Badische Zeitung, 15.1.2003
Heinz W. Koch
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
Oper wie Anno dazumal
Mozarts "Idomeneo" mit Christoph von Dohnányi und Klaus Michael Grüber in Zürich
Der 1. März 1980 kommt in den Musikkritiken wohl noch öfter vor. An jenem Tag brachte Nikolaus Harnoncourt im Zürcher Opernhaus "Idomeneo" heraus, und das war die perfekte Sensation. Auf jenen Tag lässt sich nämlich der Ausbruch der Mozart-Revolution datieren. Egal, wie nah oder fern die Interpreten Harnoncourt und seiner Lehre von der hochdramatischen Klangrede standen - ganz unberührt davon war fortan keine Mozart-Auslegung mehr. Und wenn es doch eine ist, dann die, die jetzt, fast 23 Jahre nach jener Ausrufung Mozarts zum Stürmer und Dränger, zum romantischsten der Romantiker, am selben Ort zu hören ist. Christoph von Dohnányi verantwortet sie, also weiß Gott nicht irgendwer. Und natürlich ist derlei erlaubt. Dennoch stellt sich die fatale Erkenntnis ein, ein- und dasselbe Haus habe damals dem Ungeheuerlichen das Wort geredet und liefere heute die beschwichtigend postmoderne Variante nach.

In aller Deutlichkeit: Dohnányis Mozart siedelt auf gutem, mitunter hohem Niveau. Er hat gerade im kammermusikalischen Holzbläserspiel Momente großer Zartheit, kostet manche Wendung liebevoll aus. Er strebt eine eher marmorne Schönheit an, die nicht über den tragischen Ernst, über die Tiefen des "Idomeneo" hinweg geht, sie insgesamt aber unterbetont. Zumeist ist er merklich schneller als Harnoncourt - so schnell jedenfalls, dass ihm, anders als dem neugierigen Vorgänger, wenig Zeit bleibt, sich in Mozarts Affekte hineinzuknien, die Nuancen dieser großen Musik zu erforschen. Was den Espressivo-Komponisten Mozart anlangt, dreht Dohnányi die Entwicklung sogar hinter Karl Böhm zurück. Nie vorher und nie nachher hat Mozart die Emotionen so unbeherrscht hochpeitschen lassen wie in Elettras (Elektras) selbstzerstörerisch-wildem Koloraturwahn. Jetzt, bei Luba Orgonasova, ist das glänzend, ja gleißend gesungen - es verharrt gleichwohl in jenem klassischen Maß, das es eigentlich sprengen müsste. So ist das allenthalben unter Dohnányis Stab: hoch gediegen, aber fast nie aufrüttelnd, nie ans Existenzielle rührend.

Gesungen wird auf der Ebene, an die Zürich uns gewöhnt hat. Sehr schön, wie Malin Hartelius' Ilia in ihrer unaffektierten Sopranreinheit mit der dunkleren Mezzo-Farbe von Liliana Nikiteanus Idamante zusammengeht. Erneut ein übers Nur-Lyrische weit hinausreichender Tenor mit ganz eigenem, dunklem Timbre: Jonas Kaufmann, mehr und mehr ein Ausdruckssänger großen Formats. Im Spiel dieses Idomeneo manifestiert sich auch am einleuchtendsten das erklärte Ziel des Regisseurs Klaus Michael Grüber. Denn wenigstens im Zentrum dieser Koproduktion mit dem Festival von Aix-en-Provence ist man bereit zuzugestehen, dass Grüber, schließlich auch nicht irgendwer, nicht mir nichts, dir nichts die Wiedereinsetzung von Opas Oper in ihre obsoleten Rechte betreibt. Er zielt aufs Sicheinbringen der Sängercharaktere und -persönlichkeiten, darauf, dass sie das Wesen der Gestalten in sich selber aufspüren. Regie aus dem Inneren gleichsam: eine riskante Sache, die dem Wiedererstarken ältester Opernkonventionen bisweilen zum Verwechseln ähnlich sieht. Oper wie aus dem Museum.

Kaufmanns Idomeneo jedoch, ein vergleichsweise junger Vater, der sich da am Gelübde, seinen eigenen Sohn für seine Rettung zu opfern, vorbeizumogeln sucht - das ist einer, den sein Gewissen niederdrückt, der sich windet und krümmt, ein Schmerzensmann. Inmitten einer denn doch zu allgemein mediterranen Sphäre, zu wenig bildbestimmender Fels- und Mauertrümmer (es ist Nachkriegszeit), zu aussageloser abstrakt-malerischer Zeichen. Gilles Aillauds Bühne ist zwar in fortwährend sich wandelnder Bewegung - sie mischt sich indessen nicht nachdrücklich genug ein: Staffage mit ab und an bestechenden Lichtwechseln.






 
 
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