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Zürichsee-Zeitung, 30. Juni 2008 |
Werner Pfister |
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
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«Carmen» in der Fussball-Arena
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Die Inszenierung pendelt
zwischen Niedlichkeit und Unerbittlichkeit. Und Vesselina Kasarova gelingt
ein spannendes Rollendebüt. Sie steht aber etwas im Schatten von Jonas
Kaufmanns Don José. |
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Zwar spielt «Carmen» in Spanien, aber das Werk
und die Handlung liefern kaum Anlass für folkloristische Postkartenansicht
des Landes, sondern eher für die Kehrseite davon. «Carmen» spielt unter
Arbeitern und Zigeunern, unter Soldaten und Gaunern, also vornehmlich in
einer sozialen (und wohl auch moralischen) Halbwelt. Und hier geht es nicht
pittoresk zu, sondern hart und unerbittlich und - zum Schluss des Werks -
todernst. Auf diesen Ernst muss man in der Neuinszenierung von
Schauspielhaus-Direktor Matthias Hartmann allerdings warten. Niedlichkeiten
geben zu Beginn den Ton an - ein Hund, der im Bühnenvordergrund liegt und
jedes Mal, wenn er gestreichelt wird, herzig mit dem Schwanz wedelt oder mit
den Ohren wackelt. Die Soldaten wirken in ihren Sonnenbrillen wie
Karikaturen aus dem bürgerlichen Lachtheater, mimen den Macho und greifen
sich immer wieder männlich in den Schritt. Der armen Micaëla, dem Mädchen
vom Lande, ziehen sie sogar ihren Rock aus, auf dass sie im Unterrock von
der Bühne gehen muss und im nächsten Auftritt auch im Unterrock auf ihren
geliebten Don José trifft - was beiden sichtlich peinlich ist.
Hier das soziale Verhaltensmuster einer triebfixierten Männerwelt, dort das
arme Hascherl. Interessanter wird es, wenn sich die Verhältnisse gleichsam
ins Gegenteil verkehren, denn Matthias Hartmann zeigt den Don José als
Muttersöhnchen, als leicht neurotischen Brillenträger, was auf seine
pingelige Ordnungsliebe hinweist. Carmen dagegen ist ein durch und durch
impulsgesteuertes Wesen und als solches stets dem augenblicklichen Moment
verhaftet, also unberechenbar. Diese beiden Welten, das wird bald einmal
evident, passen nicht zueinander. Das gibt Reibereien und Anlass zur
Eifersucht, die von Don José derart umfassend Besitz ergreift, dass er seine
Carmen, die längst nicht mehr die seine ist, blindlings ersticht.
Gespielt wird das alles auf einer leicht nach vorn geneigten Scheibe, die
über alle vier Bilder erhalten bleibt und an eine Stierkampfarena erinnert.
Als Ausstatter kommt Volker Hintermeier mit einem Minimum an Requisiten aus,
einem Sonnenschirm mit eingebautem Ventilator (es ist heiss in Spanien),
einer Tür für den Auftritt der Zigarrenarbeiterinnen, einer Lichterkette
über den Stühlen und Tischen von Lillas Pastias Kneipe. Es sind die
Sängerinnen und Sänger, die diese angedeuteten Szenerien mit Leben füllen
sollten. Nicht immer gelingt das, und am wenigsten in den grossen
Musiknummern: Da stehen die Sängerinnen und Sänger zum Teil derart verloren
herum, als wäre die Musik ein Element, zu dem der Regisseur keinen Zugang
(gefunden) hat.
Der Traum bleibt Traum
Gesungen allerdings wird famos, zumindest in den Hauptpartien. Jonas
Kaufmann ist der Idealfall eines Don José, bringt das französische Melos
seiner Musik mit einer wunderbar kantablen Linienführung zum Blühen und
gestaltet immer wieder aus dem Piano heraus oder geht (in der Blumenarie)
auf dem Spitzenton gekonnt ins Piano zurück. Phänomenal. Gleichzeitig
gebietet er über ein metallisch glänzendes Fortissimo - ein Anti-Held zwar,
der aber mit heldischen Tönen seinem Untergang entgegensingt.
Vesselina Kasarovas Carmen entspricht sicher nicht dem Klischee des
männerverschleissenden Vamps. Im Gegenteil, oft wirkt sie wie in sich selbst
versunken, und sie hat dafür wunderbar differenzierte Töne. Dann bricht es
plötzlich aus ihr heraus, und entsprechend schafft sich ihre Stimme Raum und
gewaltige Resonanz. Zuweilen steht sie (noch) etwas selbstverloren da -
versunken vielleicht in ihre Träume von einem selbstbewussten Leben in
ungebundener Freiheit. Diese aber bleiben Träume.
Ovationen auch in der Fan-Zone
Michele Pertusi ist ein eher gemütlicher Escamillo; dass Carmen ausgerechnet
ihm den Vorzug gibt, bleibt szenisch unersichtlich. Isabel Rey versteift
sich als Micaëla vor allem auf die Unschuld vom Land, das aber mit einem
messerscharfen Timbre, welches vor allem in ihrem Duett mit José immer
wieder Ohrenpein bereitet. Judith Schmid (Mercédès) und Sen Guo (Frasquita)
überzeugen durch wendiges Spiel und stimmliche Präsenz; Gabriel Bermúdez
fügt sich als Dancaïre ebenso vital ins gefährliche Spiel der Schmuggler.
Franz Welser-Möst dirigierte am Samstagabend seine letzte Premiere als
Generalmusikdirektor des Opernhauses. Seine «Carmen», eine auf der
kritischen Neuedition von Michael Rot basierende Fassung, die Ernest
Guirauds nachkomponierte Rezitative mit einbezieht, hat vor allem
rhythmischen Biss. Sie kommt aber ohne lärmende musikalische Knallpetarden
aus, obwohl das Orchester der Oper Zürich da und dort kräftig hinlangt.
Umgekehrt ist es immer wieder die lyrische Feinzeichnung, auch in der
Orchestrierung, die in dieser Aufführung den absoluten Meisterrang von
Bizets Partitur hörbar macht mit klangschön ausbalancierten instrumentalen
Details und einem weichen Streichersound der Verwöhnstufe.
Grosser Applaus zum Schluss, der sich für die beiden Protagonisten zu
lärmenden Ovationen steigerte. Ein paar Buhrufe für das szenische Team
gingen in der allgemeinen Begeisterung bald unter. Diese Begeisterung griff
sogar auf die Fan-Zone über, wo die Aufführung leicht zeitverschoben
ausgestrahlt wurde und das Publikum vor der Leinwand ebenfalls zu Ovationen
hinriss. |
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Foto:
Der Bund pdf (Tagblatt Artikel) |
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