Nachrichten.ch, 29.06.2008
von Bernhard Glauser
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
Bizets «Carmen» als Festspielpremiere in Zürich
Zürich - «Carmen»-Fest in Zürich: Über 12'000 Zuschauerinnen und Zuschauer haben am Samstagabend in Zürich die Festspielpremiere der Oper «Carmen» von Georges Bizet verfolgt.
Die Fussballarena wurde zur Stierkampfarena. In der Public-Viewing-Zone am Bellevue fieberten rund 11'000 Menschen vor der Grossleinwand mit Carmen und Don José, deren Schicksal direkt aus dem Opernhaus übertragen wurde.

Daneben ging die Aufführung als letzte Premiere der zu Ende gehenden Spielzeit vor 1100 zahlenden Besuchern über die Bühne. Es war zudem die letzte Premiere von Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst und die erste Premiere nach der vor wenigen Tagen erfolgten Regelung der Nachfolge von Alexander Pereira.

Südländisch-schwül

Entsprechend gespannt war man auf die neue «Carmen», welche nach sechs Jahren die damals heftig umstrittene Inszenierung von Peter Mussbach ersetzt: Musikalisch bleiben kaum Wünsche offen, szenisch hingegen ist «Carmen» auch diesmal kein grosser Wurf. Das gut gelaunte Publikum bedankte sich, bei wenigen Buhs für die Regie, mit einer Standing Ovation. Matthias Hartmann, Direktor des Schauspielhauses Zürich, lässt die beliebte Oper auf einer schräg nach vorne geneigten riesigen Scheibe spielen, welche mit nur spärlichen Requisiten die Tabakfabrik in Sevilla, Pastias Kneipe, das Schmugglernest im Gebirge und die Stierkampfarena darstellt.

Die Stimmung ist - wie draussen in der Fussballarena - südländisch-schwül, die Frauen in luftig-leichten Sommerkleidern, die Soldaten in Carabinieri-Uniformen. Das Militär macht sich ungeniert an die Frauen heran, die sich jedoch zu wehren wissen.

Keine billige Erotik

Hartmann überzeugt vor allem mit einer präzisen Personenführung; zur Geschichte um die unmögliche Liebe zwischen Carmen und Don José hat er nicht viel zu sagen. Immerhin sorgt er mit einigen Einfällen, etwa einem Fussballspiel im Fernseher in Pastias Schenke, für gelegentliche Lacher. Don José ist, im Unterschied zu seinen Kollegen, ein introvertierter und schüchterner Mann, der mit seiner Hornbrille aussieht wie Clark Kent, das Alter Ego von Superman. Sängerisch hingegen ist er super: Jonas Kaufmann singt zupackend, kraftvoll, makellos, und lässt seine innere Zerrissenheit spüren.

Eine Klasse für sich ist Vesselina Kasarova, die in Zürich ihr Rollendebüt als Carmen gibt. Weit weg von billiger Erotik oder Anmache ist sie eine unruhig Umherstreifende, die aber genau weiss, was sie will. Sie steht immer etwas ungeschickt da, und bewegt sich wie in einer kaum sichtbaren Choreographie.

Schönstes Piano
Auch mit ihrem Gesang kreiert sie ihre eigene Carmen: Ihr Auftrittslied etwa, die berühmte «Habanera», singt sie im schönsten Piano, nur ab und an von einem unverhofften Gefühlsausbruch unterbrochen. Wiewohl sie meist alleine und vorne auf der Bühne steht, dominiert sie nicht, nimmt sich permanent zurück.

Dirigent Franz Welser-Möst unterstützt diese Lesart: Er betont zwar die Extreme der Partitur, aber nicht indem, wie sonst so oft, laut geschmettert wird, sondern indem er, manchmal auch bei grossorchestralen Stellen, grosse Bögen leise spielen lässt.

Zürich hat damit wieder eine «Carmen» auf musikalisch hochstehendem Niveau, mit einem herausragenden Protagonistenpaar und wunderbaren Chören, die szenisch zwar unbestimmt bleibt, aber dafür auch den Opernpuristen nicht verärgert.
Translation by Alina:
«Carmen»-party in Zurich: More than 12,000 viewers followed the live broadcast of the Carmen premiere from the Zurich Operafestival.

...Hartman convinces above all due to a very precise character definition. He has little to say otherwise on the story about the impossible love between Carmen and Jose. He does manage to extract some laughs from his public with a few clever ideas, such as having a football game play on a tv in Pastia’s bar. Don Jose is, in contrast to his other military colleagues, an introverted and shy man, who with his geeky glasses is a perfect reminder of Clark Kent. His singing is however superb: Jonas Kaufmann sings touching, powerful, faultless and transpires perfectly his inner conflicts....
Foto: Susanne Schwiertz






 
 
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