Das war wirklich eine große Sache, dass man
nicht weiter als bis zum Wiener Rathausplatz fahren musste, um bei der
Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele „fast“ live dabei zu sein.
Die zeitversetzte Übertragung am Wiener Rathausplatz begann zwar erst um
21,30 Uhr und dauerte bis 1 Uhr früh, aber wer sie sich „antat“, der wurde
reich belohnt. Am Anfang war der Platz gut gefüllt, das große Abbröckeln des
Publikums begann allerdings schnell, und am Ende waren dann nicht mehr viele
da, die erlebten, dass Nikolaus Bachler offenbar sein Ensemble live auf den
Münchner Max-Joseph-Platz geholt hatte, um dort das Publikum, das im Freien
dabei gewesen war, zu begrüßen.
Er hatte vor der Vorstellung sogar ein paar freundliche Worte für Wien
aufgenommen – freundlichere, als er Österreich und seiner Regierung im
„Profil“ nachgeworfen hat. Ich denke, er konnte zehn Jahre lang gänzlich
unbehelligt am Burgtheater arbeiten, es ist die Politik, die Kunst
hierzulande auch ermöglicht, wenn er Nitsch-Blut über die „heiligen“ Treppen
des Hauses schütten ließ, also sollte er nicht aus seiner Münchner Position
heraus wie ein Heckenschütze noch jenen Leuten Dreck nachwerfen, die sich
alles von ihm gefallen ließen…
Oper auf dem Rathausplatz – das ist, kurz gesagt, eine wirklich riesige
Leinwand (da wirkt jene der Staatsoper wie ein „Spuckerl“) von exzellenter
optischer Qualität, akustisch allerdings eine Qual durch Übersteuerung,
daran musste man sich gewöhnen, davon durfte man sich nicht vertreiben
lassen. Aber wer, den dieser „Lohengrin“ wirklich interessierte, wäre wegen
einer solchen Kleinigkeit gegangen?
Die Inszenierung von Richard Jones macht aus Brabant (alle tragen ein
großes, gesticktes „B“ auf der Brust) eindeutig Berchtesgarden, der Chor
gibt sich teils in bayerischer Tracht, die Damen mit Zopffrisur, die
Uniformträger sind in dem bekannten dreckigen Hellbraun gekleidet – keine
Hakenkreuze, aber kein gemütliches Land, das Ufer der Schelde im Vorzimmer,
der Heerrufer vom erhöhten Sitz aus ins Mikrophon singend: Man meint
anfangs, solchen Blödsinn hätte man schon genug gesehen, zumal wenn Elsa
dann im Schlosseranzug kommt und unbedingt ein Haus bauen will – Brabant
auch als Baustelle.
Behandelt wird die junge Dame wie der letzte Dreck, doch sobald Lohengrin
auftaucht und die Machtverhältnisse sich zu ihren Gunsten geändert haben,
geht es auf ihrer Baustelle mit Feuereifer los, nun will jeder dabei sein,
sich bei der neuen Herrschaft anzudienen: Und damit hat der Regisseur ja nun
doch ein überzeugendes Bild gefunden. Auch, dass Lohengrin, der im blauen
T-Shirt und mit silbernen Turnschuhen (und einem echt wirkenden, aber wohl
doch künstlichen Schwan im Arm!!!) erscheint, bald mitbaut und zur Hochzeit
dann im altdeutschen (?) Zimmermannsgewand erscheint, ist konsequent.
Ebenso, dass er das Haus tieftraurig abfackelt, nachdem Elsa die Frage
gestellt hat. (Allerdings hätte man dann ganz am Ende gerne die Brandruinen
gesehen – aber das wäre vielleicht zu viel Aufwand gewesen? Wie teuer die
Inszenierung mit derartigen „Bauaktivitäten“ gekommen ist, kann man sich ja
vorstellen.)
Wie gesagt, es ist eine jener Inszenierungen, die sich ihre Regeln selbst
setzt und ihnen dann folgt, und das ist ja, wie wir von Hans Sachs wissen,
einigermaßen legitim. Zumal Richard Jones auch eine hervorragende
Sängerführung gelungen ist, bis in kleinste psychologische Details – und da
war man als Zuschauer, dem die Kameraeinstellungen viele Großaufnahmen
boten, wirklich vorzüglich bedient.
Das Gescheppere der Freilichtübertragung (gegen Ende, als es dann ganz zart
wurde im Brautgemach, rollten sensible Geister noch die Mülltonnen hinter
den Zuschauern herum, das war Stimmungsmord der schlimmsten Sorte) machte
die Beurteilung des Orchesters nicht ganz leicht, aber grundsätzlich hat
Kent Nagano eine ebenso zügige wie dynamische Interpretation dieser
herrlichen Partitur geliefert.
Ja, und Jonas Kaufmann mitsamt seinen Löckchen! Er ist sogar noch schön,
wenn ihm die Kamera beim Singen bis in den Mund hinein kriecht, weil er als
Figur und Persönlichkeit dermaßen überzeugt, weil er es schafft, die
Gralserzählung auf dem Plastiksessel zu singen und wie eine nachdenkliche
Selbstreflexion zu gestalten… Und er ist für Wagner geboren (nicht für
Massenet und Puccini, auch wenn er sich das einbildet ): Wenn man sich an
sein nasal-gutturales Timbre gewöhnt, dann er ist ein prachtvoller
Wagner-Sänger, auch weil er diese herrliche, strahlende, nie harte, nie
kalte, nie schmerzende Höhe hat, er kann die Stimme öffnen und in den Himmel
schicken. Dass er mit den Piani gelinde Schwierigkeiten hat, egal – das war
der Lohengrin für unsere Zeit.*
Wunderbar die Deutsch-Griechin Anja Harteros, kein blondes Elschen, eine
dunkelhaarige junge Frau, erst in den Arbeiterhosen, dann im Dirndl mit
Gretchenfrisur und dennoch nie lächerlich wirkend. (Der Regisseur schert nur
einmal aus, als er sie im ersten Akt zu einer Art Scheiterhaufen führen
lässt, als auf das Ausposaunen nach einem Ritter zweimal niemand kommt –
aber sie befreit sich selbst resolut und auch das passt zu ihr.) Diese Frau
ist kein schwaches Dummchen, die nimmt ihr Schicksal in die Hand, darum ist
es auch so besonders tragisch, wenn sie im dritten Akt den Mund nicht halten
kann – und Lohengrin, der genau spürt, was da kommt, verzweifelt, weil er es
nicht verhindern kann… hervorragend gespielt von den beiden. Und mit einer
herrlichen, tragfähigen, jubelnden Sopranstimme ist sie auch gesanglich der
Traum von einer Elsa.
Wir werden Christof Fischesser, der den König Heinrich mit profundem Baß und
dauernd betrübter Miene sang, im Herbst an der Staatsoper kennen lernen, wir
freuen uns darauf, es war Evgeny Nikitin ein machtvoller Heerrufer von
seinem Hochsitz aus, und das „dunkle Paar“ fand in Wolfgang Koch und
Michaela Schuster prächtige Interpreten, er als der
Biertisch-Kleinkriminelle, sie als die geifernde, tückische Ehefrau. Im
Berchtesgardener Kleinbürgertum ist die Sache ja fest verankert. Aber
wenigstens baut sich Elsa, die schon am Anfang vor einer Zeichentafel steht
und sich ein Haus entwirft, keinen Berghof: Zu Beginn des dritten Aktes
verkündet ein Blumenband mit den Worten Richard Wagners (in Bayreuth an Ort
und Stelle nachzulesen), dass dieses Haus „Wahnfried“ benannt sei…
Sei es drum, es war ein aufregender, ein toller, ein herrlich gesungener
Opernabend. Danke an „Oper für alle“, die dies in München ermöglichen, danke
an die Stadt Wien, die dies auf den Rathausplatz brachte. Und ganz ohne
Geschleime (wer bräuchte das noch bei einem Direktor, der sich
verabschiedet) – danke auch an Ioan Holender, dass er es geschafft hat, die
Staatsoper „auf die Straße“ zu bringen: Die alte Diskussion, Oper sei nur
etwas für „Reiche“ und „Großkopferte“, ist damit erledigt. Wer Hochkultur
will, bekommt sie. Kostenlos. Höchste Qualität. Man muss nur hinkommen. Das
ist ja wohl nicht zu viel verlangt.
Anmerkung: * Ist der Grund für diese plötzliche Begeisterung
vielleicht die Tatsache, dass Jonas im deutschen Fach wenigstens keinem
anderen, von Frau Wagner geschätzten, "Lockenköpfchen" den Rang ablaufen
könnte? Wir wissen es nicht und wir bilden uns auch nichts ein, aber
vielleicht sollte die Schreiberin mal ein paar internationale Kritiken zu
Jonas Auftritten als Des Grieux und Cavaradossi lesen. |