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Frankfurter Rundschau, 06. Juli 2009 |
VON HANS-JÜRGEN LINKE |
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
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Bloß nicht fragen
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Foto: Rabanus |
Wer
will fleißige Handwerker sehn, der kann in die Oper gehn, am besten ins
Münchner Nationaltheater, wo im Rahmen der Opernfestspiele Richard Jones den
"Lohengrin" inszeniert hat. München mochte die Inszenierung nicht.
München buhte laut und deutlich, als der Regisseur auf die Bühne kam,
nachdem zuvor das Ensemble, ganz besonders (und wohlverdient) Anja Harteros
als Elsa von Brabant und Jonas Kaufmann als Lohengrin mit begeistertem
Beifall überschüttet worden waren. Richard Jones muss einen Nerv
getroffen haben, obwohl seine Inszenierung einem ausgezeichneten
Sängerensemble und einer bemerkenswerten Orchesterarbeit gebührende
Aufmerksamkeit ließ.
Für Jones geht es im "Lohengrin" darum, ein Haus zu bauen. Ein Haus, das
bedeutet eine Lebensperspektive, die Ruhe und allgemein gültige Ordnung
verheißt; es bedeutet, sich einzureihen in eine Normalität, die zu
verteidigen sich lohnt: Lohengrin soll nicht länger in der Welt Fremde
erlösen, sondern ein nützliches, bürgerliches Leben führen und das
Beschützen auf den trauten Kreis der Familie beschränken.
Das Haus, das auf der Bühne von Akt zu Akt Form annimmt, ist ein Reihenhaus
für Vater, Mutter, Kind und zugleich eine weit verbreitete Utopie. Richard
Jones nennt es übrigens "Wahnfried", wohl wissend, dass in Wagners Leben -
wie im Leben vieler Männer - der Wahn und der Friede nicht immer in stabiler
Balance koexistieren.
Er erzählt im "Lohengrin" also eine Geschichte, die gleichermaßen vom Leben
seines Komponisten wie von einem unzulänglichen gesellschaftlichen Zustand
handelt. Der utopische Gehalt entfaltet erschreckende Wirkung, wenn man sich
eine Gesellschaft vorstellt, deren architektonischer und sozialer Alltag
seinen Ort in Wahnfried-Ansammlungen hat.
Richard Jones und Richard Wagner haben also ganz recht, wenn sie Lohengrin
und Elsa diese Zukunftsperspektive ersparen. Nur hat Wagner nicht recht, wie
Jones zeigt, wenn er die Schuld am Scheitern den Frauen zuschiebt, deren
Intrigen (Ortrud) und aufgestachelte Neugier (Elsa) die Männer nicht in Ruhe
lassen. Sind Männer, die nur in Ruhe gelassen werden wollen, überhaupt
gesellschaftsfähig? Selten klangen die Ich-darf-nicht- und die
Wenn-dann-Sätze, mit denen Lohengrin seinen Abschied aus dem Diesseits
begründet, hilfloser als hier.
Das Reihenhaus Wahnfried wird in München am Ende angezündet: ein stimmiger
Plot des Scheiterns. Lohengrin ist kein strahlender Ritter - klirrende
Waffen spielen überhaupt eine recht geringe Rolle auf der Bühne -, sondern
ein Handwerker, der anfangs in legeren Sportklamotten mit Schwan im Arm
auftritt, später im zünftigen Zimmermannskostüm.
Kent Nagano, der das Bayerische Staatsorchester leitet, hält sich nicht
lange damit auf, das Aus-dem-Nichts-Kommen des Schwanenritters zu gestalten.
Was an musikalischem Arbeitsmaterial und Werkzeug gebraucht wird, ist schon
in der Ouvertüre recht schnell und fast unfeierlich präsent, wie Handwerker
es gern haben. Die höfischen Trompetenzeremonien werden von der Seitenloge
aus von vier lustig (und sehr britisch) uniformierten Staatsdienern
ausgeführt.
Naganos Lohengrin-Interpretation ist perfekt auf die Bedürfnisse und die
inhaltlichen Weichenstellungen der Regie abgestimmt. Sie kommt zupackend und
ohne weihevolle Klanggestik daher, es wird nichts ausgekostet und
ausgezögert, immer geht es recht bald und manchmal durchaus forsch weiter,
ohne dass der Eindruck von Eile oder gar Oberflächlichkeit entstünde, und
wenn auf der Bühne ein baustellenhafter Tumult aus Chor und Solistensemble
entsteht, widmet sich die Musik mit Hingabe dem Tumult.
Gleichwohl gibt es prägnant gesetzte, dramatisch effektvolle
Entschleunigungen und Generalpausen, und die Dynamik der Orchesterarbeit ist
von bewundernswerter Präzision. Ein Pianissimo erreicht wirklich den Rand
des atemlos Hörbaren, und ein Fortissimo kommt in die Nähe der
Schmerzgrenze. Die Herrscher der Inszenierung sind das Gegenpaar und das
Hauptpaar. Wolfgang Koch ist ein ausdrucksreicher Telramund von Statur und
Durchsetzungsfähigkeit, voller Bitterkeit und Brutalität und
selbstüberzeuger Rechthaberei, Michaela Schuster als Ortrud eine ihm
ebenbürtige, scharf intonierende, in den hohen Lagen zuweilen leicht
metallisch klingende Intrigantin. Jonas Kaufmann als Lohengrin kommt von
irgendwo, aber nicht aus dem Jenseits, und ist ein markiger, sehr
diesseitiger und im dritten Akt überaus eindrucksvoll auftrumpfender
Wagner-Tenor mit einer großen Palette an Ausdrucksnuancen.
Die einzige Jenseits-Figur im Kleinbürger-Milieu ist Anja Hateros' Elsa von
Brabant: ein Mädchentraum im weißem Hochzeitskleid von Beginn an, schön und
zart, aber keineswegs schwach, denn um in einer Reihenhaus-Umgebung an
Träumen festzuhalten und einen wie den Zimmermann Lohengrin in die Enge zu
treiben, das erfordert Kraft. Anja Harteros fächert ihr lyrisches
Ausdrucksspektrum ohne Leidensmiene auf, ihre Verträumtheit ist mit
Unnachgiebigkeit gepaart, ihre Bühnenpräsenz ohne zurückweichende
Introvertiertheiten.
So dass man sich fragt, was an dieser stimmigen und ausgezeichnet besetzten,
zudem von Andrés Másperos Chorarbeit vorbildlich mit gestalteten
Inszenierung die Münchner so aufbringt. Vielleicht ist es das realistische
Bild unvermeidlichen Scheiterns, das Lohengrin in die Nähe eines
kleinbürgerlichen Lebensentwurfs rückt und ihn damit lächerlich zu machen
droht. Helden sind immer in Gefahr, aus der Nähe lächerlich zu erscheinen.
Vielleicht wäre es angenehmer gewesen, Lohengrin nicht näher zu befragen.
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