Neue Zürcher Zeitung, 3. Mai 2007 
Thomas Schacher
Schubert: Winterreise, Zürich, 30. April 2007
Erinnerung an den Frühling
Schuberts «Winterreise» im Opernhaus
Der laue Frühlingsabend vor dem ersten Mai erforderte vom Publikum eine gehörige Prise Imaginationskraft, denn auf dem Programm des Liederabends im Opernhaus stand Franz Schuberts Liedzyklus «Die Winterreise». «Ich such im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur» heisst es da im Lied «Erstarrung». Doch zum einen lockte die Stimme des jungen deutschen Tenors Jonas Kaufmann, der sich eine Bühne nach der anderen erobert und der im Februar bei der hiesigen «Zauberflöte»-Premiere für den erkrankten Christoph Strehl als Tamino eingesprungen war. Zum andern erforderte der Liedzyklus, würde er im Winter gesungen, genauso viel Einbildungskraft, denn die in den Texten beschworenen Jahreszeiten Winter und Frühling sind Gegenwelten, die für den Liebesverlust und für die Erinnerung an die erste Zeit der Liebe stehen.

Jonas Kaufmann mit seinem langen, gelockten Haar, seinem naturburschenhaften Auftreten und seiner betörenden Stimme erfüllt alle Wunschvorstellungen, die man mit dem romantischen Jüngling verbindet, wie ihn Wilhelm Müller in seinen Gedichten charakterisiert hat. Am schwersten fiel dem Sänger mit der positiven Ausstrahlung wohl der Wandel seiner Rolle von der anfänglichen Emotionalität zur Depression des Schlusses. Mochte man bei den ersten Liedern noch zweifeln, ob ihm das gelingen würde, so war man von dieser Kunst der Verwandlung zusehends gepackt. Die Apathie des irre Gewordenen, die Kaufmann beim Schlusslied «Der Leiermann» demonstrierte, ging unter die Haut. Für diese emotionalen Wechsel steht ihm ein Stimmorgan zur Verfügung, das bruchlos von einem Extrem zum andern gehen kann. Zum Erfolg des Abends trug der Pianist Helmut Deutsch bei, ein Liedbegleiter erster Klasse. Gleichsam als zweites lyrisches Subjekt hat er die Gefühlsausdrücke des Tenors begleitet, verstärkt und ergänzt.






 
 
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