fokussiert sich in Elsa, die vom machtgeilen
Telramund des Mordes an ihrem Bruder Gottfried beschuldigt wird: Wer
streitet und kämpft für sie, wer rettet auch gleich noch das Vaterland?
Lohengrin soll es richten, als Heilsbringer, Wundermann. In Jones
Inszenierung aber träumt Elsa von einem Eigenheim und Familie, und Lohengrin
kommt im hellblauen T-Shirt daher, trägt einen Schwan im Arm wie ein
Haustier.
Hellblau? "Im hellsten Lichte des blauen Himmelsäthers" sah Wagner seine
Gralsmusik. Kent Nagano und das ausgezeichnete Bayerischen Staatsorchester
musizierten auch herrlich weich, farbflirrend. Der Dirigent baute überhaupt
Wagners Klanggebäude sorgsam, unpathetisch, aber wirkungsvoll auf
(allerdings mit leichter Tendenz zum Lauten).
Elsa skizziert schon während des Vorspiels am Reißbrett ihre Unterkunft fürs
Leben, dann schleppt sie im Hosenanzug Steine. Da wächst was, Akt für Akt:
ein Haus fürs Kleinbürgerglück. Lohengrin ist nicht nur Gottgesandter,
sondern besitzt womöglich auch einen Bausparvertrag, auf jeden Fall
handwerkliches Geschick. Er ist fleißig, streicht Wände, in
Zimmermannstracht schleppt er Elsa zum Standesamt. Aber zwischendrin muss er
einige Schwertergefechte austragen.
Regisseur Jones selber werkelt herum: verkleinert jeden Mythos, errichtet
einen imaginären Schutzzaun vor möglichem Heilsgeklingel. Wagner-Parodie
gehört auch zum Materialbestand: Im Vorgarten wird der Wahnfried-Spruch
"Hier wo mein Wähnen Frieden fand" eingepflanzt. Lohengrin ist ein
Anti-Held. Aber wenn Elsa das Frageverbot missachtet, den Zauber der Liebe
zerstört, zündet Lohengrin das Haus samt Mobiliar (vor allem auch eine
Kinderwiege) an. Und nach des Ritters Abgang gibt sich der großartige Chor
den Revolver.
Das alles ist keine große Aussage, aber auch kein spektakulär böser Anschlag
auf die Opernvorlage: Im konservativen München wird eben bereits die
Höchststrafe eines Buh-Sturms verhängt, wenn der "Lohengrin" nicht im
Mittelalterdekor zu sehen ist. Auf Ultz poppig-heimeliger Häuslebauer-Bühne
aber wird großartig gesungen: allen voran Anja Harteros als Elsa,
dramatische Kraft, eingebunden in jugendlichen Wohllaut. In aller
Zerrissenheit, brutal und verzweifelt gibt Wolfgang Koch den Telramund;
Michaela Schuster ist als Ortrud die Rivalin mit durchschlagender, aber nie
überscharfer Stimme.
Und der neue Superstar Jonas Kaufmann? Ein Lohengrin mit Kraft und
italienischem Schmelz, der überraschend die Gralserzählung nicht zur großen
Nummer machte, sondern im Piano gestaltete - was dann, antiheldisch, zur
Inszenierung passte, die Kaufmann ansonsten nicht gerade ins Licht rückt.
Festspielreif, dieses Sängerpersonal. Jubel: drinnen und draußen. |