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Deutschlandfunk, 9. Dezember 2009 |
Von Christoph Schmitz |
Bizét, Carmen, Mailand, 7. Dezember 2009 |
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Saisoneröffnung an der Mailänder Scala |
Emma Dante und Daniel Barenboim deuten "Carmen" von Georges Bizet
Viele haben um ihre Abendroben und Anzüge gebangt, gestern Abend in Mailand:
Wer Karten für die "Carmen"-Premiere an der Scala hatte, musste sich den Weg
bahnen durch fliegende Eier, brennende Feuerwerkskörper und wütende
Demonstranten. Arbeiter, Gewerkschafter aber auch Künstler protestierten
gegen die krisenbedingte Schließung mehrerer Mailänder Unternehmen.
Placido Domingo stimmte in der Premierenpause das Hohe Lied des Public
Viewing und der Fernsehübertragung von Opern an. Das locke neues und vor
allem junges Publikum in die Häuser. Die Pausenmoderatorin in der goldenen
Scalaloge überließ dem Sängerstar das Parkett auch für kräftige
Eigenwerbung: Hier an der Scala habe er vor 40 Jahren sein triumphales
Mailänder Debüt gefeiert, im übrigen seien zwei der Sängersolisten des
Abends aus seinem Opernwettbewerb in Paris hervorgegangen. Überhaupt ließ
Moderatorin Annette Gerlach bei jedem ihrer Auftritte keinen Zweifel daran
aufkommen, dass wir Gäste einer überzeugenden Carmen, einem großartigen und
erfolgreichen Opernabend und die Tanzeinlagen geradezu verführerisch seien.
So füllte die zeitversetzte Premierenübertragung auf ARTE die Pausen mit
allerlei trivialen Kommentaren, vielen Plattitüden und nichtssagenden
Interviews einschließlich mancher Fehler. Aus dem Don-José-Tenor Jonas
Kaufmann wurde ein Thomas Kaufmann, aus dem Scala-Intendanten Stéphane
Lissner ein eingedeutschter Lißner. Und ob eine Fernsehübertragung wirklich
den Sog einer realen Aufführung vermitteln kann, das hat das Carmen-Projekt
am Montagabend zur traditionellen Saisoneröffnung in Mailand jedenfalls
nicht bewiesen. Weder Bild- und Klangregie noch die drum herum gehäkelte
Berichterstattung wurden dem Bühnenereignis gerecht. Doch mit
Riesenbildschirm und Stereoanlage in Studioqualität im Funkhaus kann man
sich auch als Kritiker anfreunden, wenn ein Opernhaus trotz zahlreicher
Ticketanfragen per Mail und Anrufbeantworter über viele Wochen nicht
reagiert.
In der Ouvertüre und den anderen reinen Orchesterpartien lieferte die
Übertragung ein äußerst transparentes Klangbild. Daniel Barenboims
zupackende, expressive und schwelgerische Gestaltung kam zur Geltung. Aber
sobald Chor und Sänger auftraten, gingen Kraft und Transparenz verloren. Der
Gesang wurde in akustischer Großaufnahme wie unter einer Lupe einseitig
verstärkt, wodurch der Orchesterklang zum Hintergrundrauschen verdörrte. Das
so wichtige Hornmotiv in den Heimaterzählungen im ersten Akt etwa ging
völlig unter.
Die Gesangslinien waren überdeutlich zu erkennen, was bei der jungen
Georgierin Anita Rachvelishvili, die die Carmen sang, ein echtes Vergnügen
war.
Aber auch einen Tenor wie den von Jonas Kaufmann hört man selten so
wohlklingend, geschmeidig und intensiv zugleich.* Außerdem ist Kaufmann ein
außergewöhnlicher Schauspieler, dem man auch eine Rolle auf der Sprechbühne
zutrauen würde.
Auch die optische Großaufnahme hat Vorteile. Sie zeigte am Montagabend,
welch harte Arbeit die Sängerkunst ist. Kaufmann tropften der Schweiß nur so
vom Gesicht und die Speichelfäden von den Lippen. Wie ein Opa im Ohrensessel
dagegen hatte es sich Daniel Barenboim hinterm Dirigentenpult bequem gemacht
und bewegte manchmal sogar beide Hände. Ansonsten versteckte die Bildregie
mehr, als dass sie Sinnzusammenhänge deutlich machte und ließ sich von der
Folklore der Inszenierung verführen. Die sizilianische Theaterregisseurin
Emma Dante hatte die spanische Liebesgeschichte nach Sizilien um 1900
verlegt mit Dorfkulissen à la de Chirico, beklemmendem katholischen
Schnickschnack und Volkstanz. Um die Erotik des Stücks herauszuarbeiten,
reicht es allerdings nicht, Röcke zu lupfen. Um die Gewalt an Frauen zu
verdeutlichen, ist es zu wenig, wenn sich Statisten an den Haaren ziehen.
Auch die Fernsehübertragung konnte nicht verheimlichen, dass Italiener
langweilige Opernregisseure sind. |
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(* der hat wohl Jonas noch nie vorher gehört :-), sonst würde er wissen,
dass Jonas (fast) immer so klingt) |
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