Badische Zeitung, 16. Juli 2020
Von Georg Rudiger
 
 
Der Startenor Jonas Kaufmann sorgt sich um die Klassik
BZ-Plus: Wie er die Zeit der Corona-Zwangspause genutzt hat, wie systemrelevant die Musik ist und was er über seine neue "Otello"-Aufnahme denkt: Das sagt Jonas Kaufmann im Interview.

BZ: Herr Kaufmann, Sie mussten schon einmal im Jahr 2016 mehrere Monate pausieren, als Sie wegen einer Erkrankung Ihrer Stimmbänder nicht singen konnten. Nun hatten Sie eine Zwangspause, obwohl Sie gesund waren. Wie fühlten sich die letzten Wochen an? Tut es auch gut, wenn man in dieser radikalen Weise ausgebremst wird?

Kaufmann: Wenn es etwas Gutes an dieser Krise gibt, dann ist es vielleicht die viel zitierte "Entschleunigung", das Zur-Ruhe-Kommen. Das habe ich in den ersten Wochen als wohltuenden Nebeneffekt empfunden. Aber natürlich ist es für niemanden einfach, von einem arbeitsreichen, ausgefüllten Alltag auf Null herunterzufahren. Dann kam der erste Auftritt vor einem leeren Haus, da sang ich in einem der Montagskonzerte der Bayerischen Staatsoper mit Helmut Deutsch Schumanns "Dichterliebe" – vor den leeren Reihen des Nationaltheaters. Viele haben mir nach der Übertragung im Internet gesagt, dass sei eine besonders intensive Wiedergabe gewesen; doch ganz ohne Publikum, ohne jede Reaktion ins Leere zu singen, finde ich eher skurril.

BZ: Was haben Sie in den letzten Wochen gemacht seit dem durch die Corona-Pandemie bedingten Lockdown?

Kaufmann: Die Zeit genützt für Lied-Aufnahmen. Die waren nämlich in meinem Kalender immer wieder hinten runter gefallen. Also habe ich Helmut Deutsch angerufen: Das ist jetzt die Gelegenheit! Inzwischen ist das erste Album schon auf dem Weg in die CD-Presse.

BZ: Freiberufliche Sängerinnen und Sänger sind besonders von der Corona-Krise betroffen. Sie haben sich selbst für einen Hilfsfonds engagiert. Wie beurteilen Sie die Nothilfemaßnahmen der Regierung für Ihren Berufsstand?

Kaufmann: Gelinde gesagt lückenhaft. Anfangs war es überhaupt kein Thema, da schien es kaum jemanden zu interessieren, dass Künstler im Regen stehen gelassen wurden, obwohl ja die Zahl der Beschäftigten im Kulturbetrieb fast so hoch ist wie in der Automobilindustrie. Seitdem einige Hilferufe und Petitionen bei den Politikern eingegangen sind, wurde die Schieflage zumindest mal zur Kenntnis genommen, man versprach, sich der Sache anzunehmen. Wäre schön, wenn den Worten auch Taten folgen würden. Aber große Hoffnung habe ich nicht.

BZ: Es wurde in der Krise viel über die Systemrelevanz von Branchen gesprochen. Wie systemrelevant ist die Musik?

Kaufmann: Ich fürchte, Klassische Musik hat längst nicht mehr den Status, den "Sitz im Leben", den sie mal hatte – auch in Deutschland nicht, wo man doch Kunst und Kultur gern als tragende Säulen der Gesellschaft bezeichnet hat. Und ich glaube nicht, dass es nach der Krise noch all die Möglichkeiten und Angebote geben wird, die wir vorher als selbstverständlich betrachtet haben.

BZ: Nun wurde gerade Ihre "Otello"-Aufnahme veröffentlicht. Sie haben sich vorsichtig an diese schwierige Partie vorgetastet und sie auch schon in zwei szenischen Produktionen in London 2017 und München 2018 gesungen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis?

Kaufmann: Es ist ja so: Auch wenn man sein Bestes gegeben hat – hinterher findet man immer wieder etwas, wo man sagt: Na, das würde ich heute besser machen. Oder anders. Doch bis jetzt bin ich mit dem Resultat zufrieden. Wie wir alle wissen, ist es heutzutage eine absolute Seltenheit, eine Repertoire-Oper im Studio aufzunehmen, und ich bin der Sony sehr dankbar, dass sie uns die Möglichkeit gab, "unseren" Otello mit den wunderbaren Musikern der Accademia di Santa Cecilia unter Studio-Bedingungen aufzunehmen.

BZ: Mit Antonio Pappano haben Sie schon etliche Aufführungen und Aufnahmen gemacht. Was schätzen Sie besonders an ihm?

Kaufmann: Dass er ein echter Theater-Dirigent ist, den es niemals nur um den orchestralen Effekt geht, sondern immer um das große Ganze; dass er mit uns Sängern atmet und uns immer wieder inspiriert; und dass er in kürzester Zeit im Studio dieselbe Spannung schaffen kann wie in einer Aufführung.

BZ: Wo liegen die besonderen Herausforderungen der Titelpartie?

Kaufmann: In erster Linie darin, dass man sich nicht von dem sagenhaften Sog der Musik mitreißen lässt und die Kontrolle über das Singen behält.

BZ: Glauben Sie, dass sich durch die Corona-Krise das Musikleben substantiell verändern wird?

Kaufmann: Ich denke ja, und leider nicht zum Guten.

BZ: Krisen können auch Neuanfänge sein und Chancen bergen. Was erhoffen Sie sich von einer Nachcorona-Zeit?

Kaufmann: Viele Menschen wissen Dinge erst dann wirklich zu schätzen, wenn sie sie verloren haben. Also hoffe ich, dass die Reduzierung des kulturellen Angebotes letztlich zu einer verstärkten Nachfrage führt, vielleicht auch zu einer Bewusstseinsänderung, dahingehend dass es hier nicht um Luxusartikel geht, sondern um das tägliche Brot.

Jonas Kaufmann (51) studierte erst Mathematik und danach Opern- und Konzertgesang in seiner Heimatstadt München. Er gehört zu den gefragtesten Tenören der Welt im Opern-, Konzert- und Liedfach.
 
 
 






 
 
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