|
|
|
|
|
KlassikInfo.de |
Benjamin Herzog |
Beethoven: Fidelio, Paris, Opéra Garnier, 25. November 2008
|
Im Bestrafungslabyrinth
|
Tut der Oper gut: "Fidelio" in
Martin Mosebachs erweiterter Textfassung am Pariser Palais Garnier |
|
(Paris, 25. November 2008) Strafe ist eine
Systemfrage. Für die Feststellung von Straftatbeständen, für Schuldzuweisung
und daraus resultierende Maßnahmen gibt es ein ineinander greifendes System
aus Polizei, Justiz und Vollzug. Gegen dessen kalte Logik steht die
Freiheit, für deren Utopie Beethoven und seine Oper "Fidelio" stehen. Dass
an dem Abend einiges anders wird, lässt sich schon daran erahnen, dass er
mit der frühen, fantasieartigen "Leonore I"-Ouvertüre beginnt. Marzellines
Arie kommt dem Dialog mit Jaquino zuvor, ein Terzett aus der Erstfassung
wird eingeschoben. Grundlegend Neues aber bringt die Bearbeitung des
Librettos durch den Büchner-Preisträger Martin Mosebach. Ein mutiger Schritt
hinein in die Problematik eines Werks, dessen Textqualität nicht über alle
Zweifel erhaben ist.
Mosebachs Texte tun der Oper gut. So plaudert Rocco in der "Straf-Fabrik"
über seine Arbeit: "Wir stellen Strafe her." Deutlicher kann ein
stumpfsinniger Funktionär kaum charakterisiert werden. Pizarro bezeichnet
seine Absicht Florestan umzubringen als "Säuberung". Der zweideutige und
belastete Begriff weist ihn als schrecklichen Verbrecher aus. Und Fidelio
schleppt statt nur Ketten ein ganzes Arsenal von Bestrafungswerkzeugen an:
Handschellen, Zwingen, Folterinstrumente... Größer, stärker, mehr.
Funktionierende Systeme haben die Tendenz zu expandieren. Auch Jan
Versweyvelds Bühnen-Gefängnis hat keinen Anfang und kein Ende. Statt unter
freiem Himmel singt der Gefangenenchor unter Lüftungsschlitzen von "freier
Luft". Das Licht kommt aus der Steckdose, Türen sind nur mit Chipkarte zu
öffnen und auf Überwachungsmonitoren sieht man Florestan, der sich irgendwo
in diesem wuchernden Bestrafungslabyrinth befinden muss. Duette, Terzette,
Quartette. Es gibt keine Oper, in der häufiger mit- oder gegeneinander
gesungen wird.
Das Ungewöhnliche ist von Sylvain Cambreling zur Stärke ausgebaut. An den
Ensembles wurde deutlich gearbeitet, Artikulation und der Kontakt zwischen
Sängern und Orchester sind exzellent. Cambreling nimmt die Tempi langsam,
was die Verständlichkeit erhöht und bereits dem ersten Quartett starkes
musikalisches Gewicht verleiht. Die Ensembles sind die Knotenpunkte, in
denen sich zeigt, wie alles in diesem Gefängnis miteinander verbunden ist:
unterschiedliche Absichten, zeitgleich vorgebracht, durch Harmonik und
Rhythmus "systematisiert". Reflexionsebene, Bühne und Musik kommen sich im
Pariser "Fidelio" auf beunruhigende Weise nah. "In des Lebens
Frühlingstagen": nach zwei Jahren Einzelhaft eine solche Arie singen zu
können, gehört zu den schönen Inkonsequenzen der Oper. Jonas Kaufmann tut's
mit bestens kontrollierter, ebenmäßiger Stimme. Angela Denoke bewährt
sich als im Wortsinne beherzt liebende Leonore, kommt intonatorisch aber an
Grenzen. Exquisit die restliche Besetzung darunter Franz-Josef Selig als
Rocco und Julia Kleiter als Marzelline. Alan Helds Pizarro überzeugt auch
schauspielerisch und schafft es, die Spannung zwischen Sprechtext und Gesang
in seiner Figur zusammenzuzwängen. Aus dem Orchestergraben hören wir eine
scharf artikulierte Partitur, weitab von jedem romantischen Mischklang.
Forte und Piano beißen sich. Cambreling lässt streng spielen, eckig. Umso
schöner dazwischen die lyrischen Momente.
Im Finale wird die Lautstärke brutal. Jubel und Ekstase mit Fragezeichen. Es
kommt zum Befreiungsakt im Keller. Gegen Leonores kamikazemäßigen Mut und
ihre Pistole ist Pizarro unterlegen, der Minister wird angekündigt, alle
sind baff. Über dem opernhaften Trubel geht das Konzept dann flöten.
Florestan fragt seine Befreierin noch interessiert, was sie gemacht hätte,
wenn der ministrale deus ex machina nicht aufgetaucht wäre. Doch spätestens
hier kollidieren die Utopie der Oper, der Wunsch nach dem lieto fine und die
Hingabe an die mitreißende Musik mit dem kritischen, zynischen Text. Regie
hilf! Das könnte, das müsste man stärker zusammenbringen. Denn, dass jemand
an einem "Heiligtum" wie "Fidelio" kratzt, dem Stoff neue Brisanz gibt, ist
eine große Chance. Es ist zu hoffen, dass die "Mosebach-Fassung" in der
Diskussion bleibt. Weil sie sich der Oper und ihren Beschränkungen so
wunderbar entgegenstellt. Eine Bewährungsprobe, vor der kein "Fidelio"
zurückschrecken muss. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|