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Klassikinfo.de |
Anton Sailer |
La Traviata, Paris, Palais Garnier, 16. Juni 2007
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Flatrate-Saufen für die Edelhure
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Christoph Marthaler inszeniert
Verdis "La Traviata" an der Opera Garnier in Paris |
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Selten tragen Opern so sehr die Handschrift
eines Regisseurs (und seiner Bühnenbildnerin) wie diese neue "Traviata" im
Palais Garnier in Paris. Das hat manche Pariser offenbar etwas verunsichert,
die mit den Namen Christoph Marthaler und Anna Viebrock nicht vertraut sind.
Man merkte es an den vielen Buhs am Ende der Premiere im morbiden Ambiente
des alten Palais Garnier, das noch bis 2009 zu Gerard Mortiers Reich gehört
(er geht dann an die New York City Opera).
Und natürlich spielt diese "Traviata" nicht im 19. Jahrhundert. Die Kostüme
erinnern an Dior-Roben aus den 1950er-Jahren. Die Bühne ist ein leerer Raum
mit dem (höherliegenden) leinwandlosen Portal eines alten Kinotheaters im
Hintergrund. Im 1. Akt singt Alfredo dort sein Ständchen, im letzten blickt
man durch die offene Wand ins Zimmer der todkranken Violetta.
Statt des rauschenden Festbildes beginnt die Oper mit dem Einzug der Gäste
in die Garderobe des Theaters. Bald geht der Garderobier unter der Last der
auf ihn geworfenen Mäntel zu Boden. Es folgt ein absurdes spastisches
Bewegungsballett einer gestörten Chor-Gesellschaft mit vier Tänzern an der
Spitze. (Dass die unterm schwarzen Pelzmantel halbnackte Edelhure sich
später - im zweiten Bild des 2. Akts - mit Champagner bewusstlos trinken
wird, kann man schon ahnen.)
So in sich stimmig und unverwechselbar das alles ist, wirklich packend und
tiefschürfend wird es nur in wenigen Momenten. Dazu bleibt die
Personenführung zu vordergründig und besonders im Landhaus-Bild des 2.
Aktes, wenn die leergeräumte Bühne Platz zum Agieren böte, erstaunlich steif
und statisch, verliert sich im Erfinden von nebensächlichen Details wie dem,
dass Alfredo Germont zu Beginn des Bildes versucht, einen kaputten
Rasenmäher zu reparieren. Auch dichtet der Regisseur seinen Personen manches
an, was die Musik so nicht sagt. Wenn Vater Giorgo Germont (José Van Dam)
auftritt, hört man in Verdis Musik den steifen Bürger. Bei Marthaler wird er
zum bitterbösen Alten. Van Dam, der mit den Höhen der Partie seine liebe Not
hat, unterstreicht das ungewollt durch unflexibles Phrasieren. Jonas
Kaufmann hingegen hat mit seiner kräftigen und in den Akuti sicheren Stimme
keine Mühe, auch den lyrischen Grundton der Partie des Alfredo
hervorzuzaubern.
Über weite Strecken unbefriedigend bleibt überraschenderweise auch Sylvain
Cambrelings Dirigat, das die Handlung vor allem im 2. Akt mit schleppenden
Tempi und schwerem Schlag zerdehnt und erst gegen Ende einen strafferen
Zugang findet.
Gelungen ist Marthaler das Fest bei Flora Bervoix: Diese hurige blonde Flora
(Helene Schneidermann) wird man ebenso im Gedächtnis behalten wie die
poltrige Annina (Michèle Lagrange) des Landhaus-Bildes, die beide in
gängigen Inszenierungen im Neben-Rollen-Nebel verschwinden. Hier erhebt sich
auch der Chor auf das Niveau einer karikierenden Gesellschaftskritik. Seine
Bewegungsanfälle erzählen von einer "normalen" Bürgers-Halbwelt, in der im
Grunde alle reif für Trinkerheil- und andere Heulanstalten sind.
Zum Heulen gut ist auch die kranke und gekränkte Violetta, das Kraftzentrum
des Abends. Christine Schäfer spielt und singt die von Anfang an zum Leiden
und Erniedrigtwerden verurteilte Person, die weder in der gestörten
Spaßgesellschaft, noch in der Bürgerwelt des alten Germont ihren Platz hat,
mit unnachahmlicher Intensität und makelloser, in allen Lagen und
dynamischen Nuancen sicherer Stimme: Eine kleine, verletzliche Frau, die
nicht zuletzt auch von dem unreifen und unsicheren Jungen, der sich in sie
verliebt hat, zugrundegerichtet wird.
Und doch erreicht diese "Traviata" bei weitem nicht das Niveau der
bedrückenden Milieuschilderung, die Marthalers Salzburger "Katja Kabanova"
aus den 1990er-Jahren auszeichnete. Versuchen wir es positiv zu formulieren:
Hier wurde zumindest versucht, auch in Paris einen Schritt weg vom
historischen Ausstattungstheater zu machen, in dem der Chor nichts weiter
als Kostümstaffage ist. Wie Verdis Oper noch in den 1980er-Jahren im Palais
Garnier niederphantasiert wurde, kann jeder am Modell bewundern, das im
Musée d'Orsay ausgestellt ist. |
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