dpa, 11.5.2016
(Das Gespräch führte Britta Schultejans/dpa)
 
 
Jonas Kaufmann: „Wunsch nach Unterhaltung“ zieht Publikum an
München (APA/dpa) - Jonas Kaufmann gibt am 16. Mai als Walther von Stolzing in der Neuinszenierung von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Bayerischen Staatsoper sein szenisches Rollendebüt. Im dpa-Interview erklärt er, warum er es gut findet, dass die Inszenierung von David Bösch nicht sonderlich politisch ist - und warum sich Oper generell eine Scheibe von der Popmusik abschneiden sollte.
 
dpa: Wann haben Sie das letzte Mal auf der Bühne improvisieren müssen - weil Sie beispielsweise den Text vergessen hatten?

Jonas Kaufmann: Natürlich passiert einem das mal, dass man plötzlich ein Wort nicht mehr weiß. Aber ich bin - Gott sei Dank - relativ textsicher, vor allem weil ich ein gutes Nervenkostüm habe. Diese Schwierigkeiten treten meistens in Kombination mit Stress auf, weil man eben so aufgeregt ist, dass das Hirn blockiert und nicht das ausspuckt, was es ausspucken soll. Dadurch, dass ich immer sehr locker bin, habe ich kaum Schwierigkeiten damit. Und selbst wenn es mal passiert, dann singt man einfach irgendwie weiter - und 99 Prozent des Publikums haben es nicht gemerkt. Da weiß man sich als Profi schon zu helfen.

dpa: Die neue „Meistersinger“-Inszenierung soll nicht hochpolitisch sein...

Kaufmann: Nein, es ist überhaupt nicht hochpolitisch. Es spielt in einer relativen Moderne - vielleicht in den 60ern, vielleicht in den 80ern. Es sieht ein bisschen nach Plattenbau-Siedlung aus an manchen Stellen, aber im Nirgendwo. Es ist sicher nicht das mittelalterliche Nürnberg, das ist ganz klar. Man muss ein Milieu schaffen von einem Club, in dem alle Mitglied werden wollen, und das kann man eigentlich überall machen. Das kann man tun, ohne das Stück zu missbrauchen oder auf Kosten des Stückes irgendwelche politischen Statements abzugeben. Das haben wir alles gehabt, das haben wir alles gesehen. So lange es mit der feinen Klinge passiert, finde ich das in Ordnung, aber wenn es das ganze Stück beherrscht und die Musik nicht mehr ihren Glanz und Zauber ausbreiten kann, kann ich es nicht mehr akzeptieren.

dpa: Gilt das für Sie auch in einer Zeit wie dieser, die so aufgeladen scheint mit Hass und politischen Statements von allen Seiten?

Kaufmann: Wenn jemand ein neues Stück schreibt, wenn beispielsweise Frau Jelinek (die österreichische Autorin Elfriede Jelinek, Anm. d. Red.) ein neues Stück erfindet, dann kann da alles rein, was momentan aktuell ist. Dann hat das auch seinen Sinn. Wenn aber etwas vor 100 oder 150 Jahren geschrieben wurde - vor allem in der Oper - da muss man sehr vorsichtig sein. Natürlich könnte man immer politische Statements auf die Bühne bringen und sagen, damit erreicht man die Leute, aber ich glaube, damit würde man das Ende dieser Kunstform einläuten. Dann hat das Besondere, das Magische keinen Platz mehr. Feine, kleine Anspielungen reichen. Wer es dann nicht sieht, der will es nicht sehen. Wenn es viele großartige neue Komponisten gäbe, die neue Stücke schreiben, die ins Ohr gehen, die die Leute akzeptieren, deren Komplexität man begreifen kann und die die Leute als Gassenhauer auf der Straße singen, dann können wir auch gerne alles neu machen und ganz nah am Puls der Zeit sein. Aber so lange wir Jahrhunderte alte Stücke hervorholen, ist das immer ein Spagat.

dpa: Warum gibt es diese großartigen neuen Stücke denn nicht?

Kaufmann: München und London sind so ziemlich die einzigen großen Häuser, die es überhaupt regelmäßig schaffen, neue Stücke in Auftrag zu geben. Natürlich gibt es auch heute einige begabte Komponisten, doch im Gegensatz zur Popmusik ist es in der Oper ein Tabu, Sachen zu schreiben, die eingängig und sozusagen retro sind und dadurch zum Hit werden. In der Oper versucht man, die hehre Kunst hochzuhalten. Ich kann natürlich verstehen, dass sich kein neuer Komponist vorwerfen lassen will, wie ein alter zu klingen. Aber was das Publikum anzieht, ist der Wunsch nach Unterhaltung und nicht der Wunsch, mit dem neuesten Stand der Musikwissenschaft konfrontiert zu werden. Darum müssen wir auf leisen Sohlen gehen, um diese Kunstform so lange wie möglich zu erhalten.

dpa: Ihr Kollege Wolfgang Koch, der mit Ihnen in den „Meistersingern“ auf der Bühne steht, hat gesagt, das Singen werde mit dem Alter nicht lustiger. Wie empfinden Sie das?

Kaufmann: Bis jetzt merke ich noch nicht, dass es weniger lustig wird. Es gibt Beispiele von Sängern, die mit 40 vor den Scherben ihrer Karriere standen, und es gibt den umtriebigen Placido Domingo, der nach 50 Jahren Weltkarriere noch auf allen Hochzeiten tanzt. Ich habe jetzt nicht vor, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf der Bühne zu stehen, aber ich sehe momentan eigentlich gar keine Einschränkungen. Natürlich dauert die Stimmregeneration länger, wenn man mal falsch gesungen hat. Aber die Erfahrung kompensiert unglaublich viel. Man hat früher viel Energie verschwendet auf Dinge, die eigentlich unnötig sind - zum Beispiel die Aufregung. Wenn man gar nicht mehr aufgeregt ist, verschwendet man nicht halb so viel Energie, als wenn man die ganze Zeit unter Strom steht. Vielleicht kommt der Einschnitt mit 50, das weiß ich nicht. Aber ich versuche, gesund zu leben und den Körper fit zu halten.











 
 
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