Tages-Anzeiger, 26. 4. 2005
Susanne Kübler
Mozart: La clemenza di Tito, Zürich, April 2005
Die Musik zum Sprechen bringen
Mozarts «La Clemenza di Tito» ist ein Werk, das aus jedem Rahmen fällt. Im Zürcher Opernhaus war das eher zu hören als zu sehen.
In den Wörterbüchern gilt Vollkommenheit als Synonym für Perfektion, auf der Bühne öffnet sich eine Kluft zwischen den Begriffen. Es ist durchaus nicht perfekt, wie Vesselina Kasarova in der Hosenrolle des Sesto hinter dem Orchester hersingt, wenn dieser sich aufmacht, den Kaiser Tito umzubringen. Aber vollkommener könnte man das innere Drama dieses Sesto nicht darstellen. Zerrissen zwischen der Freundschaft zu Tito und der Liebe zu Vitellia, die ihm das Attentat befiehlt, täte er alles, um sich nicht entscheiden zu müssen. Sogar das Orchester bremsen.

Abhängigkeit und innere Freiheit - das zentrale Thema von «La Clemenza di Tito» hat auch die Entstehung des Werks geprägt. Mozart komponierte es 1791, wenige Monate vor seinem Tod, als Auftragswerk für die Krönung Leopolds II. zum böhmischen König. Er griff dafür auf ein Metastasio-Libretto zurück und damit auf die Form der Opera seria, die damals schon längst aus der Mode gekommen war. Er setzte noch einmal einen Kastraten ein (eben in der Rolle des Sesto), obwohl auch diese Stimmgattung am Ende war. Und er erzählte eine Geschichte, die ihre Aktualität ebenfalls verloren hatte: Ein Herrscher, der in übermässiger Milde einer unwilligen Liebe viel Glück mit einem anderen wünscht, der den Verrat des Freundes verzeiht und die Intrigen seiner Beinahe-Gattin entschuldigt, passte kaum mehr in die Zeit der Französischen Revolution.

Straff und frei
Das Werk sei schon zu seiner Entstehungszeit ein Relikt gewesen, befand deshalb noch Wolfgang Hildesheimer in seiner Mozart-Biografie von 1977. Erst in den letzten Jahren hat man es allmählich als mozart-würdig anerkannt, als eine Oper, die sich der alten Formen mit beträchtlicher Freiheit bedient. Denn «La Clemenza di Tito» ist alles andere als eine klassische Opera seria: Zahlreiche Arien wurden gestrichen, dafür kamen Ensembles dazu; die Personen, die im Original der Reihe nach ihre Seelenzustände offenbaren, kommen ins Gespräch miteinander. Caterino Mazzolà habe durch seine Bearbeitung des Librettos «eine wahre Oper» aus dem Metastasio-Stück gemacht, hat Mozart einst geschrieben. Auch er hat die Tradition nicht als Tradition zelebriert, sondern sie den aktuellen Bedürfnissen angepasst.

Es ist in diesem Sinn keineswegs ein Sakrileg, wenn Franz Welser-Möst die nicht von Mozart stammenden, stets als uninspiriert kritisierten Rezitative kurzerhand gestrichen hat. Stattdessen sprechen die Sänger die von Iso Camartin leicht gekürzten und modernisierten Texte. Der musikalischen Geschlossenheit der Aufführung tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Welser-Möst dirigiert, als ob er den sprechenden Gestus auch in die Musik hineintragen wollte: Straff, wo es sein muss, frei, wo es sein kann, und insgesamt mit einer Natürlichkeit, als ob er alle Vorurteile gegenüber der Steifheit der Opera seria widerlegen wollte. Dass insbesondere die Bläser ihre attraktiven Partien zu geniessen wissen, zeichnet sich schon in der Ouvertüre ab, und der Kontakt zur Bühne ergibt sich ungezwungen. Und einwandfrei, wo der Inhalt nichts anderes verlangt.

Die Sängerinnen und Sänger wissen die Vorlage zu schätzen, nicht nur die grossartige Vesselina Kasarova, die mit einer Nuance, einem winzigen Zögern oder einem kleinen Leuchten in der Stimme Welten auftun kann. Jonas Kaufmann zeigt Tito als perfekten, aber nicht vollkommenen Herrscher; immer wieder lässt er die unbeirrbare Güte irritierend wirken. Er ist ein bisschen Dandy, ein bisschen Macho (wie schon kürzlich als Nero in der «Poppea»), und vor allem ist er ein ausdrucksstarker Sänger und Sprecher. Unverkrampft gestaltet er, mit starkem, variablem Tenor, und einzig ein paar Koloraturen weisen darauf hin, dass diese Partie ihre Tücken hat.

Modernistische Kosmetik
Eva Mei dagegen ist gerade bei den Koloraturen in ihrem Element. Zierlich wirkt ihre Vitellia, wenn sie singt, und zickig, wenn sie spricht (die italienische Muttersprache ist zweifellos ein Vorteil). Einen starken Auftritt hat auch Liliana Nikiteanu als expressiv verzweifelter Annio. Und dann gibt es noch Malin Hartelius als virtuos liebreizende Servilia und Günther Groissböck, der den gestrengen Publio mit warmem Bass schon fast zum Sympathieträger macht: Am vokalen Niveau ist wieder einmal rein gar nichts auszusetzen.

Die Regie von Jonathan Miller, der mit Welser-Möst in Zürich schon die «Zauberflöte» und die «Entführung» herausgebracht hat, fällt dagegen wieder einmal ab. Zwar hat die Ausstatterin Isabella Bywater einen stimmungsvollen Einheitsraum gebaut - mit einem drehbaren, römisch stilisierten Turm mit spiralförmiger Treppe und mit halb transparenten Aussenwänden, auf denen nach Sestos Anschlag die Flammen lodern. Aber dass die Protagonisten Kostüme aus dem Italien der 30er-Jahre tragen, hat nichts mit Aktualisierung und schon gar nichts mit Interpretation zu tun. Es ist modernistische Kosmetik, also das Gegenteil dessen, was Mozart mit seiner Komposition vorgeführt hat.

Immerhin: Es ist eine gewisse Regieleistung, die Abwesenheit zündender Ideen nicht mit Gags zu überspielen. Miller lässt den Figuren ihren Raum, diese wissen auch im Stehen etwas anzufangen mit sich, und der Chorauftritt ist nicht nur musikalisch erfreulich, sondern auch szenisch sorgfältig gestaltet. Die Buhs, die es nach der Premiere gab, wären bei anderen Inszenierungen schon dringender gewesen. Es gibt Schlimmeres als eine schöne konzertante Aufführung in stimmigem Rahmen.
 
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