Zürichsee-Zeitung, 26. 4. 2005
Werner Pfister
Mozart: La clemenza di Tito, Zürich, April 2005
Zwischen Mozart und Mussolini
«La clemenza di Tito» von Mozart erneut am Opernhaus - zum ersten Mal mit gesprochenen Rezitativen
 
Wo immer «La clemenza di Tito» auf die Bühne kommt, stets muss sich diese Oper verteidigen. Muss nicht gerade ihre Unschuld beweisen, aber ihre Existenzberechtigung, Ihre Lebensfähigkeit. In der Zürcher Neuproduktion tut sie das zumindest musikalisch mit hinreissend überzeugenden Argumenten.

Eigentlich war es bereits ein verstaubtes Gipsfigurenkabinett - jenes Personen- und Affekt-Arsenal nämlich, aus dem die Gattung der «Opera seria» jahrzehntelang ihre barocken Bühnen-Allegorien zusammenzubasteln pflegte und auf das Mozart im Sommer 1791 wiederum zurückgriff, als gälte es, ein längst versunkenes Zeitalter noch einmal neu aufleben zu lassen. Genau das ist seither die Frage, wenn über «Tito» diskutiert wird: Wie viel Leben in diesen Opernfiguren wirklich steckt - oder eben nicht mehr steckt.

Die Antwort, die Regisseur Jonathan Miller in seiner Zürcher Neuinszenierung gibt, ist eindeutig: Diese Figuren bersten beinahe vor lauter Emotionen, tragen in sich selber, aber auch in Konfrontation miteinander einen veritablen Krieg der Gefühle aus, und das einen ganzen Opernabend. Statt äusserer Handlung, in die alle Figuren verstrickt wären, statt dieser komplizierten Handlungsmechanik der «Opera seria» mit ihren vielfach und zuweilen ins Unglaubliche verschlungenen Um- und Nebenwegen inszeniert Jonathan Miller fast ausschliesslich das Innenleben der Figuren. lm Vordergrund stehen die individuellen Gefühle, die Handlung ist in den Hintergrund - und dort ins Andeutungshafte - verbannt.

Sprechen und Singen
Unterstützt wird diese szenische Individualisierung und Emotionalisierung durch die Dialogfassung, die Iso Camartin speziell für die Zürcher Neuinszenierung erstellt hat. Bekanntlich komponierte Mozart die vielen Rezitative der Oper nicht selber (weil er sie für nebensächlich hielt?), sondern überliess das einem seiner Schüler (möglicherweise Süssmayr). Da sie nachweislich nicht das künstlerische Niveau von Mozarts eigener Musik haben, ist die Idee, diese Rezitative in stark gestraffter Form als gesprochene Texte zu inszenieren, nicht a priori absurd. lm Gegenteil, es funktioniert nahtlos. lm gesprochenen Theater begegnen sich die Figuren; hier geraten sie - von Jonathan Miller mit subtiler Zurückhaltung, ja mit augenfälliger Zartheit inszeniert - aneinander, hier kommt es zu Konflikten. Sobald indes die Musik einsetzt, klingt ausschliesslich das Innere der Figuren an, eröffnen sich Seelen- und Gefühlswelten in Tönen; die Handlung bleibt stehen, das Theater wird statisch. Wie gesagt, das ist mit einer Zartheit inszeniert, die einige Premierenbesucher offenbar mit einfallsloser Langeweile verwechselten und den Regisseur zum Schluss kräftig ausbuhten: nicht ganz zu Recht, wie ich meine.

Kannitverstan
Die Szene spielt nicht im antiken Rom, sondern, den Kostümen nach zu urteilen - die Frauen in luxuriösen Abendkleidern, die Männer in hochgestiefelten Uniformen -, im Rom der zwanziger oder dreissiger Jahre. Zuweilen sieht die Ausstattung ein bisschen nach Mussolini-Operette aus. Dieser Eindruck wird optisch durch den dreh- und über eine spiralförmige Rundtreppe auch begehbaren Turm unterstützt, der klotzig in der Bühnenmitte thront: faschistische Architektur nennt man das wohl.

Was das allerdings mit Mozart zu tun hat, mit der «clemenza» von Titus, also seiner Milde, seiner Güte, das will nicht einleuchten. Und noch weniger überzeugt das «lieto fino» dieser Inszenierung: Eigentlich stehen alle vor einem Scherbenhaufen; Freundschaftsschwüre und Liebesbeziehungen sind gebrochen und zerstört worden; jeder ist zum Schluss allein gelassen in seiner eigenen Einsamkeit gefangen. (Titus singt sogar von diesem Schicksal der Einsamkeit); todtraurig das Ganze. Aber davon ist auf der Bühne nichts zu sehen, sondern das pure Gegenteil: Gleich zwei Ehen stiftet Titus, nonchalant und lässig und längst nicht mehr milde und gütig aus löblicher Herrscher-Weisheit, sondern aus dröger Dummheit. Kannitverstan.

Wolkenlos
Musikalisch indes ist diese Neuinszenierung ein einziges Juwel. Das beginnt mit dem ersten Takt der Ouvertüre, beginnt mit Franz Welser-Möst und dem Orchester der Oper Zürich, verhältnismässig klein besetzt (zwei Kontrabässe, vier Celli etc.), aber umso deutlicher, echt «wortgewandt» artikulierend, dass es eine pure Freude ist. Hier kommt die Affektsprache Mozarts zu ihrem vollgültigen Recht; hier herrscht ein wolkenloses Perfektionsklima des Musizierens - das überzeugendste Argument für die Lebensberechtigung dieser Oper. Alles ist ausgewogen und aufwühlend zu gleichen Teilen, auch in den Extremen der Exaltation; Mozart alles andere als penibel und proper und putzig, sondern voll von kraftstrotzender, muskulöser Dramatik.

Ebenso überzeugend die Sängerinnen und Sänger, ideal besetzt alle Rollen. Vesselina Kasarova als Sesto loben hiesse, Eulen nach Athen tragen, ist er doch längst eine ihrer Favoritrollen. Dennoch; die pure stimmliche Glut, das pathetische Aufbegehren in ihrem humanen Timbre, die samtweichen Piani einer fast stimmlosen Verzweiflung, dazu ein schauspielerisches Talent der Sonderklasse - das alles ist hinreissend und macht das Zuhören und Zuschauen zum überwältigenden Erlebnis.

Authentisch
Kaum ein Tenor reisst sich um den Titus (bereits der Sänger der Uraufführung beklagte sich, weil Mozart ihn mit einer ungünstigen Partie bedacht habe) - Jonas Kaufmann indes, der sie in dieser Neuproduktion zum ersten Mal singt, hat damit eine ideale Partie gefunden. Die metallisch geschärften Höhen seiner Stimme, ihre pure Durchschlagskraft, aber auch ihre Koloraturgewandtheit und überhaupt der baritonale Glanz seines Tenors kommen hier zu bester, gleichsam zu «authentischer» Entfaltung. Ein glorreiches Debüt. Das gilt auch für Liliana Nikiteanu als Annio, wo sich jugendliches Draufgängertum und spontane Aufrichtigkeit des Singens ideal ergänzt, makellos in der Stimmführung, klug in der Phrasierung, stilsicher im Ausdruck.

Auch Eva Mei debütiert in der Rolle der Vitellia. Faszinierend ihre klare, dabei nie ausdruckslose, sondern zu imposanten dramatischen Steigerungen fähige Sopranstimme; und wenn sie da und dort etwas unterkühlt klingen mag, passt das zur (stolz zur Schau gestellten) Unnahbarkeit dieser Vitellia. Malin Hartelius gibt die Servilia mit anrührender Natürlichkeit, und Günther Groissböck - er singt den Publio ebenfalls zum ersten Mal - vervollständigt mit seinem kernigen, aber gleichwohl kantablen jungen Bass dieses ideale Mozart-Ensemble durchaus adäquat.


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