Die Welt, 7. Juli 2009
Von Manuel Brug
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Wagner leuchtet
 
Bei den Münchner Opernfestspielen debütieren die deutschen Sänger Jonas Kaufmann und Anja Harteros im "Lohengrin"
Foto: Wilfried Hösl
Man muss mindestens bis in die goldenen Siebzigerjahre zurückweichen, um sich an eine ähnlich großartige, perfekte, jugendlich packende, wie für einander geschaffene Sängergarde zu erinnern, wie sie jetzt die Münchner "Lohengrin"-Festspielpremiere veredelte und überstrahlte. Im Nationaltheater herrschte über fünf Stunden lang pures, herrliches Wagner-Vokalglück, die Bayerische Staatsoper war ein Walhall auf Erden.

Sicher, es gab - und gibt - René Kollo, Peter Seifert, Johan Botha, die den Schwanenritter mit einer silbernen Trompete ausstatten, aber sie stehen meist schwerfällig herum. Und es gibt den Sonderfall Klaus Florian Vogt, dessen ätherisch körperloses Timbre den Lohengrin in eine kaum greifbare, unerklärliche Rettungsvision, aber eben nicht in einen glaubhaften Charakter verwandelt. In diese Reihe stellt sich nun mühelos als sehr spezieller, dabei menschlicher, männlich zupackender Lohengrin auch der Debütant Jonas Kaufmann; obwohl es in den ersten zwei Akten bisweilen mulmige Stellen gab, sein an sich berückendes Piano nur unter erhöhtem Druck ansprang.

Doch das war im dritten Akt vergessen, wo Kaufmann mit seiner viril baritonalen, manchmal gaumig klingenden Stimme herrlich hohe Leuchtraketen aufschießen lässt, mit Elsa in idealer Vokalabmischung um das Glück des Nichtwissenwollens ringt, voller Dramatik, drängender Intensität und spannungsvollem Argumentationskampf. Um dann in der ganz leise und zurückhaltend genommenen Gralserzählung todesverzweifelt von seinem Scheitern und dem nun nicht mehr möglichen Heil zu künden. Eine exemplarische Interpretation, auch darstellerisch höchst glaubwürdig, die in den nächsten Jahren, auch in Bayreuth, sicher noch wachsen und reifen wird.

In den Schatten gestellt wurde diese Leistung freilich von der schlichtweg perfekten, mühelosen, Innigkeit und höchste Beseelung, naive Mädchenhaftigkeit und wissende Sinnlichkeit verströmenden Elsa der ebenfalls erstmals die Partie singenden Anja Harteros. Keine andere Sopranistin dürfte derzeit über diese feine Mischung aus technischer Souveränität, individueller Gestaltungskraft und jubelklarem, kraftvollem und doch verletzlich zartem Timbre verfügen.

Nicht nur dieses Sängerglück war ohne Reu. Auch das übrige Münchner "Lohengrin"-Ensemble leistete Vortreffliches. Wolfgang Koch ließ kultiviert und schönstimmig gerundet fast vergessen, dass der eifersüchtige, manipulierbare Telramund die wahrlich schlimmste Brüllpartie ist, in der man meist raue, hohltönende Konsonantenspucker ertragen muss. Michaela Schuster als seine Gattin Ortrud ergänzte mit ihrem körnigen, ein wenig vierschrötigen Mezzo bestens die balsamischen Kantilenen der Harteros. Und der noble Christoph Fischesser als König Heinrich wie der schlanke, markante Heerrufer Evgeny Nikitins kamen mit weichen Linien ohne jedes teutonische Forte aus.

Andrés Máspero setzte mit seinen makellosen Chören auf strukturierte Durchhörbarkeit und bereitete den passenden Klangunterbau für dieses wunderbar anzusehende, spielende, alle vorgeblichen Wagner-Hürden mit Leichtigkeit nehmende Ensemble. Nach einem eher unterkühlt geradlinigen Vorspiel steigerte auch Kent Nagano am Pult seines Bayerischen Staatsorchesters sachte die Temperaturen, setzte sicher dynamisch explosive Fixpunkte, ohne je zu laut zu werden. Ein lyrischer, mit langem Atem durchgeplanter "Lohengrin" ließ dieses problematische Werk weder zur nationalistischen Jubelfeier noch zum auf schöne Arienstellen reduzierten Wunschkonzert verkommen. Präsentiert wurde eher eine auch akustisch skeptische Vision eines an sich selbst (ver)zweifelnden Erlösers, dessen messianischer Anspruch von der dumpfen Realität zerrieben wird.

Und dann war da auch noch eine grässliche Inszenierung des einst so intelligenten, unterhaltsam wie spöttisch provokativen Richard Jones. Der britische Regisseur mag "Lohengrin" nicht - was man durchaus nachvollziehen kann. Das Publikum aber muss seine langweilig lähmende, alles Mythische dekonstruierende Verweigerungshaltung ausbaden. Und zusehen, wie zwischen hässlichen, jeden Chorverkehr behindernden Kulissenteilen in einer nicht weiter spezifizierten Diktatur in Brabant ein Tierschutzaktivist in Trainingshose und lohengrinblauem T-Shirt mit ein paar Theatertricks ein hausbauwütiges, mit Maurerkelle hantierendes Latzhosen-Girlie gewinnt. Zum Zimmermann-Duo aufgestiegen, vollendet das Pärchen sein Heim. Doch als Elsa zu neugierig wird, zündet Lohengrin das Spießerglück an, tauscht den Schwan gegen den vermissten Erben Gottfried aus und geht. Der Rest begeht kollektiven Selbstmord.

Das Publikum buhte sich angesichts dieses auch handwerklichen Desasters aus Tönen, Leichtbausteinen und Bedeutungsscherben die Seele aus dem Hals. Und hatte dann offenbar nach einem heißen Premierenabend kaum noch Energie für eine Sängerfeier. Was wieder beweist, dass Oper eben doch nicht allein als Hörtheater bestehen kann und soll - und sei es ein noch so splendides.
 






 
 
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