Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2002
Von Dietrich Bretz
La damnation de Faust, Dresden, Juni 2002
Die Sehnsucht nach einer besseren Welt
Sternstunden bei der 25. Auflage der Dresdner Musikfestspiele
Gustav Mahlers Vorwurf, musikalische Traditionspflege sei oft Schlamperei, brauchen sich die Dresdner Musikfestspiele bei ihrer 25. Auflage nun wirklich nicht anzunehmen.

Längst hat das bedeutendste ostdeutsche Musikfestival den Weg in die internationale Festspielszene gefunden. Aber der diesjährige Reigen, der 120 000 Besucher und 5000 Künstler in 82 Veranstaltungen zusammenführte, dürfte als Ruhmesblatt in die Annalen eingehen.
Nicht nur, dass Altes ausgegraben, Seltenes ins Blickfeld gerückt und dabei die Interpretationslatte stets hoch angelegt wurde. Auch Neuem bot das Festival ein Podium und schlug zudem in einer "Afrikanischen Nacht" Brücken zu außereuropäischen Kulturen.

"Sehnsucht und Abschied" hieß das Leitthema, von Mythen und Märchen inspirierte Kompositionen setzten die Akzente. So war der Orpheus-Mythos in der Vertonung gleich zweier Komponisten, Monteverdis und Glucks, zu erleben.

Marc Minkowski bot mit seiner phänomenalen Originalklanggruppe "Les Musiciens du Louvre" in konzertanter Aufführung Glucks "Orphée et Euridice" mit suggestiver musikalischer Überredungskunst. Dazu Solisten, die der großen Liebes- und Todeselegie ungemein eloquente Sprachgewalt gaben. Allein schon Richard Croft verlieh Kraft der Macht seines virtuosen und zugleich expressiven Gesangs der Titelgestalt fast szenische Bildhaftigkeit.

Zu einer Sternstunde gestaltete sich das konzertante Gastspiel der Königlichen Oper Brüssel mit Berlioz' dramatischer Legende "La Damnation de Faust". Bereits die Intensität, mit der Antonio Pappano das Orchestre Symphonique de la Monnaie zu einer geradezu plastischen Gestaltung der instrumentalen Höhepunkte der Partitur beflügelte, des Ungarischen Marsches etwa oder der Tänze der Sylphen und Irrlichter, entfachte Beifallsstürme.

Bei den Solisten hielt das Publikum förmlich den Atem an. Wann erlebt man schon einmal einen solchen lyrischen Tenor wie Jonas Kaufmann, der vermöge eminenter Technik die Partie des Faust höchst nuanciert formte. Wie er wusste auch sein mephistophelischer Gegenspieler, der kraftvolle, in allen Stimmlagen hinreißende José van Dam, durch beredte Gestik szenische Darstellung gleichsam zu imaginieren.

Dass das Sehnen nach einer besseren Welt noch heute ein Motiv für die Komposition sein kann, zeigte Siegfried Matthus' neues Klavierkonzert "Die Sehnsucht nach der verlorenen Melodie".

Dramatisch zerklüftete, aggressive Tuttischläge korrespondieren mit zarten, melodisch tastenden Passagen des Soloparts, die sukzessive auch auf die anderen Instrumente im Orchester übergreifen. Ein plötzlicher Aufschrei der Bläser beendet jedoch abrupt diese Entwicklung.

Kaum eine bessere Propagandistin hätte sich der Tonsetzer wünschen können als die virtuos gestaltende junge Russin Elena Kuschnerowa. Von spürbarem Engagement geprägt war auch das differenzierte Spiel der Dresdner Philharmoniker, die unter Marek Janowski dem Auftragswerk den Weg ins Rampenlicht der Konzertpodien bahnen helfen.






 
 
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