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Tages-Anzeiger, 14. 01. 2003 |
Von Thomas Meyer |
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
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Luftige, antike Sage vor Meeresaquarell
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Nach über zwanzig Jahren kehrt
Mozarts «Idomeneo» wieder ans Zürcher Opernhaus zurück: in alt-neuem
Klanggewand unter der Leitung von Christoph von Dohnányi |
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Riesenaquarelle
mit diffusen Wolken- und Wellenformen bilden den Hintergrund: ein zu Beginn
hellblaues, sich später momenteweise bis ins Violett verdunkelndes und
verdichtendes wasserfarbenes Meer, weit und doch leicht. Davor Steinquader
in verschiedenen Gruppierungen: mal hingeworfen an den Strand, mal
zusammengesetzt zur Mauer einer Behausung, gestaltet in der Skulptur eines
Gottes oder am Schluss geschichtet zur Treppe. Der Stein und das Wasser also
sind die Elemente dieser Oper. Der Mensch baut sich Mauern zum Schutz vor
dem Meer auf, denn von dort droht ihm Unbill, und doch muss er immer wieder
hinaus. So erlebt es Idomeneo, der König von Kreta, der nach dem
Trojanischen Krieg und einer langen Irrfahrt in die Heimat zurückkehrt. Ein
Meergott fängt ihn ab. Er darf nur heim, wenn er den ersten Menschen opfert,
dem er begegnet. Es ist sein Sohn Idamante.
Das Bühnenbild, das Gilles Aillaud mit seinem Mitarbeiter Bernard Michel
entworfen hat, erzählt selber schon eine Geschichte: auf federleichte,
raumgreifende Weise. Die Bühne selber ist fast leer, ohne Umständlichkeiten
freigemacht für die Handlung, für ein Spiel; schliesslich entwickelt sich
hier eine junge Liebe zwischen Idamante und der gefangenen Trojanertochter
Ilia. Wie sich die beiden jungen Menschen begegnen und sich nach
anfänglichem Zögern einander bekennen, davon erzählt dieser Abend auf der
zweiten Ebene mit leichtem Ernst.
Der Regisseur Klaus Michael Grüber befrachtet die Geschichte nicht unnötig.
Auch die anderen Figuren haben ihren Raum, dürfen sich regen. Nichts
Bleiernes liegt auf dieser Heroengeschichte; eine in ihrer Einsamkeit und in
ihrem Ausharren verspannte Figur wie letztes Jahr die Penelope in Claudio
Monteverdis «II ritorno d'Ulisse in patria» wird man hier vergebens suchen.
Plausibel erzählte Geschichte
Nur einmal verengt sich in diesem «Idomeneo» das Drama. Ein Vorhang wird vor
dem Meerhintergrund zugezogen, ein blutig roter Spalt nur bleibt offen.
Verwundete Menschen, vom unwilligen Meergott in Not gebracht, bedrängen nun
ihrerseits Idomeneo, der seinen Sohn retten wollte. An diesem Punkt
verdichtet sich die Handlung auf drastische und dramatische Weise, hier
werden die Gesten gross, hier beginnt das Herz schneller zu schlagen, bis es
- durch einen Deus ex Machina, eine göttliche Stimme, die das Opfer erlässt
- entlastet wird. So viel zu dieser Geschichte, die Grüber auf einfache,
natürliche und plausible Weise erzählt, ohne Einzelheiten über Gebühr
herauszustellen.
Theatral-Künstliches ist fast absent. Kein Regiekonzept drängt sich auf.
Folgt den Figuren!, heisst es gleichsam, und folgt der Musik! Denn die
erzählt ihre Geschichte auf ähnlich natürliche Weise. Von der etwas
bemühenden Nummernabfolge, die zuweilen solchen frühklassischen Opern eigen
ist, bleibt wenig spürbar. Die Rezitative, Ariosi und Arien gehen organisch
ineinander über. Aus den verschiedenen Fassungen, die Mozart hergestellt
hat, ist eine bruchlose Erzählung entstanden. Einige Straffungen (unter
anderem wurde die ganze Partie des Arbace, eines Vertrauten des Königs,
gestrichen) mögen dabei geholfen haben. Gestrichen wurden auch die Ballette.
An diesem Punkt freilich tut ein Blick zurück not, denn vor über zwanzig
Jahren bildete «Idomeneo» den sensationellen Auftakt zum Mozart-Zyklus von
Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle. Der Regisseur packte den
Stoff in ein streng antikisierendes Gewand (was heute in den Kostümen von
Eva Dessecker nur noch angedeutet bleibt). Der Dirigent veränderte aber
damals unser Mozart-Klangbild nachhaltig. Seltsam mag nun diese Rückkehr zu
einem geradezu romantischen Mozart-Klang anmuten. Nicht das
Spezialisten-Ensemble «La Scintilla» ist zu hören (es tritt erst in zwei
Wochen mit Händels «II trionfo del tempo e del disinganno» unter Marc
Minkowski in Erscheinung), sondern das vertraute Opernhausorchester. Ist das
ein Zurück zum Courant normal? Oder der Versuch, die Erkenntnisse der
«authentischen Aufführungspraxis» in den herkömmlichen Musikbetrieb
hinüberzuretten?
Dohnányis beruhigter Mozart
Die Schärfen und Akzente, die vitale Phrasierung und die dramatische
Prägnanz Harnoncourts wird man beim Dirigenten der neuen Zürcher Produktion
vermissen. Christoph von Dohnányi gestaltet anders, sein Mozart klingt
beruhigter, vielleicht auch ausbalancierter, vor allem wird er, wohin
Dohnányi sonst gelegentlich tendiert, nicht laut. Er bringt das Werk
parallel zu Grüber in einen Erzählfluss. Das wirkt in sich stimmig und lässt
den Sängern Platz zu Feinheiten. Den nutzt zum Beispiel Luba Orgonasova gern
für ihren expressiven Gesang. Und er lässt den Fast-noch-Jugendlichen
Idamante (Liliana Nikiteanu) und Ilia (Malin Hartelius) Raum, sich auf
behutsame Weise einander anzunähern.
Nur beim Idomeneo von Jonas Kaufmann findet man das Heldenhafte noch,
wohltuend nuanciert freilich und nie forciert vorgetragen. Und in den
äusserst (fast zu?) homogenen Gesamteindruck fügt sich auch der von Ernst
Raffelsberger einstudierte Chor ein. Nicht ein neues Mozart-Bild steht hier
also zur Diskussion - und keine neue Deutung dieses «Dramma per musica»,
sondern einfach eine klare, überzeugende Bühnenerzählung. |
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