|
|
|
|
|
Der Bund, 23.10.2007 |
Tobias Gerosa |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
|
Wann ist ein König ein König?
|
Die Märchenoper «Königskinder»
am Opernhaus Zürich ist ein musikalischer Hochgenuss. |
|
Engelbert Humperdincks «Königskinder» erleben am
Opernhaus Zürich eine stimmige und dichte Wiederaufführung nach fast 100
Jahren. Mit Ingo Metzmacher führt sich ein Kandidat für den
Chefdirigentenposten höchst überzeugend in Zürich ein und leitet
klangsensibel und mit überlegten Bögen ein hervorragendes Ensemble.
«Märchenoper in drei Aufzügen» nannte Engelbert Humperdinck seine
«Königskinder», die 1910 in New York ihre triumphale Uraufführung erlebten.
Die Handlung folgt einem zeitgenössischen Kunstmärchen, das sich um die
Frage dreht, was denn einen König ausmache. Der Königssohn wird darin zum
Aussteiger, der die Welt kennen lernen will: Die richtigen Eltern zu haben
reicht nicht, um König zu werden, ist er überzeugt. Er verliebt sich in eine
Gänsemagd, die beiden werden vom Volk aber nicht erkannt, weil dieses sich
den König ohne prächtiges Gespann schlicht nicht vorstellen kann. Als Krone
kauft sich das Liebespaar ein verzaubertes Brot und erfriert verklärt. Die
Musik dazu folgt in einer aparten Mischung von Romantik, Wagner- und
Debussy-Nähe sowie Volksliedern einem ganz eigenen Stil.
Verlegung ins Heute
Regisseur Jens-Daniel Herzog, der in Zürich mit einigem Erfolg schon Wagner,
Tschaikowski und Händel inszeniert hat, holt das Märchen ins Heute
(jedenfalls fast: Es spielt irgendwo zwischen den Siebzigerjahren und 1990,
so suggeriert es die Ausstattung) und nimmt ihm die Zauberelemente. Statt
Zaubersprüche aufzusagen und Tränke zu brauen unterhält die Hexe hier eine
Hanfzucht; der Spielmann – ein Vermittler zwischen der Gesellschaft und den
feinfühligen Kindern, von Oliver Widmer mit Wärme gesungen – ist hier
offenbar nicht ganz unbekannt. Als «Grossmutter» der Gänsemagd aber erzieht
sie diese in Isolationshaft und hält sie unter strenger Kontrolle. So anders
als die Gesellschaft der Stadt Hellabrunn ist die Hexe aber gar nicht, das
zeigt sich im zweiten Akt.
In einer unwirtlichen Turnhalle (Ausstattung: Mathis Neidhardt) versammelt
sich die Bevölkerung, um zu Hamburgern aus dem Papiersack dem hohen Rat zu
lauschen. Das einzige Problem der wohlgenährten Gesellschaft: Es fehlt ihr
der König – und ein Ziel, wie?die (nicht sehr deutlich werdenden)
Kinderszenen zeigen.
Mit dem Konzept des inneren Königtums, an dem der Königssohn in der
Gänsemagd seine Königin erkennt, geht das nicht zusammen: Der als Knecht
arbeitende Königssohn und die Stadtgesellschaft geraten aneinander. Mehr als
die kaum zwingende Aktualisierung überzeugen die Genauigkeit und das
Gleichgewicht zwischen Humor und Ernsthaftigkeit.
Ein Traumprinz
Ob die Hexe als strenge Business-Lady (Liliana Nikiteanu), ob die
liebevoll-schrullig gezeichneten Kleinbürger (Volker Vogel als Besenbinder,
Reinhard Mayr als Holzhacker), die aufsässige Wirtstochter (Martina
Welschenbach holt viel aus dieser Nebenfigur!) oder der Chor: Die stimmigen
Figuren interagieren, auch wenn sie gerade nicht singen. Äusserliche
Handlung gibt es in den langen Szenen wenig, dafür haben Regie und
Darsteller intensiv an den Personenkonstellationen gearbeitet. Einmal mehr
erweist sich das breite Zürcher Ensemble bis zu den kleinsten Rollen als
grosser Pluspunkt.
Beim zentralen Paar führt die Genauigkeit zur nötigen Konzentration. Zwar
fehlt Isabel Rey das lyrische Fundament der Stimme (hier klafft im Zürcher
Ensemble einfach eine Lücke), manchmal droht sie darum spitz zu klingen,
aber mit ihrem Spiel und vor allem den berückenden leisen Tönen macht sie
das längst wett. Überstrahlt wird ihre Leistung allerdings vom schlicht
superben Jonas Kaufmann als Königssohn. Natürlich in seinem Spiel, mühelos
in den heldischen Attacken wie in den lyrischen Linien, mit einem Piano
voller Schmelz: ein Traumprinz!
Die Visitenkarte des Dirigenten
Mit Ingo Metzmacher stand wieder einmal ein neuer und bekannter Dirigent am
Pult des?Opernhausorchesters. Sein Name ist mit dem frei werdenden
Chefdirigentenposten in Verbindung gebracht worden. Die «Königskinder» als
Bewerbung überzeugen: Metzmacher sucht mit dem sehr aufmerksam mitgehenden
Orchester eindrücklich immer wieder die Feinheiten der Partitur und gerät in
keinem Moment in Gefahr, in die Süsslichkeit abzurutschen. Sensibel spürt
Metzmacher dem Klangkolorit nach, lässt die Musik wo nötig auch aufbrausen
und behält dabei die Balance.
Wenn trotz all dem leise Vorbehalte bleiben, dann gegenüber dem Stück, das
sich mit dreieinhalb Stunden Länge weit darüber hinaus ausbreitet, was es
eigentlich zu sagen hat. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|