Opernwelt, Juli 2006
Thomas Rothkegel
Smetana: Die verkaufte Braut, Frankfurt, Vorstellung vom 27. Mai 2006
Tief im Spießermief
Blauweiße Kacheln mit Herzchenmuster. Weißes Giebelfachwerk, Krüge schwenkende Bauern. Eine Wiederauflage von Heinz Schenks legendärem «Blauen Bock»? Beinahe! Stein Winge inszeniert an der Oper Frankfurt Bedrich Smetanas «Verkaufte Braut». Der norwegische Regisseur verpflanzt die tschechische Festoper par excellence in eine spießige Tümelei. Kostümbildner Jorge Jara hat viel deutsches Nachkriegsfernsehen geschaut: Damen mit Hochfrisuren schwenken in Kittelschürzen oder hochgeschlossenen Kleidern Wisch­mobs. Die Herren im Blaumann oder in grau-braunen Hochwasserhosen und Feinrippunterhemden stemmen Bierseidel. Das schaute zu Beginn alles noch ganz ver­gnüglich aus. Was hätte nicht alles daraus werden können?! Eine hochkomische Parodie auf den Mief der fünfziger Jahre, eine bitterböse Satire auf eine Spieß­bürgerlichkeit, wie sie der österreichische Zeichner Deix so drastisch zeigt.

Doch Stein Winge springt in Frankfurt zu kurz: Die Ironiesignale sind schwach. Seine «Verkaufte Braut» wird keine Karikatur des Spießertums, sondern bleibt tief im Mief stecken. Und so wird alles Klischee: Die Eltern Maries, der Titel­figur, sind vertrottelt. Ihr Geliebter Hans ist ein Beau mit Charme, der Heiratsvermittler Kecal der Typ schmieriger Gebrauchtwarenhändler.

Dabei zitiert das Programmheft in Frankfurt völlig zutreffend Alfred Einstein mit dem Satz «Es sind Menschen, keine Opernpuppen». Das trifft an diesem Abend jedoch einzig auf Wenzel zu, den stotternden Halbbruder von Hans, auf dessen Kosten der Witz gehen soll. Carsten Süß zeichnete ein echtes Wesen mit echten Gefühlen, das unter der Verachtung der im Takt stampfenden Gesellschaft und seiner Familie leidet. Komik kam erst mit dem Auftritt der Zirkustruppe im dritten Akt auf. Veritable Artisten und Clowns fahren mit einem altersschwachen VW-Bus durch die Kachelwand, die die ganze Bühne umschließt: der Einbruch einer anderen Welt. Dass Wenzel am Ende mit dem bunten Volk wegfährt und Marie ihm, wie plötzlich von der Möglichkeit eines anderen Lebens aufgeschreckt, nachwinkt, war einer der wenigen wirkungsvollen, die scheinbare Vordergründigkeit der Handlung hinterfragenden Momente des Abends.

Musikalisch bescherte er großes Glück: Roland Böer, seit 2002 Kapellmeister in Frankfurt, setzte mit dem Museumsorchester auf eine gelungene Mischung aus schwungvoller Folklore und Wagner’scher Diktion. Schon die Zeitgenossen hatten Smetana nicht ganz zu Unrecht Wagnerismus vorgeworfen. Der Chor sattelfest, wenn auch an einigen Stellen nicht immer ganz mit dem Graben koordiniert. Maria Fontosh bezauberte als Marie mit ihrem warm timbrierten lyrischen Sopran, der bisweilen dramatische Anklänge hat, nicht nur ihren Hans. Jonas Kaufmann sang ihn souverän, in den Höhen schon stählern dramatisch, in den mittleren und tieferen Lagen warm und flexibel. Seinem Bruder Wenzel verlieh Carsten Süß Statur und Stimme. Vielleicht der feinsinnigste Sänger des Abends. Er entlockte seiner äußerst kultivierten Stimme eine reiche Palette an Klangfarben, selbst noch im Piano. Gregory Frank beeindruckte als Kecal durch sein komisches Talent und noch mehr mit seinem grundsoliden Bass. Das restliche Ensemble in bester Verfassung. Musikalisch ein pures Vergnügen, feinfühlig und subtil. Am Schluss senkte sich wieder der blauweiße Kachelvorhang der Tümelei.

Smetana: Die verkaufte Braut.
Premiere am 21., besuchte Vorstellung am 27. Mai 2006.
Foto: Monika Rittershaus






 
 
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