Stuttgarter Zeitung vom 21.02.2007
Von Werner Müller-Grimmel
Mozart: Die Zauberflöte, Zürich, 17. Februar 2007
Im Scheidungskrieg entzaubert
Nikolaus Harnoncourt und Martin Kusej zerdehnen Mozarts "Zauberflöte" am Opernhaus Zürich
Über Mozarts "Zauberflöte" gehen die Ansichten auseinander. Einerseits gibt es zweifellos Unstimmigkeiten im eilig zusammengeschusterten Libretto von Emanuel Schikaneder und wechselhafte Qualitäten in der stilistisch recht heterogenen Musik, anderseits ist das Stück seit mehr als 200 Jahren ein Kassenschlager. Am Opernhaus Zürich, wo es erst vor sechs Jahren das letzte Mal inszeniert wurde, leistet man sich jetzt den Luxus einer abermaligen Neuproduktion.

Nikolaus Harnoncourt, der hier vor mehr als zwanzig Jahren seine erste, damals von Jean-Pierre Ponnelle inszenierte "Zauberflöte" dirigiert hat, setzt sich nunmehr bereits zum dritten Mal mit Mozarts letzter Oper auseinander. Regie führt auf seinen Wunsch Martin Kusej, mit dem er in Salzburg 2002 Mozarts "Don Giovanni" erarbeitet hat. Durch Eingriffe und Erweiterungen bei den Dialogen hat Kusej nun versucht, jene Brüche der "Zauberflöte" zu Qualitäten umzudeuten. An geheimniskrämerischer Freimaurersymbolik, die der Wiener Vorstadtkomödie nachträglich aufgepropft wurde, ist er nicht interessiert. Die offensichtlich unlogische Umwertung Sarastros vom anfänglichen Bösewicht zum Vertreter humaner Weisheit versucht er als Perspektivenwechsel plausibel zu machen. Auch die Königin der Nacht ist nicht mehr nur eine böse Hexe, sondern wird als solche lediglich von Sarastro diffamiert.

Zwischen den beiden Kontrahenten tobt bei Kusej eine Art Rosenkrieg geschiedener Eheleute, in den Tamino mit seinem Werben um die Tochter mitten hineingerät. Pamina ist das Opfer einer modernen Scheidungstragödie, in der die Regie den neutralen Blickwinkel eines Mediators einnimmt. Auch hinter die männerbündische Welt Sarastros macht Kusej viele Fragezeichen. Zur vielleicht etwas behäbig angegangenen, im fugierten Allegro-Teil streckenweise verwackelten Ouvertüre steht ein junges Brautpaar im Rampenlicht. Beim Versuch, sich zu küssen, stürzen die beiden geradewegs in einen Albtraum. Am Boden wälzen sich Menschen, die wie lauter Laokoons von schwarzen Schlangen bedrängt werden. Doch das ist nur die erste Station in einer Folge seltsam gruseliger Prüfungen. Erst wenn sie alle bestanden sind, winkt dem Paar am Ende der zunächst verweigerte Ehekuss.

Auf Rolf Glittenbergs kreisender Bühne gibt es keine "heil"gen Hallen" mit Säulen, sondern ein Labyrinth hoher Räume mit kahlen Kachelwänden und metallenen Feuerschutztüren, das immer wieder neue Einblicke in surreal anmutende Lagerräume und Verliese eröffnet. Beilbewaffnete Gestalten mit rußverschmierten Gesichtern lauern hinter Ecken, Monastatos steigt als King-Kong-Monster zum Schreck gefangener Mädchen aus einer Badewanne, Metzger mit blutigen Schürzen und Schlachtermessern zeigen sich hinter Türen, und wiederholt begegnen sich die Protagonisten in diesem Traum- und Spiegelkabinett scheinbar selbst.

Kusejs Lesart macht aus Schikaneders Libretto ein ganz neues, subtil im Detail ausgearbeitetes, reichlich mit hintergründigen Gags angereichertes Stück, deutet überall unterschwellige Erotik und sexuelle Begehrlichkeiten an, verzerrt aber die Proportionen der Partitur und kann deshalb selten die atmosphärischen Qualitäten der in diesem Kontext eher entzaubert wirkenden Musik entwickeln. Auch Harnoncourt, der vieles mit manierierter Langsamkeit und Agogik zelebriert, trägt dazu bei, dass die Aufführung zunehmend auf der Stelle tritt.

Unreinheiten bei Bläsern und massive Lautstärken im von Ernst Raffelsberger einstudierten Chor machen die Sache nicht besser. Welch ein Glück, dass in Zürich ein erlesenes Solistenensemble bereitsteht. Jonas Kaufmann (bei der Premiere kurzfristig für Christoph Strehl eingesprungen) begeisterte als Tamino mit nuancenreichem, in allen Lagen präsentem Tenor.

Sensationell sangen auch Ruben Drole, als Papageno ein schräger Vogel, aber immun gegen die sektiererischen Zumutungen von Sarastros Fechtkumpels, Elena Mosuc (Königin der Nacht) mit hochseilartistischer Koloraturenakrobatik, Julia Kleiter als vokal und szenisch betörende Pamina, Eva Liebau als lispelnde Papagena mit Taucherbrille und Gummistiefeln (Kostüme: Heidi Hackl) und nicht zuletzt Matti Salminen als von sich selbst überzeugter, in seine salbungsvoll-profunden Basstöne verliebter Sarastro.






 
 
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