dradio/kultur
Frieder Reininghaus
La Traviata, Paris, Palais Garnier, 16. Juni 2007
Keine feuchten Männerträume
Podcast, dradio/kultur/mp3 - download: Fazit: Keine feuchten Männerträume
Transkript des Teils, der Jonas Kaufmann betrifft: der alte und der junge Germont waren fantastisch besetzt.....der junge, Jonas Kaufmann, Münchner Tenor, sieht aus wie ein Filmheld aus den späten 50er Jahren und singt mit einer Leichtigkeit Spitzentöne, und springt dabei noch 5 Stufen hoch.
Christoph Marthaler inszeniert Verdis "La traviata" in Paris
Rezensiert von Frieder Reininghaus

Christine Schäfer singt, von der ersten Phrase an, intensiv und mit fast traumwandlerischer Sicherheit, intonationsgenau, nie auftrumpfend - etwas verhalten und schnippisch beim anfänglichen Abwarten. Dann mit dem begeisterten Aroma der aufblühenden Verliebtheit, mit hellem Jubel der Liebe (eine einzige hohe Passage schien die Sopranistin nicht ganz fest im Griff gehabt zu haben - aber was will das heißen bei einer Partie, bei der sie mit nur zwei kurzen Unterbrechungen von Anfang bis Ende auf der Bühne präsent zu sein hat!). Virtuos durchmisst sie die Aggregatzustände von Liebe, Glaube, Hoffnung, bestreitet aber auch nüchtern geschäftsmäßig die Verhandlung mit dem Vater ihres Liebhabers; sie ist auf überzeugende Weise besorgt beim Auftauchen und Entgleisen dieses Alfredo Germond im Salon ihrer Freundin Flora, schließlich zerzagt und doch auch noch einmal willenskräftig kurz vorm allzu frühen Ende.

Auf unterschiedliche Weise auch sehr überzeugend die beiden großen Männer-Partien, die das Leben der Traviata säumen: José van Dam, seit Jahrzehnten als Theater-Bösewicht bewährt und so auch bestens geeignet, die Zwiespältigkeit von Germont Vater vorzuführen, und Jonas Kaufmann als Germont junior im Outfit des Jungfilmstars der späten 50er Jahre, mit leicht geführtem und doch ganz sattelfesten Tenor, dazu sportiven Einlagen des jugendlichen Liebhabers.

Als Giuseppe Verdi das heftige Leben und rasche Sterben der "Traviata" komponierte, der "vom Weg Abgekommenen", die Francesco Maria Piave, sein Textdichter, Violetta Valéry nannte, wagte er eine Grenzüberschreitung der Librettistik: weg von den historischen Stoffen, hin zu einer geschärften Aktualität. Es ging um eine liebenswerte und liebesbedürftige junge Frau, die durch gesellschaftliche Umstände zum Gelderwerb als "Edelkurtisane" genötigt wurde - und die bei Piave/Verdi so ganz und gar nichts Anrüchiges, gar Obszönes hat.

Mit der Wahl des Stoffes und seiner Ausgestaltung durchkreuzten die Urheber die "Vergangenheitsträumerei" des venezianischen Premierenpublikums von 1853. Da aber "La traviata" längst wieder den Komponistenintentionen zuwiderlaufenden Träumereien Vorschub leistet, muss jede auf Werktreue bedachte Inszenierung gegen die Einvernahme der Mademoiselle Valéry in feuchte Männerträume opponieren.

Christoph Marthaler bedient sich wieder einmal einer Rauminstallation von Anna Viebrock: In einer zunächst noch säuberlich intakten Mehrzweckhalle der 1950er Jahre lädt die Valéry - im sittsamen kleinen Schwarzen - zum Fest. Die Gäste drängen sich an der Garderobe, produzieren eine Kette der für Marthaler-Produktionen charakteristischen Fehlleistungen und Peinlichkeiten, die Feierlichkeiten dieser Art eben so schaurig schön machen.

Der Vorhang zur Bühne auf der Bühne geht auf für den theatralischen Liebesschwur Alfredos. Der ungastliche Ort wird später nicht nur von Freundin Flora als Festraum adaptiert, sondern dient auch Violetta und Alfredo als Refugium für die Wochen der kaum ausgelebten Liebe; am Ende, wenn der Karneval seine Müllspur hinterlassen hat, stirbt Violetta hier den Bühnentod.

Wie Marthaler die Moralität des Werks, die (Selbst-)Täuschungen der Protagonisten, eher beiläufig das heikle Thema von Geld und Liebe, die Zeitumstände ("Zeitumständlichkeit") und das Kolorit des Pariser Vor-Februars vorführt, schließlich die in der "Traviata" spezifisch überhöhte Art des "Liebestods" transponiert - und wie Sylvain Cambreling die Partitur mit herzenswarmer Trockenheit, konzilianter Präzision von einem Orchester in höchster Spiellaune ausführen lässt: das alles sorgt für eine der besten Opern-Produktionen der Saison 2006/07. Opern-Berlin sieht matt und krank aus gegen die lebenskräftige Dekadenz in Paris - jedenfalls ziemlich provinziell.






 
 
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