NZZ, 08.07.2009
Marco Frei
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Das Schweigen danach
 
Wagners «Lohengrin» bei den Münchner Opernfestspielen
Manchmal müsse man alles einreissen, damit Neues entstehen könne – so ein Lieblingssatz von Nikolaus Bachler. Als Intendant der Bayerischen Staatsoper hat Bachler viel eingerissen, substanziell Neues ist aber bisher kaum entstanden. Zumindest auf dem Feld der Regie, obwohl er bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr gerade hier eine Erneuerung angekündigt hatte. Doch wie schon zuvor werden gerne Regisseure eingeladen, die vom Schauspiel oder vom Film kommen und allzu häufig nicht inszenieren, sondern bebildern.

Biedere Sehnsucht

Das war auch bei Richard Wagners «Lohengrin» der Fall, der bei den Münchner Opernfestspielen unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano Premiere hatte. Dabei hatte der Regisseur Richard Jones zuvor erklärt, dass er Wagner-Opern im Allgemeinen und «Lohengrin» im Speziellen als «Meditationen über das Scheitern» auffasse. Er arbeite nach der Stanislawski-Methode, wonach die Hintergründe von Biografien und Geschichten durchleuchtet würden. Konkretisiert hat sich dieser Ansatz in einem Haus, das sich Elsa und der Gralsritter Lohengrin bauen.
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In dem trauten Heim, das die bieder-bürgerliche Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit und zweisamem Vertrauen spiegelt, bricht die heile Scheinwelt zusammen. Elsa stellt Lohengrin die verbotene Frage nach seiner Herkunft, prompt lodern die Flammen: Lohengrin zündet Bett und Wiege an, bald kauert er vor einem pechschwarzen Vorhang – und schweigt. Denn er hat es nicht vermocht, in Elsa Vertrauen zu wecken. Er ist gescheitert, und mit ihm Elsa und alle übrigen. Kaum ist der mystische Volkserlöser und Häuslebauer entschwunden, wird der kollektive Selbstmord gewählt.

All das verwirrt, Jones bleibt eine konzise Lösung schuldig. In seinem aufwendig konstruierten Geflecht an Andeutungen, das auch die NS-Zeit nicht ausspart, verliert sich seine Inszenierung im Unausgesprochenen, und der bedeutsame Chor wird beliebig eingesetzt. Effektvoll und zupackend versteht dagegen Kent Nagano die Partitur; er lässt aber zuweilen jene analytische Durchdringung vermissen, für die er eigentlich steht und die dem vielerorts kammermusikalisch gehaltenen «Lohengrin» zugute käme.

So brillierten vor allem die Gesangssolisten, was allerdings weniger das Verdienst von Jonas Kaufmann war. Um sein Lohengrin-Début wurde ein bizarrer Wirbel gemacht, überraschender war jedoch das Début von Anja Harteros als Elsa. Die bayrische Kammersängerin hat der Partie eine seltene, nuancenreiche Ausdrucksdichte abgerungen. Zudem verband sich ihr eher dunkles Timbre vortrefflich mit dem baritonalen Tenor von Kaufmann. Sein Lohengrin war indes diskutabel, denn «Lohengrin» ist ein Schwellenwerk.

Hatte Wagner hier erstmals ein durchkomponiertes Musikdrama geschaffen und an Tendenzen in «Euryanthe» von Carl Maria von Weber angeknüpft, so changiert die Titelpartie zwischen dem Lyrischen und Heldentenoralen. In dem Masse, wie sich Kaufmann zunehmend zum Heldentenor entwickelt, verliert er das Lyrische. Das zeigte sein Münchner Lohengrin, und noch deutlicher offenbart es seine neue CD mit deutschen Opernarien, die bei Decca erschienen ist. Auch wenn Kaufmann in München die Gralserzählung deutlich feinsinniger ausleuchtete als auf der CD, vermisste man mitunter das fragil schimmernde, weiche und zarte Piano in der Höhe. Vergleicht man Kaufmanns Gralserzählung auf der Einspielung mit der Gestaltung von Johan Botha auf der neuen «Lohengrin»-Gesamtaufnahme mit dem Dirigenten Semyon Bychkov (Hänssler 09004), wird deutlich, dass es stimmlich Alternativen gibt. Botha singt die Gralserzählung so selbstverständlich und klar wie ein Lied, während sie bei Kaufmann im Piano bedeckt und angestrengt bleibt.
Baustelle Regie

Nicht minder glänzten in München Wolfgang Koch als Friedrich von Telramund und Michaela Schuster als Ortrud, wogegen Christof Fischesser (Heinrich I.) und Evgeny Nikitin (Heerrufer) etwas verblassten. So zeigte der Münchner «Lohengrin» einmal mehr, dass Intendant Bachler insgesamt eine glückliche Hand für Besetzungen hat. Dass in Bachlers erster Spielzeit das barocke und das zeitgenössische Musiktheater ausgespart wurden, ist hingegen problematisch. Mit der «Tragödie des Teufels» steht im Februar eine Uraufführung von Peter Eötvös an, vor allem aber ist es die szenische Seite, die Erneuerung braucht.
 






 
 
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