Spiegel - Bestseller, Sommer 2020
Interview: Max Dax
 
 
»Tempo 180 wäre okay«
Klassik Er singt schön, ist schön, aber er hatte nie eine Affäre mit Madonna. Er fährt gern Auto. Und hat Verdis »Otello« neu aufgenommen. Jonas Kaufmann gibt im SPIEGEL-BESTSELLER-Fragebogen Antworten auf größere und kleinere Fragen.
 
SPIEGEL: Warum haben Sie Ihr Mathematikstudium abgebrochen?

Kaufmann: Sehr bald wurde mir klar, dass Mathe definitiv zu trocken war, zumal im Vergleich zur Musik.

SPIEGEL: Und das, obwohl Mathematik eine universale Sprache ist — wie die Musik?

Kaufmann: Beide Sprachen kommen ohne Worte aus. Aber beim einen werden Ergebnisse übermittelt, beim anderen Emotionen!

SPIEGEL: Was kamen Sie zum Gesang?

Kaufmann: Ich habe immer und überall gesungen, im Auto, im Fahrstuhl, im Bett, im Kinderchor...

SPIEGEL: Und zur Oper?

Kaufmann: Eine Familienvorstellung von Puccinis »Madama Butterfly«. Von da an war ich der Oper verfallen.

SPIEGEL: Wie findet man eigentlich seine eigene Stimme?

Kaufmann: Im Studium wurde mir nahegelegt, so zu klingen, wie man sich einen »deutschen Mozart-Tenor« vorstellt. Doch verstellt zu singen, wie andere zu singen — damit kann man den Sängeralltag nicht bewältigen. Die eigene Stimme, den eigenen Klang zu finden, das ist der Schlüssel für eine lange und gesunde Laufbahn. Und wenn man den eigenen Klang, die innere Stimme gefunden hat, muss man damit auch zufrieden sein.

SPIEGEL: Was zeichnet diese, Ihre Stimme spezifisch aus?

Kaufmann: Man sagt, meine Stimme sei für einen Tenor eher dunkel, und sie klinge eher italienisch als deutsch.

SPIEGEL: Sie haben die Titelrolle in Verdis »Otello« über die Jahre mehrfach abgelehnt. Warum?

Kaufmann: Ich musste mir zunächst all die Partien erarbeiten, die man VOR dem Otello singen sollte: Radams in »Aida«, Don Alvaro in »La forza del destino«, die Titelrolle in »Andrea Chénier«, Des Grieux in »Manon Lescaut«, Turiddu in »Cavalleria rusticana« und Canio in »Pagliacci«. Bei diesen Rollen konnte ich lernen, was für die Bewältigung des Otello extrem wichtig ist: meine Emotionen so weit zu kontrollieren, dass es mich als Sänger nicht aus der Bahn wirft. Karajan nannte das »die kontrollierte Ekstase«.

SPIEGEL: Wie kontrolliert man Ekstase?

Kaufmann: Tja, das ist ja gerade das Knifflige. Wenn in Otello die Spannung so stark ist wie bei einem Ventil, das jeden Moment zu platzen droht, möchte man diese Spannung unbedingt halten, doch darf sich der Druck keineswegs auf die Stimme übertragen. Es ist eine permanente Gratwanderung.

SPIEGEL: Das beste Mittel gegen Heiserkeit?

Kaufmann: Eine gute Gesangstechnik.

SPIEGEL: Von Ihnen stammt der Satz »Das Opernhaus ist ein Kraftwerk«. Was genau meinen Sie damit?

Kaufmann: Dass ich das Haus mit mehr Energie verlasse, als ich bei meiner Ankunft gehabt habe. Und bei einer guten Aufführung geht es vielen Zuschauern ähnlich.

SPIEGEL: Wie modern darf Oper inszeniert werden?

Kaufmann: In einem Maß, dass sich das Publikum mit den Themen und den Figuren des Stücks identifizieren kann, ohne dass die Musik ins Hintertreffen gerät oder das Stück gegen die Interpretation verliert.

SPIEGEL: Was denken Sie über die drei Tenöre?

Kaufmann: Durch sie sind Opernarien und Kanzonen wieder in den Mainstream zurückgekehrt, wenn auch nur vorübergehend. Sie haben mit ihren Konzerten Leute erreicht, die sich davor nicht die Bohne für Klassik interessiert haben. Ich weiß von vielen Menschen, dass ihre allererste Klassik-CD der Mitschnitt vom Caracalla-Konzert zur Fußball-WM 1990 war.

SPIEGEL: Was für Übungen treiben Sie, um physisch anspruchsvollen Rollen wie der des »Otello« gerecht zu werden?

Kaufmann: Zur Vorbereitung eines Auftritts mache ich die üblichen Aufwärm- und Dehnübungen. Bei höchst anspruchsvollen Partien, wie zum Beispiel dem Paul in Korngolds »Toter Stadt«, achte ich darauf, dass ich mich mit Tennis oder Radfahren so konditioniere, dass ich den Abend gut zu Ende bringen kann.

SPIEGEL: Enrico Caruso gilt als der erste Popstar, seine Single »0 Sole Mio« war der erste Pop-Hit der Musikgeschichte. Was kann man von Caruso lernen?

Kaufmann: Wie viel Ausdruckskraft man in das Singen legen kann, aber auch wie viel Zärtlichkeit und Eleganz.

SPIEGEL: Vor Ihnen haben bereits unter anderem Ramón Vinay, Mario del Monaco und Jon Vickers große »Otello«-Aufnahmen geliefert. Wie positionieren Sie sich als Sänger zu ihnen? <

Kaufmann: Sosehr ich diese großen Künstler verehre, sosehr muss ich meinen eigenen Weg gehen.

SPIEGEL: Warum sollten junge Menschen in die Oper gehen?

Kaufmann: Weil das Gesamtkunstwerk Oper schiere Magie sein kann. Es kann Gefühle wachrufen, die man anderswo nicht erlebt. Und je früher man das erlebt, desto besser.

SPIEGEL: Gibt es einen perfekten Stoff, um der Oper erstmals zu verfallen?

Kaufmann: Früher hieß es immer: »Die Zauberflöte«. Aber als Einstiegsdroge ist sie wahrscheinlich zu schwer. Da würde ich eher »Tosca«, »La Traviata« oder »Carmen« empfehlen.

SPIEGEL: Ist Improvisation in der klassischen Musik erlaubt?

Kaufmann: Ja und nein. Bei Liederabenden, mit einem Partner am Klavier, habe ich natürlich viel mehr Freiheiten als mit hundert Mann Orchester und einem Dirigenten. Man muss sich schon an gewisse Grundabsprachen halten, doch innerhalb dieses Rahmens sollte Spontaneität unbedingt möglich sein. Jedenfalls versuche ich, auch die Stücke, die ich x-mal gesungen habe, jedes Mal neu zu kreieren.

SPIEGEL: Welche Musik läuft derzeit auf Ihrer Playlist?

Kaufmann: Ich habe diverse Dienste abonniert und höre mir von Pop bis Jazz vieles an, aber so etwas wie »meine Playlist« gibt es nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, jeden Tag dieselben Titel zu hören, dafür ist meine Neugier auf das, was ich noch nicht kenne, viel zu groß.

SPIEGEL: Die drei wichtigsten Pop-Platten in Ihrem Leben?

Kaufmann: Da gibt es vom Alan Parsons Project bis zu den Dire Straits viel zu viel, als dass ich spontan die drei wichtigsten nennen könnte.

SPIEGEL: Von welchem Autor verschlingen Sie jedes Buch?

Kaufmann: In jüngster Zeit: Sebastian Fitzek. Finde es faszinierend, wie ich den Psychospielen, die er entwirft, immer wieder auf den Leim gehe.

SPIEGEL: Drei Lieblingsfilme, die Sie immer und immer wieder gern sehen?

Kaufmann: »All about Eve« mit Bette Davis. Und zwei von Billy Wilder: »Zeugin der Anklage« und »Eins, zwei, drei«.

SPIEGEL: Das beste Auto, das Sie je besessen haben?

Kaufmann: Nicht besessen, aber vor zwei Jahren mal ausgeliehen: einen BMW der Siebzigerjahre, das gleiche Modell, das mein Vater gefahren hat.

SPIEGEL: Sind Sie für oder gegen ein Tempolimit?

Kaufmann: Als begeisterter Autofahrer tue ich mich schwer, für ein Tempolimit zu stimmen. Mit 120 wie in der Schweiz könnte ich mich nicht anfreunden. 160 oder 18o wären okay, das ist deutlich sicherer als über 200.

SPIEGEL: Wie verändert Erfolg?

Kaufmann: Man wird natürlich selbstsicherer durch Erfolg. Aber diese Selbstsicherheit sollte man in künstlerische Aktivität umsetzen und nicht in Arroganz. Dazu gehört, dass man selbstkritisch bleibt, die Bodenhaftung nicht verliert und sich mit Leuten umgibt, die einem auch mal die Wahrheit sagen.

SPIEGEL: Bei welchem Weltereignis wären Sie gern dabei gewesen?

Kaufmann: Der ersten Mondlandung. Da war ich gerade zehn Tage alt.

SPIEGEL: In welchem Feld würden Sie sich gern verbessern?

Kaufmann: Im Kornfeld.

SPIEGEL: Ein Ort, den Sie gern einmal besuchen würden?

Kaufmann: Das Opernhaus in Manaus, das die Kautschuk-Barone seinerzeit mitten im Urwald erbaut haben.

SPIEGEL: Ihr Lieblingsspiel?

Kaufmann: Das Schauspiel. SPIEGEL: Zwei hartnäckige Gerüchte über Sie, die nicht wahr sind?

Kaufmann: Ich habe nicht als Bariton angefangen, und ich hatte nie eine Affäre mit Madonna.

SPIEGEL: Mit wem würden Sie gern einmal zu Abend essen?

Kaufmann: Sehr gern mal wieder mit meinen Eltern. Beide sind längst verstorben. Dabei hätte ich noch so viele Fragen ...

SPIEGEL: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Kaufmann: Das ist ein nicht zu lösender Widerspruch! Da ja der Tod das Gegenteil von Leben ist (hier kommt der Mathematiker in mir durch), kann es ja schlecht ein Leben nach dem Tod geben, aber vielleicht eine andere Form des Bewusstseins.

SPIEGEL: Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?

Kaufmann: Wie wäre es mit: »Aber doch net jetzt schon!« oder »Er war stets bemüht« ... Man wird sehen, was meinen Kindern da so einfällt.
 
 
 






 
 
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