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Westdeutsche Allgemeine
Zeitung |
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Die Entführung aus dem Serail, Salzburg 2003
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Wenn das Wohnzimmer zum Serail wird
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Eklat bei Mozarts "Entführung" in Salzburg |
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Was wären die Salzburger Festspiele ohne ihren alljährlichen Eklat?
Diesmal forderte eine furiose Neudeutung der "Entführung aus dem Serail"
kräftige Buhrufe heraus, und eine tief dekolletierte Dame stieß im
Hinausstürmen immer wieder "Mist!" hervor. "Mist!"
Immerhin hatte sie erleben müssen, wie der Held Belmonte "Scheiße" sprach,
und am Ende, wenn alle glücklich vereint sein sollten, fiel vernehmlich
das Wort "Drecksau". Die "Entführung" ist an sich schon eine heikle Sache,
jedenfalls heute, in Zeiten politischer Korrektheit. Für Mozart war sie
ein Reflex auf 100 Jahre Türkenherrschaft in Wien. Zugleich spiegelte sich
in der Geschichte seine eigene bedrohte Liebe; die Heldin auf der Bühne
heißt nicht zufällig wie die in seinem Leben: Konstanze.
Den Konflikt um Nationalitäten umging der junge norwegische Regisseur
Stefan Herheim, indem er aus dem fernen Orient das Andere an sich machte,
das Fremde, Unver-standene. Das hat viel mit der Liebe zu tun, die Mozart
meinte, und deshalb ist bei Herheim das Serail, das Gefängnis: die Ehe.
Aber nein, so einfach ist die Sache nicht. Am Anfang schuf Gott Himmel und
Erde, und der Regisseur schickt zwei Nackte auf die Bühne. Hastig ziehen
sie sich an, schwarzer Frack, weißes Kleid, Schleier. Da ist das Serail
zum verlorenen Paradies geworden. Die schlichte Bühne (Gottfried Pilz),
die ihre Perspektive immer wieder verschiebt und ihre Konturen in
Video-Projektionen auflöst, zeigt einen Innenhof mit hohen Fenstern. Darin
erscheinen außer Adam und Eva weitere Brautpaare, unter ihnen Konstanze
und Belmonte und das Dienerpaar Pedrillo und Blondchen. Herheim folgt in
seinem Vexierspiel der Musik.
Nicht zufällig beginnt Haremswächter Osmin mit dem liebenswürdigen
Liedchen: "Wer ein Liebchen hat gefunden", um im Verlaufe weiterer
Strophen mit verschlagenem Trallalera anzuraten, dieses Liebchen
einzusperren, damit die Treue nicht in Gefahr gerät. Die Geschichte um
Treue bis zum Tod ist gebrochen genug, doch Herheim treibt allerhand
zusätzliche Scherze. Ein Höhepunkt der Verfremdung ist erreicht, wenn
Pedrillo und Blondchen in einem bürgerlichen Wohnzimmer sitzen, statt zu
fliehen, und sie seufzt: "O Himmel, wir sind verloren!" Da sind sie
keineswegs von Osmins Wachen umstellt, sondern hocken auf einem geblümten
Sofa vor dem Fernseher. So kann Gefangennahme auch aussehen.
Dass das Premierenpublikum trotz merklicher Irritation am Ende doch den
Jubel überwiegen ließ, ist der Leuchtkraft der Musik zu danken, vor allem
den strahlenden Sopranen von Iride Martinez (Konstanze) und Diana Damrau
(Blonde). Verdiente Bravos erhielten auch Jonas Kaufmann (Belmonte),
Dietmar Kerschbaum (Pedrillo) und der fabelhafte Bassist Peter Rose, der
den Osmin mit tiefer Fülle sang. Stark auch der Applaus für Dirigent Ivor
Boltan und das Mozarteum Orchester Salzburg; Stefan Herheim holte sich den
Unmut der Zuschauer mit Gelassenheit ab. |
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