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Der Landbote, 21. 2. 2005 |
Torbjörn Bergflödt |
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
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Glück, Tugend oder eine Liebe zur Pizza
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Monteverdi revisited, Folge
zwei: Nach Harnoncourt-Grübers «Ulisse» zeigt das Zürcher Opernhaus nun
Harnoncourt-Flimms Version der «Poppea». Ein schlüssiger Abend, weich und
aufgeraut, der allerdings, was die Regie von Jürgen Flimm betrifft, nur
wenige Tiefendimensionen aufreisst. |
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Es ist nicht so, dass Werke des «Divino Claudio»
nicht vorher schon zur Neudiskussion gestellt worden wären. Aber die
Monteverdi-Aufführungen in historisierender Lesart am Opernhaus Zürich unter
der Intendanz von Claus Helmut Drese in den siebziger Jahren hatten doch
eine Signalwirkung und Schubkraft besonderer Art. Mit den drei erhaltenen
Opern sowie mit den «theatralen» Stücken aus dem Achten Madrigalbuch gelang
es dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und dem Regisseur Jean-Pierre
Ponnelle, den Komponisten ins Bewusstsein eines breiten Publikums zu rücken.
Inzwischen ist Monteverdi keine Rarität auf der Opernbühne mehr; gerade die
jüngste Zeit hat gezeigt, dass die Pflege seiner Werke zum Courant normal
geworden ist.
Anstatt sie aus ihrer Handlungszeit heraus zu entwickeln, werden freilich
die Opern heute meist lieber zur Jetztzeit aufdatiert. So ist das korrupte
alte Rom von «L'incoronazione di Poppea» schon mehrfach in die (womöglich ja
noch verdorbenere) Gegenwart transponiert worden, und ohne antikisierenden
Faltenwurf hat auch Jürgen Flimm nun die Oper in Zürich inszeniert. Neros
«domus aurea» ist bei Flimms Bühnenbildnerin Annette Murschetz eine moderne
römische Villa, die Menschen von der gehobensten Schicht bis zur
Dienerschaft beherbergt. Die von Kostümbildnerin Heide Kastler entsprechend
typisierten Leute kommen mit ihrem Ehe- und Triebleben, mit ihren
Machtgelüsten beziehungsweise Ohnmachtsgefühlen nicht klar. Die kaputte Ehe
zwischen Nero und Ottavia scheint vor allem dem Ennui der Upper Ten
geschuldet. Da hat es die schöne Poppea leicht, Nero zu erobern, der wie ein
machistisch-schnöseliger und hormonbeduselter Jungmanager ohne Bodenhaftung
und Selbstkontrollmechanismen im Haus residiert.
Die mit verführerischem Schwarz aufwartende Ottavia, versengt von
Eifersuchtsgefühlen, verdient (auch bei Flimm) nicht unser ungeteiltes
Mitleid, stiftet sie doch, bevor sie von Nero in die Verbannung geschickt
wird, Poppeas gehörnten Ehemann Ottone an, die diesem noch immer teure
Gattin umzubringen.Drusilla, Ottones verstossene und nun wieder installierte
Geliebte, hilft dabei bereitwilligst, aber der Liebesgott vereitelt den
Anschlag.
Gute und schlechte Anteile
Die Oper «Poppea», geschrieben für das zweite bürgerliche Theater Venedigs
und uraufgeführt 1642 oder 1643, verlässt die myth(olog)ische Stofftradition
und behandelt ein realgeschichtliches Thema. Dieses bleibt allerdings nicht
Selbstzweck. Denn die Menschen, die der Librettodichter Giovanni Francesco
Busenello in dem dreiaktigen Charakter- und Intrigendrama mit Prolog auf die
Bühne stellt, sind letztlich die reichen Fürsten und die Politiker Italiens.
(Solche Kritik war bei zahlendem Publikum in der Republik Venedig offenbar
möglich.) Die neuerliche Aktualisierung durch Flimm zielt insofern durchaus
nicht an der Idee des Werks vorbei. Wie die Geschichte vom römischen
Kaiserhof in die Gegenwart geholt ist, erscheint in sich schlüssig. Auch
werden durch die Art, wie der Regisseur seine Figuren charakterisiert, diese
nicht denunziert. Was sich mit Monteverdi-Busenellos Welttheater trifft, in
dem die Leute nicht schwarz-weiss gezeichnet sind, sondern schlechte und
gute Anteile gemischt aufweisen.
Ein Problem ist indes, dass einem Personal und Ausstattung zu bekannt
vorkommen, als dass noch viel Erkenntniszuwachs oder gar moralische
Erschütterung möglich wäre. Mehr als eine anstrengungsfrei konsumierbare
Gesellschaftskritik setzt uns Flimm kaum vor. Per Drehbühnenmotor werden
Räume des mondänen Hauses heran- und wieder weggefahren, die ihre Rätsel
schnell preisgeben. Schöner wohnen und beiwohnen: Das Schlafgemach von Nero
und seiner Geliebten zum Beispiel zeigt elegante Kühle und etwas verruchtes
Rot. Noch Fragen? «Fortuna», «Virtù» und «Amore», die das Spiel
anschiebenden allegorischen Personifikationen aus dem Prolog, durchwandern
den Abend in wechselnder Aufmachung und Funktion, von der kleinen Putzequipe
bis zur Pizzeria-Crew. Gut gemacht, gewiss. In seiner Sofortverdaulichkeit
aber auch ein etwas banaler Einfall. Ein Running Gag: die Schlafsucht von
Vertretern unterer Chargen, etwa eines der Wachsoldaten. Dass uns die
hinzuerfundene Assistentin der Göttinnen wie ein Scriptgirl vorkommt, ist
kaum zufällig: Diese «Poppea» beerbt das Kino.
Jemand wahrt das Potenzial zur produktiven Irritation und lässt spannende
Deutungsreste offen: Die in der Tat «stoische» Art und Weise, wie Seneca
gezeichnet wird, der Philosoph und Dichter und Lehrer Neros, der auf dessen
Befehl in den Freitod geht, hebt diese Gestalt aus ihrer
zeitgeistgesättigten Umgebung heraus und gibt ihr etwas Verstörendes. Der
mit sonor strömendem Bass singende Laszlo Polgar hat die Chancen genutzt für
eine gesammelte, kraftvolle Interpretation.
Sprechen und Singen
Einer der Vorteile der szenischen Umsetzungsweise ist die zwanglose
Souplesse, mit der sich das zahlreiche Personal zusammenführen und
aneinander vorbeiführen lässt. Dabei offenbarte sich an der Premiere ein
hohes darstellerisches Niveau. Zwar hatte Opernhaus-Direktor Alexander
Pereira das Pech, die krankheitsbedingte Abwesenheit von Vesselina Kasarova
vermelden zu müssen. Die Sängerin, die als Penelope im «Ulisse» überzeugt
hatte, wurde kurzfristig ersetzt durch Juanita Lascarro. Dieser Sängerin
gelang es (trotzdem), bei Poppea das Sowohl-als-auch von Machtgier und warm
durchpulster Liebe fühlbar zu machen. Der Part des Nero, den man heute
mit verschiedenen Stimmfächern besetzt, wurde hier vom Tenor Jonas Kaufmann
verkörpert, der sein sehr ansprechendes Organ mit grosser
Selbstverständlichkeit im Monteverdischen Idiom bewegte. Anrührend
gelang es der Sopranistin Francesca Provvisionato, die «affetti» zu
entbinden in den zwischen Sprechen und Singen aufgespannten «Klangreden» der
gequälten Ottavia. Mit wendiger Stimme sang der Countertenor Franco Fagioli
in der Rolle des fleissig klagenden Ottone. Überzeugend wirkten auch Sandra
Trattnigg als Drusilla, Andreas Winkler als der Mozarts Cherubino
vorwegnehmende jugendliche Valletto und Eva Liebau als seine Freundin,
Kismara Pessatti als Ottavias Amme, Rudolf Schasching als Neros
Dichterfreund Lucano und weitere Interpreten. Mit quecksilbrigem
Spieltemperament gestaltete der als «haute-contre» im französischen Fach
erfahrene Jean-Paul Fouchécourt die Rolle von Poppeas Amme Arnalta. Gregory
Limburg von den Zürcher Sängerknaben sang mit erstaunlichem Können die
Partie des «Amore». Die Differenz im Volumen zu Irène Friedli («Virtù») und
Eva Liebau («Fortuna») war dennoch zu gross, wobei Harnoncourt es
überraschenderweise auch zuliess, dass das Orchester den Knabensopran einmal
gnadenlos zudeckte.
In der «Poppea» agiert nicht mehr das farblich ungemein reichhaltig
aufgefächerte «Intermedienorchester» wie noch im «Orfeo» von 1607. Das
Instrumentalensemble entspricht im Vergleich hiermit mehr einer stark
aufgestockten Continuo-Besetzung. Nikolaus Harnoncourt befeuerte das immer
noch vielfältig besetzte Originalklang-Orchester «La Scintilla» des
Opernhauses Zürich mit seinem taktstocklos gestischen Dirigierstil in
nimmermüdem Elan, Einsatzimpulse nach hierhin, dorthin und dahin entsendend.
Es resultierte ein Klangbild zwischen linearem Melos und gezackter
Affektrhetorik, perkussiver Aufgerautheit und weichem Sichverströmen.
Foto: Hermann und Clärchen Baus |
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