|
|
|
|
|
Salzburger Nachrichten, 28.03.2015 |
Von Karl Harb |
|
|
Osterfestspiele: Hinter der Maske kochen Wut und Blut
|
|
Jonas Kaufmann: der Tenormagnet schlechthin.
Blendender sieht keiner aus, betörender singt im Moment auch niemand in
seinem Fach. Im Sommer 1999 debütierte der heute 45-jährige Münchner als
einer der "fünf Studenten aus Wittenberg" in Ferruccio Busonis "Doktor
Faust" bei den Salzburger Festspielen, ein Jahr später sang er den Tenorpart
im Schumann-Requiem, dann war er - ein "sehr spezieller Fall", wie er heute
sagt - 2003 Belmonte in Stefan Herheims stürmisch diskutierter "Entführung
aus dem Serail". Erst zehn Jahre später betrat er, inzwischen ein Weltstar,
wieder Salzburger Bühnenboden, war Don José in "Carmen", Bacchus in "Ariadne
auf Naxos". Jetzt gibt es zwei Kaliber der veristischen Oper: "Cavalleria
rusticana" und "I Pagliacci" unter Christian Thielemann bei den
Osterfestspielen. |
|
SN: Zwei Rollendebüts an einem
Abend: Ist das nicht tollkühn, auch dann, wenn man Jonas Kaufmann ist?
Kaufmann: Ja, eigentlich schon. Ich habe auch etwas
länger gezögert bei diesem Angebot. Ursprünglich sollte ich auch nur den
Canio in "Pagliacci" singen. Naheliegender wäre aber erst einmal Turridu
gewesen, der ein jugendlicher Draufgänger ist, aber jetzt finde ich das eine
tolle Herausforderung.
SN: Welche Anforderungen
stellen diese Rollen?
Was die stimmlichen Anforderungen betrifft,
muss man sich vor diesen Rollen nicht fürchten. Da gibt es sicherlich
größere Partien, den Des Grieux in "Manon Lescaut" oder Alvaro in "Forza del
destino". Was aber bei diesen beiden Charakteren des Verismo die
entscheidendere Rolle spielt, ist die emotionale Energie, die man einbringen
muss - ähnlich wie bei Verdis Otello, wo man auch vor den überbordenden
Gefühlen mehr Angst hat als vor den Tönen selbst. In solchen Rollen wird man
derart mitgerissen, dass man 120 Prozent geben möchte - darüber darf man
aber nicht vergessen, mit den Kräften zu haushalten.
SN:
Die Charaktere von Turridu und Canio sind ja doch grundverschieden.
Ja, schon vom Alter her. Im Gegensatz zu langen Opern, wo man eine Figur in
einem großen Bogen entwickeln kann, um sie glaubhaft darzustellen, springt
man hier von einer Welt in die andere. Da muss man versuchen, die beiden
Rollen scharf voneinander abzugrenzen. Turridu ist nicht nur hitzköpfig, er
ist auch ein melancholischer Typ, und man spürt von Anfang an, dass in
diesem Drama mit seiner unverwechselbaren sizilianischen Atmosphäre die
Geschichte nicht gut ausgehen kann. Canio gehört einer anderen Generation
an, er hat eine junge Frau, die er aus der Gosse geholt hat, und da entsteht
eine Leidenschaft und Eifersucht ganz anderer Art.
SN:
Also die komplexere Figur?
Was mich an Canio schockiert, ist seine
schonungslose Sprache. Soeben hat er noch seine Frau vergöttert, da sagt er
mit einer Direktheit und Härte, die unglaublich ist: Der einzige Grund,
warum ich dich nicht wie ein Schwein absteche, ist, weil ich dies schöne
Messer nicht mit deinem stinkenden Blut besudeln möchte, so lange, bis ich
den Namen deines Liebhabers von dir höre. Das hat eine Brutalität und
Niedertracht ohnegleichen! Und man merkt, dass Nedda die ganze Zeit für
Canio nur ein Gegenstand ist, eine Trophäe, mit der sich der Mann schmückt.
Das muss man zeigen: die falsche Freundlichkeit, die hinter dem
testosterongeschwängerten Monster lauert.
SN: Wie
weit hilft Ihnen die Regie dabei?
Philipp Stölzl hat einen tollen
Ansatz, und dabei ist alles da, was die beiden Opern brauchen. Und doch
weiten sich auch die Möglichkeiten, um mehrere Situationen gleichzeitig zu
zeigen. Aber ich will noch nicht zu viel verraten...
SN:
Sie gelten, gerade nach den vielen großen Debüts der letzten Zeit, als
"Rollenfresser". Welche Ihrer vielen Partien ist Ihnen die liebste?
Vorlieben? Die habe ich eigentlich nicht. Für jede Partie muss man das
gleiche Herzblut geben. Natürlich gibt es im Kopf eine Hitliste - und
vielleicht auch eine Handvoll Opern, von denen ich sage, dass ich sie nicht
mehr brauche.
SN: Nach Don Carlo, Alvaro, jüngst
Radames und bald Otello scheint aber Verdi eine entscheidende Rolle zu
spielen?
Verdi ist wahnsinnig gesund für meine Stimme. Die Franzosen
sagen ja, Mozart sei die Messlatte, wer Mozart singen könne, könne alles
singen. Viele Italiener behaupten: Wer Don Carlo singen kann, kann sich an
alles wagen. Da ist viel Wahres dran; in dieser Rolle ist alles drin, sie
ist in ihrer Vielfältigkeit fordernd, aber auch fördernd für den Stimmtyp.
Auch Radames: Da gibt es diese erste Arie ("Celeste Aida"), die reine
Nervensache ist, weil man am Anfang ja noch "kalt" ist. Und sie soll leicht,
locker, schwärmerisch sein. Aber grundsätzlich kann man sich mit Verdi die
Stimme nicht verletzen, weil er seine Rollen so klug schreibt. Ich freue
mich auch auf das Verdi-Requiem in dieser "italienischen Festwoche" bei den
Osterfestspielen.
SN: Ein Kontrast zum Verismo?
Ja und nein. Man sagt ja gern, dass das Requiem eigentlich eine
verkappte Oper sei. Letztlich hat das aber viel mit Glaube und Passion,
also: Leidenschaft zu tun. Man muss nur aufpassen, das man diese Partie
nicht mit den Eigenschaften des Verismo durcheinanderbringt. Das Requiem
einfach nur so "mitzunehmen", weil man gerade am Ort ist: Das geht auf
keinen Fall.
SN: Wie gehen Sie eigentlich in Ihrer
Karriereplanung vor?
Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss man sich die
Dinge selbst aussuchen und individuell kontrollieren. Man muss aus eigenem
Antrieb aktiv werden. Und dabei konsequent sein. Niemand kann vorhersagen,
wie die Stimme in fünf Jahren klingen wird. Nur die Zeit beantwortet das,
und erst dann weiß man, ob man die richtigen Entscheidungen getroffen hat.
Aber im Moment ist vieles richtig für mich. Es könnte nicht besser gehen.
SN: Deswegen leisten Sie sich auch den Luxus der
Operette - und gehen mit Ihrem Programm "Du bist die Welt für mich"
demnächst auf Tournee?
Ach, bitte! Operette ist doch nichts
Anrüchiges, im Gegenteil: Das ist, wenn man sich ernsthaft damit
auseinandersetzt, oft schwerer als Oper! Nehmen Sie nur das kapitale "Lied
vom Leben des Schrenk" aus Eduard Künneckes "Die große Sünderin": Das ist
wahrlich eine brutale Nummer, die kostet Kraft sondergleichen. Das haben
große Kollegen und Vorbilder gesungen: Helge Rosvaenge, Fritz Wunderlich,
Rudolf Schock. Ich hoffe jedenfalls, dass es nicht bei dieser Tournee
bleibt. Wir wollen schauen, ob sich nicht das eine oder andere auf die Bühne
bringen lässt. Ich denke, da gibt es viele "schlummernde Misserfolge", die
man wachküssen könnte...
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|