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NZZ, 13.7.2018 |
von Christian Berzins |
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Startenor Jonas Kaufmann: «Singe ich in London, ist Paris eifersüchtig»
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Jonas Kaufmann ist der begehrteste Tenor der Welt. Am Opernhaus Zürich, wo er Stammgast war, singt er nicht mehr, weil dort zu lange geprobt werde. Es sei für Zürich sowieso schwierig, das alte Niveau zu halten. |
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Jonas Kaufmann, wann sind Sie während
eines Opernabends, sagen wir während eines «Don Carlo», glücklich?
Glücklich? Das ist schwer zu sagen, denn während eines «Don Carlo» hat
der Tenor wenig Zeit zur Selbstreflexion. Aber da gibt es einen Glücksmoment
im Schlussduett, nicht, weil es dann bald fertig ist. Wenn ich dieses «Ma
lassù ci vedremo in un mondo migliore» mit der richtigen Sopranistin singe,
habe ich das Gefühl, eine Himmelsleiter zu sehen, die direkt ins Paradies
führt. Das lässt mich nach vielen Jahren und trotz aller Routine nie kalt.
Glauben Sie, dass diese Sopranistin und auch andere Sänger gerne
mit Ihnen auftreten?
Ein paar gibt es schon, aber da müssen
Sie die anderen fragen.
Gibt es denn auf Ihrem Niveau noch
Kollegialität oder Teamgeist?
Gerade da oben ist er gross!
Da muss man keine Angst um die Konkurrenz haben, man weiss um seinen Erfolg
und kann ihn grosszügig den anderen gönnen. In einem mittleren Haus ist das
viel schwieriger, da sind viel mehr Einzelkämpfer unterwegs, um für sich die
Felle zu retten.
Den berüchtigten Tenor-Sopran-Kampf gibt es
da oben also gar nicht?
Nein, das habe ich noch kein
einziges Mal erlebt: Extra lange ausgehaltene Töne, damit die andere nicht
mithalten kann? Bisse ins Ohr? A la Franco Corelli und Birgit Nilsson? Nie.
Vielleicht fange ich ja mit dem Beissen bald an...
Tenor des
21.Jahrhunderts
Jonas Kaufmann wurde 1969 in München
geboren. 1994 schloss er sein Studium ab und sang in Saarbrücken. Zürichs
Operndirektor Alexander Pereira ermöglichte ihm, sein Repertoire zu
erweitern. Aus dem Mozart-Sänger wurde ein Wagner-, Puccini- und
Verdi-Tenor. Er hat drei Kinder aus einer geschiedenen Ehe und lebt nun mit
der Regisseurin Christiane Lutz zusammen. 2007 nahm er für Decca CD auf,
seit 2013 für Sony CD ein. 2016 pausierte er wegen einer
Stimmband-Erkrankung für fünf Monate. (bez.)
Unser letztes
Interview führten wir vor zehn Jahren in Zürich, damals Ihr künstlerisches
Zentrum. 2012 wurde Andreas Homoki Direktor, und Sie sangen nie mehr hier.
Warum?
Mit dem Abgang von Alexander Pereira hat sich viel
verändert, man setzte andere Schwerpunkte, hatte wohl das Gefühl, dass das
Haus zu sehr auf Stars zugeschnitten war. Und 2012 sagte man: Ein Gast singt
auch wichtige Neuproduktionen oder gar nichts. Aber bei mir passierte ab
2012 auch sehr viel, obwohl ich schönste Erinnerungen an Zürich habe: Das
Opernhaus gab mir die Chance, aus einem sicheren Hafen eine Karriere zu
starten. Doch diesen Hafen konnte ich dann überall haben. Dass ich lange
nicht mehr auf mein einstiges Mutterschiff Zürich zurückgekehrt bin, kann
man nicht allein Homoki anlasten, das liegt auch an mir.
Inoffiziell heisst es von Seiten des Zürcher Opernhauses: Wir nehmen nur
noch Sänger, die für Premieren fünf, sechs Wochen lang vor Ort proben.
Es ist das gute Recht eines Intendanten, das zu fordern. Aber eben: Dann
scheiden bestimmte Personen aus. Ich bin jemand, der gerne und intensiv
probt, der aber nicht bereit ist, für eine Inszenierung sechs Wochen zu
arbeiten, die am Ende vielleicht in drei Tagen zustande gekommen sein
könnte. Dieses Risiko gehe ich nicht ein, dann mache ich lieber eine
Wiederaufnahme, habe wenige Proben und kann dennoch alles zeigen, was ich
kann. Ich kann mich nämlich sehr schnell in einer neuen Umgebung entfalten.
Bei Pereira waren lange Proben kein Thema. Placido Domingo hat sich in
seinen besten Tenorzeiten bisweilen ein Video schicken lassen und kam dann
zur Generalprobe. Das würde heute wohl nicht mehr gehen. Wie auch immer:
Wenn ich drei Wochen vor der Generalprobe starte, kann mir niemand
vorwerfen, zu wenig Zeit zu opfern.
Kommen Ihnen andere
Top-Häuser entgegen?
Wenn man in allen Häusern sechs Wochen
anwesend sein müsste, dann würde ich mehr Konzerte singen. Ich will nicht
sagen, dass es sich nicht rechnet, es geht nämlich nicht ums Finanzielle,
sondern ums Künstlerische: In mehr als 50 Prozent der Neuproduktionen ärgere
ich mich, da mir unvorbereitete und untalentierte Menschen vorgesetzt
werden, denen ich gehorchen soll. Ein Maler stellt sein Bild, wenn es
verhunzt ist, in eine Ecke und fängt neu an. Keiner hat es gesehen. In der
Oper geht das nicht, da geht am Tag der Premiere der Vorhang hoch, und wir
müssen das präsentieren, was da ist.
Da man sowieso nie
weiss, wie es herauskommt, proben Sie lieber drei Wochen intensiv als sechs
ohne richtiges Ziel?
Es ist nun einmal so, dass sich dieser
Zirkus immer um dieselben Menschen dreht: In gewissen brennt noch Feuer, die
sind motiviert und finden neue Ansätze. Andere arbeiten eher wie in einer
Fabrik. Da fühle ich mich allein gelassen, habe nicht die Befriedigung,
etwas Neues geschaffen zu haben. Aber Oper ist nie ohne Risiko, ich muss
etwas riskieren, wenn ich dieses Neue kreiere. Und wenn ich dieses Risiko
eingehen kann, dann gehe ich dafür nicht sechs Wochen in Klausur. In einer
Karriere muss man aufpassen, wo man seine Zeit verbringt.
Wo
singen Sie am liebsten?
Singe ich in London, ist Paris
eifersüchtig, und die Münchner und die Wiener sagen: «Warum nicht hier?!»
Ich kann es zurzeit niemandem recht machen. Diese grossen Häuser sind mir
sehr wichtig, bei aller Liebe zur Schweiz, wo ich dank Pereira schöne Jahre
verbrachte. Dank Pereira wuchs die Bedeutung des Opernhauses Zürich extrem.
Es ist sehr schwierig, das zu halten. Wir werden sehen, wie sich die
Staatsoper München nach dem Intendantenwechsel verändert. Jetzt ist sie
eines der fünf bedeutendsten Opernhäuser der Welt.
Gehört da
das Opernhaus Zürich nicht mehr dazu?
Das kann ich nicht
sagen.
Vertritt Pereira ein Theater der Dirigenten und der
Sänger, Homoki eines der Regisseure?
Das kann man so sagen.
Doch es gibt schon ein Theater der Regisseure, nämlich das Schauspiel. In
der Oper hingegen haben wir nun einmal die Interpretation eines Komponisten
- und auf dieser Basis müssen wir eine Idee zur szenischen Realisierung
finden. Wenn einer eine Lösung sucht, die losgelöst ist von dem, was
musikalisch passiert, sollte er Theater oder Film, aber keine Oper machen.
Wenn ich nicht akzeptieren kann, dass es diese Kraft der Musik gibt, wenn
ich als Regisseur gegen die Macht der Musik arbeite, was oft passiert, dann
geht es nicht. Es ist dann meist nicht nur nicht gut anzuschauen, sondern es
wird aktiv gegen den Effekt der Musik vorgegangen. Das ist nicht akzeptabel.
Ist der Sänger eigentlich das schwächste Glied in der Reihe von
Regisseur-Dirigent-Sänger?
Er ist das austauschbarste.
Ausser wenn man Jonas Kaufmann heisst, dann hat man Macht.
Ja vielleicht, aber das ist auch ein Problem. Dann hat ein Regisseur
eine grosse Idee und äussert sie nicht einmal: Das ist ja Jonas Kaufmann,
dem kann ich das nicht zumuten. Dabei möchte ich einen Platz in einer
Inszenierung, einen Korridor, in dem ich mich bewegen kann. Ich möchte kein
Exot sein, der bloss eine Stimme liefert. Dafür muss ich keine Oper machen.
Ich will ja gerne spielen, in die Rolle eintauchen, das schauspielerische
Talent, das man mir nachsagt, nutzen.
Dann müssen Sie dem
Regisseur sagen: «Mach etwas mit mir!»?
Genau. Es ist
erstaunlich, wie ein Name Respekt einflössen und einen Regisseur von seinen
ursprünglichen Ideen abkommen lassen kann. Aber ich habe keine Liste: Mit
denen funktioniert es, mit denen nicht. Es gibt keine Garantie. Wenn einer
grossartig «Die Soldaten» inszeniert hat, dann heisst es noch lange nicht,
dass er generell ein guter Opernregisseur ist: «Die Soldaten» funktionieren
immer. Aber wenn dann «Fledermaus» kommt, teilt sich die Spreu ganz gewaltig
vom Weizen.
Sie singen am Menuhin Festival Gstaad den 1.
Aufzug von Wagners «Walküre» als Konzert. Verführt die konzertante
Aufführung zu Extremen: Singen Sie die berüchtigten Wälse-Rufe noch
eindringlicher, noch lauter, noch länger?
Wer deppert ist
und glaubt im Wälse-Ruf Rekorde aufstellen zu wollen und nicht bis dort
hält, wo es gesund ist, ist selber schuld. Das ist nur gesund, solange der
ganze Körper dahintersteht. Aber auch eine solche Passage passiert aus dem
Moment, ich überlege mir nicht, ob ich die zwei Töne 20 oder 30 Sekunden
lang halten will. Es kommt auf die Tagesform an und dann auf den Moment: So
etwas kann ja nur aus mir herausbrechen. Wenn in dem Moment die Energie, die
man beim Singen freisetzt, aufgebraucht ist, muss man aufhören - auch wenn
die Stimme rein technisch einen Ton noch länger halten könnte. Dann verliert
es den Sinn, und der Zirkus beginnt.
Gehört der Zirkus
mitsamt dem hohen C nicht auch zum Tenor?
Das hohe C wird
eher vom Publikum zu einem magischen Ton emporstilisiert. Es ist ja nicht
viele Schwingungen höher als ein H. Aber klar: Es ist ein besonderer Ton,
auch in meiner Karriere habe ich immer wieder gemerkt, wie viel mehr
Belastung oder Druck, psychisch nicht physisch, dieser halbe Ton nach oben
bedeutet. Das ist erstaunlich. Es wird einem von Kindesbeinen an
eingetrichtert, dass er etwas Besonderes sei. Aber für mich ist das kein
Kriterium: Ich habe grossen Spass daran, mit der Technik, die ich zur
Verfügung habe, Töne aus dem Nichts anschwellen zu lassen und dorthin
zurückzubringen. Aber es geht nicht darum, zu zeigen, dass ich das kann, es
geht nicht ums Vorführen. Sopranistinnen haben manchmal diese Tendenz. Ich
hörte eine «Traviata» und fragte mich: Ist das noch Teil der Rolle, oder
führen die nun einfach perlende Läufe vor? Der Zirkus ist kein
Tenorphänomen.
Ich weiss noch, wie Sie am 7. Dezember 2012 in
der Scala im «Lohengrin» in der «Gralserzählung» das Wort «Taube» ewig
dehnten, zum kleinen Wunder formten. Ich will sagen: Sie wissen schon, wie
man zaubert und Kunststücke macht.
Aber ich weiss es nicht
einmal eine Minute vorher, wie ich es machen werde oder wie es herauskommt,
es passiert aus dem Moment. Natürlich habe ich diese Klaviatur von
Möglichkeiten, spiele darauf aber spontan. Ich bin in dem Moment wirklich
gerührt. Aber manchmal bin ich nicht in der richtigen Verfassung, kämpfe
mich von Phrase zu Phrase. Da bin ich dann so sehr von der Interpretation
abgelenkt, dass es im Unterschied zu einer normalen Vorstellung nicht mehr
spontan aus dem Bauch herauskommt. Wenn der Ton da ist, mache ich hingegen
das, was im Moment am interessantesten erscheint.
Sie sind
der begehrteste, kompletteste Tenor unserer Zeit: Der Tenor-Thron gehört
Ihnen. Da sassen vor Ihnen Placido Domingo, Franco Corelli, Enrico Caruso.
Wie ist es dort?
Placido Domingo sagte mir vor ein paar
Jahren, dass er nicht in meiner Haut stecken möchte. Wenn er vor 30 Jahren
eine Vorstellung absagte, waren zehn Tenöre da, die ihn ersetzen konnten.
Heute fehlen diese. Da sagen alle: «Um Gotteswillen, was machen wir denn
nun?!» Früher war die Opernwelt auf viele Schultern verteilt.
Menuhin
Festival Gstaad (13.7.-1.9.): Gala Sinfoniekonzert, 18. 8., Festival-Zelt.
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