Vision.salzburg, No. 0115
Text Martin Riegler, Markus Deisenberger
 
 
"Wie Kaugummi im Kopf"
EGAL, OB JONAS KAUFMANN BEI DEN OSTERFESTSPIELEN GLEICH ZWEI ROLLENDEBÜTS AN EINEM OPERNABEND GIBT, ER ALS SOLIST IN GIUSEPPE VERDIS MESSA DA REQUIEM ZU ERLEBEN IST ODER ERFOLGE MIT OPERETTEN-REPERTOIRE FEIERT: DER TENOR ZEIGT SICH AUF DER HÖHE SEINER KUNST. MIT VISION.SALZBURG SPRACH ER ÜBER TÖDLICHE EIFERSUCHT, MUSIKALISCHE BUCKELPISTENFAHRTEN UND DIE SCHLAGER, DIE SEINE GROSSMUTTER IMMER SANG.
 
Sie singen zum ersten Mal Turiddu und Canio, Hauptrollen der beiden Opern Cavalleria Rusticana und Pagliacci, auf der Bühne. Nachdem Sie die berühmten Arien der beiden Charaktere vor einigen Jahren aufgenommen hatten, haben Sie sich überglücklich geäußert, sich einen »Herzenswunsch« damit erfüllt zu haben. Erfüllen Sie sich nun mit dem szenischen Doppel-Debüt einen weiteren Herzenswunsch?

Ganz klares Ja! Beide Stücke sind ja ein Synonym für »Italienische Oper«, und welcher Tenor träumt nicht davon, sie einmal zu singen? Ich weiß noch, wie ich als Student gedacht habe: Man, muss das toll sein, wenn man das singen kann! Und genauso wars, als ich »Ridi Pagliaccio!« und »Mamma, quel vino« für mein Verismo-Album aufgenommen habe. Sich von der Musik mitreißen zu lassen, körperlich und seelisch alles zu geben — das war einfach klasse. Toni Pappano und ich freuten uns wie die kleinen Kinder, und selbst die Orchestermusiker, die ja normalerweise nicht so schnell zu begeistern sind, haben gejuchzt und gejubelt.

Kommt Ihrer Stimme dieses Repertoire derzeit besonders entgegen?

Meiner Stimme und auch dem »Bühnentier« in mir. Es ist schon eine tolle Sache, zwei so unterschiedliche Partien an einem Abend zu singen. Turiddu ist der Heißsporn, der seine ganze Zukunft noch vor sich hat, ein leichtfertiger Bursche, der sein Leben für die Affäre mit einer verheirateten Frau aufs Spiel setzt. Vom Alter her könnte Canio sein Vater sein: Er hat einen großen Teil des Lebens schon hinter sich; einer, der mit einer armseligen Theatertruppe im Wohnwagen durchs Land zieht, für die Leute den Clown macht und mit Recht rasend eifersüchtig auf seine sehr viel jüngere Frau ist. Zwei starke Varianten des Themas »Tödliche Eifersucht«.

Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Mord und Totschlag — das erinnert an das tägliche Fernseh-Hauptabendprogramm. Was können die Geschichten von Cavalleria Rusticana und Pagliacci einem Opernpublikum von heute erzählen?

Dass bei allem »Fortschritt« in der Entwicklung des Menschen — Zivilisation, Aufklärung, Humanismus — letztlich bleibt, was man vornehm das »Archaische« nennt; dass wir nicht nur körperlich genauso funktionieren wie unsere Vorfahren in der Steinzeit, sondern auch nervlich, seelisch und emotional. Die meisten Menschen haben nur im Laufe vom Evolution und Zivilisation gelernt, ihre Gefühle besser zu beherrschen. Doch bei schweren Konflikten reagieren die meisten von uns genauso wie unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren. Insofern können Opern wie Pagliacci und Cavalleria gar nicht viel anders sein als die Soap-Operas im Fernsehen — mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie eindeutig die bessere Musik haben!

Sie erarbeiten zu Ostern auch erstmals mit Christian Thielemann gemeinsam Verdis Messa da Requiem. Das Werk wurde oft als »Oper in liturgischem Gewand« bezeichnet. Auch hat man zurecht auf seine säkulare und politische Dimension hingewiesen im Kontext seiner Entstehung. Was ist es für Sie?

Das Werk eines Mannes mit starkem Glauben, doch kritischer Haltung zur Kirche. Wie schwierig es zu seiner Zeit war, Glaube und Kirche zu trennen, zeigt die Tatsache, dass man für die erste Aufführung des Requiems in der Mailänder Kirche San Marco beim Erzbischof die Erlaubnis einholen musste, auch Frauen singen zu lassen. Damals galt ja noch Satz »Das Weib schweige in der Kirche«, und so war
die Erlaubnis unter der Bedingung erteilt worden, dass sich die Frauen in lange, schwarze Kleider hüllen und ihren Kopf mit großen Trauerschleier bedecken mussten. Ist es nicht auffällig, dass große Komponisten oft ihre stärksten Einfälle haben, wenn es um den Glauben geht? Beethovens Missa solemnis, Bruckners Te Deum und das Verdi-Requiem sind drei ganz signifikante Beispiele.

Sie haben mit «Andrea Chenier" auch gerade eine Produktion für Radio und Kino abgeschlossen. Sehen Sie das als gefährliche Konkurrenz oder als sinnvolle Ergänzung zu Ihren Auftritten in den großen Häusern?

Wenn eine Übertragung in Rundfunk, Fernsehen und Kino klang- und bildtechnisch dem allgemeinen Qualitätsstandard entspricht, sehe ich darin eine sinnvolle Ergänzung zum Live-Auftritt. Falls Sie mit dem Begriff »gefährliche Konkurrenz« darauf anspielen, dass die Leute weniger in die Oper gehen, weil es ja viel einfacher und bequemer ist, die Aufführungen im Kino oder zu Hause zu sehen, dann betrifft das wahrscheinlich eher kleinere Häuser, die ihre Produktionen gegenüber der internationalen Konkurrenz behaupten müssen. Aber ich denke nicht, dass die Salzburger Festspiele oder die Metropolitan Opera weniger Zulauf haben, weil ihre Produktionen im Fernsehen oder im Kino gezeigt werden. Im Opernhaus dabei zu sein bleibt eben doch »the real thing«! Die Fernseh- und Kinoübertragungen haben inzwischen ein sehr hohes Niveau erreicht, vor allem die HD Performances der Met. Allein die Kamerafahrten sind ein Gedicht — so professionell, als hätte man das Ganze in —zig Drehtagen produziert, und dabei ist es live! Solche Qualität vorausgesetzt, kann »Oper im Kino« auch bewirken, die Zuschauer zu gewinnen, denen Opernbesuche zu teuer und zu elitär sind oder die schon deshalb nicht in die Oper gehen, weil sie meinen, dass es dafür Vorbildung und Insiderwissen braucht. Insofern kann die Kino-Oper ein ähnlicher Akt von Demokratisierung sein wie Oper auf CD und DVD — mit dem entscheidenden Unterschied, dass man live dabei ist und sein Erlebnis mit anderen teilt.

Auf «Du bist die Welt für mich" haben Sie aktuell 15 Operettenschlager eingesungen. Jetzt könnte man zynisch sagen, so seien eben die Gesetze des Marktes. Ihnen merkt man aber an, dass Sie für diese Lieder brennen. Woher kommt Ihre Begeisterung für dieses Repertoire? Was macht es für Sie so besonders?

Ich bin ja mit dieser Musik aufgewachsen, meine Großmutter hat diese Evergreens permanent gesungen, und die kleben wie Kaugummi im Kopf, die gehen überhaupt nicht mehr raus. Im Aufnahmestudio haben alle ständig vor sich hingesummt. Nachdem ich Stücke wie »Dein und mein ganzes Herz« und »Du bist die Welt für mich« oft als Zugabe hatte, stand irgendwann die Frage im Raum: Warum nur als Zugabe, warum nicht ein ganzes Programm mit diesen Melodien? So entstand das Projekt, das zunächst den Arbeitstitel »Berlin 1930« hatte, weil wir uns aufgrund der Fülle des Materials auf die Zeit zwischen 1925 und 1935 beschränkten — also von der Spätblüte der Operette mit den großen Hits des Erfolg-Duos Franz Lehár-Richard Tauber über die Schlager der Tonfilm-Ära wie »Ein Lied geht um die Welt« bis zu den Songs von Robert Stolz und Paul Abraham. In dieser Zeit gab es neben Tauber und Joseph Schmidt noch einige andere Sänger, die damals so populär waren wie die Hollywoodstars von heute. Manche Komponisten und Sänger gingen ja auch tatsächlich nach Hollywood, nachdem sie von den Nazis aus Deutschland vertrieben wurden.

Selten habe Sie etwas so gefordert wie «Das Lied vom Leben des Schrenk", sagten Sie. Weshalb?

Dass Eduard Künneke diesen »Feuerreiter« für Helge Rosvaenge schrieb, sagt fast schon alles! Das Stück vereint quasi alles Schwierige auf engstem Raum; ein vokaler Ritt durch Höhen und Tiefen; wie eine Buckelpistenfahrt, wo es einem schon nach zwei Minuten in den Oberschenkeln brennt. Und dann kommt noch die zweite Runde, diesmal mit ausgehaltenem hohen C am Schluss. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich mir damit etwas Gutes tue, aber es hat gut funktioniert, und ich bin sehr glücklich, dass ich mich in die Reihe der Wenigen einordnen darf, die das Stück aufgenommen. Nach Rosvaenge waren es nur noch Rudolf Schock und Fritz Wunderlich.

Sie entziehen sich offensichtlich allen »Fach-Schubladen« und haben nunmehr ein enorm breites Repertoire. Welche Position nimmt nun Verdi darin ein?

Eine zentrale. Ohne Verdi kann ich mir meinen Berufsalltag kaum noch vorstellen. Alfredo in La Traviata war bei meinem Debüt an der Met der Türöffner zur Weltkarriere, auch mit Don Carlo und Alvaro in La forza del destino habe ich bislang wunderbare Erlebnisse gehabt. Als nächste Verdi-Partie kommt der Radames in Aida, und der Otello ist für die Saison 2016/17 geplant. Doch nicht nur als Sänger, auch als Hörer liegt mir Verdi sehr am Herzen. Anders als im Fall Wagner, muss man bei Verdi nicht Künstler und Mensch voneinander trennen; er war ganzer Künstler und ganzer Mensch. Wie bei Mozart ist auch in seinen Werken die Menschlichkeit immer zu spüren. Natürlich sind seine Opern genauso wenig »unpolitisch« wie die Wagners, aber die »Message« entspringt dem Humanismus und nicht einer Ideologie. Deshalb sind auch Verdis Figuren niemals ideologische Konstrukte, sondern immer Menschen aus Fleisch und Blut. Dass er auf die Frage nach seinem bedeutendsten Werk geantwortet haben soll: »Mein Altenheim für Sänger«, macht ihn mir zusätzlich sympathisch.

Inwiefern muss man heute als Opernsänger Ihrer Klasse ein rundum vermarktbares Produkt sein bzw. inwieweit gelingt es Ihnen, das eigene Privatleben zu schützen?

Ich habe mich nie als Produkt betrachtet und habe auch nicht den Eindruck, dass ich als solches angesehen werde. Als Zugpferd für bestimmte Sachen —ja. Wenn man mit meinem Namen weniger populäre Stücke besser vermarkten kann, dann soll es mir recht sein. Nach meinem Verständnis gibt es drei Phasen in einer Karriere: In der ersten schaut man, wie man an attraktive Angebote kommt. In der zweiten werden Angebote an einen herangetragen, und man sucht sich das Passende aus. Und in der dritten äußert man Wünsche und sagt: Ich würde gern das und das singen, und am liebsten mit den und den Partnern. Ich denke, dass ich in dieser dritten Phase angekommen bin und Vorschläge machen kann. Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft: Mein Privatleben zu schützen war mir von Anfang an sehr wichtig, und das hat man auch weitgehend akzeptiert.









 
 
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