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Orpheus, 7-8/2015 |
Iris Steiner |
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Jonas Kaufmann - Das Leichte ist so schwer
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Singen, immer singen. Auftritte rund um den Globus, neue CDs, neue Rollen. Pläne. Wünsche. Träume. Gespräch mit einem Rastlosen |
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Jonas Kaufmann hat in den vergangenen Jahren
eine beispiellose Karriere hingelegt. Der Prototyp eines »Startenors« ist er
- obwohl er diesen Begriff zunächst gar nicht mochte. Kaufmann ist
technischer Perfektionist, künstlerisch unerbittlich und von einer
selbstbewussten Vision im Umgang mit seiner Stimme. Sein Erfolg ist sicher
auch Ergebnis dieser rationalen Klugheit. Dass er ganz nebenbei auch noch
aussieht wie ein Filmstar, macht vieles leichter, interessiert ihn
persönlich aber nur im Zusammenhang mit seinen künstlerischen Zielen. Jonas
Kaufmann durchbricht nicht selten die Regeln der
Stimmtypen-Charakterisierung und hat sichtlich Spaß daran, die Facetten
seiner flexiblen Stimme zwischen Wagner und Tonfilmschlager zu
demonstrieren.
ORPHEUS trifft den Vielbegehrten in der Münchner
Staatsoper. Nach der Vorstellung muss er packen - es geht nach Japan. Zurück
in Europa wird er beim Gipfeltreffen der Stars auf dem Münchner Königsplatz
auftreten. Er wird in Mannheim gastieren und in Frankfurt und in ...
Doch jetzt hat er erstmal Zeit. Die nimmt sich Jonas Kaufmann einfach, wenn
er über aktuelle Projekte, das Schwere an der Leichtigkeit und seine
ambitionierten Pläne redet.
Ihre jüngste Tournee war ein
Kontrastprogramm zu dem, was man sonst von Ihnen hört. Operetten- und
Schlager des frühen 20. Jahrhunderts sind Ihre persönliche Leidenschaft. Sie
erklären vor dem Konzert jeweils den Einsatz des Mikrofons. Was ist der
Hauptunterschied von einem solchen Konzert mit "leichter Muse" im Vergleich
zu Opernabenden?
In der Oper muss ich "unverstärkt" nicht selten
2500 Plätze und mehr erreichen. Die Folge ist, dass die Stimme insgesamt
härter wird. Ganz freie, leichte Nuancen wie beim Singen mit Mikrofön,
werden uns als Opernsängern in der Regel nicht abverlangt und sind mit einem
großen Orchester auch nicht möglich. Die Herausforderung an einen Abend mit
Liedern, die ganz unterschiedliche Anforderungen an die Stimme stellen, ist
das intelligente Miteinander-Kombinieren von unverstärkten Titeln und
Nummern, bei denen es für den Charakter des Stückes wichtig ist, ein
Mikrofon einzusetzen.
Für das Publikum eine ungewohnte Erfahrung.
Genau. Bei meinem ersten Konzert in Köln hat sich herausgestellt, dass
das nicht allen klar ist. Viele dachten, ich singe alles mit einer Stimme.
Das ist nicht so und deshalb erkläre ich seitdem kurz zu Beginn des Konzerts
den Einsatz des Mikrofons. Mir selbst wurde auch erst bei den Vorbereitungen
klar, dass es für diese Musik »verschiedene Stimmen« geben muss - zum Teil
passt es gar nicht, wenn man mit voller Stimme singt. Für mich und den
Tontechniker ist das nicht leicht. Zunächst einmal muss ich sehr flexibel
sein - und dann brauche ich totales Vertrauen in die Person, die das
Mikrofon steuert. Die Kombinationen des Mikros müssen zum Stück und zur
Akkustik des Saales passen - ab dem Moment, in dem ich den ersten Ton singe.
Wie funktioniert das stimmliche »Switchen« von der »leichten Muse«,
zu Puccini bespielsweise, den Sie ja zeitgleich gesungen haben?
Das ist gar nicht so weit auseinander, wie man vielleicht denkt. Lehar und
Puccini sind Zeitgenossen, und auch ihre Kompositionsstile haben gewisse
Parallelen. Zum Beispiel gibt es die Methodik verschiedener Stimmungen, die
sich sofort widerspiegeln, auch bei Puccini.
Wie das?
Das mag an der zeitlichen Parallele ihrer Lebensläufe liegen - und der
damals üblichen Kompositionstechnik - oder der ähnlichen Entstehungsweise.
Beide haben etwa die Gesangsstimme im Orchester verdoppelt - was bedeutet,
auch ohne Sänger hat das Orchester ein fertiges Stück mit Melodielinie. Das
gibt es bei Verdi nie. Verdi komponiert das Orchester immer ohne
Melodiestimme, und der Sänger bekommt eine dominante Rolle in der
Gesamtkomposition. Bei Puccini dagegen kann man den Sänger auch weglassen,
und das Stück funktioniert trotzdem in vollem Umfang. Das hat den großen
Nachteil, dass man immer gegen das Orchester ansingen muss. In der Operette
vielleicht mit mehr Augenzwinkern - aber mit den gleichen stimmlichen
Herausforderungen.
»Nessun Dorma« - das Puccini-Album - erscheint
am 11. September: Was erwartet uns da?
Ich habe all das gemacht,
was mir wichtig ist und ich bisher noch nicht aufgenommen habe. Ähnlich wie
bei der Verdi-Produktion wollte ich möglichst chronologisch vorgehen und
Puccini so präsentieren, wie ich mir das Werk idealtypisch gesungen
vorstelle: Erfahrungen aus den anderen Bereichen gehören unbedingt dazu -
deutsches, französisches und italienisches Fach, dazu die Leichtigkeit des
Liedgesangs und das »Gasgeben« einer Wagnerpartie.
Sie mögen
solche Herausforderungen, stimmt's?
Schon. Und ich weiß, was
mich erwartet. Die Hälfte der Rollen habe ich schon auf der Bühne gesungen.
Ein Charakter muss auch dann auf den Punkt spürbar werden, wenn man nur eine
einzige Arie davon singt. Ich nehme jedes dieser Stücke sehr ernst - und das
betrifft jetzt den gesamten Verismo-Bereich, den ich langsam komplett habe.
Bei der Puccini-Produktion sind übrigens auch unbekanntere Entdeckungen
dabei - gerade in der ersten und zweiten Oper gibt es einige. Insgesamt ein
»süffiges Repertoire an Melodien«. Das Orchester unter Antonio Pappano tut
sein Übriges dazu. Da macht Musizieren besonders Spaß. Vor kurzem wurden
Sie für Ihr Radames-Debut in Rom gefeiert - eine konzertante Version
ebenfalls unter Antonio Pappano - zusammen mit Anja Harteros und Ekaterina
Semetschuk. Die Produktion erscheint als CD und wird schon vorab als
Referenzaufnahme für das Werk gefeiert. Einzelne Kritiker bezeichnen den
Radames als Ihre neue »Paraderolle«. Zuerst einmal ist es natürlich
zweierlei - Bühne und konzertant. Das gilt für jede Oper. Bei der Partie des
Radames speziell ist derjenige Sänger im Vorteil, der eine gewisse
Flexibilität besitzt, die Stimme in vielen Nuancen zu halten. Das ist eine
Sache, die mir generell wichtig ist und die der Partie sehr zugute kommt.
Reine Helden tun sich im ersten Teil - bei der Darstellung des unsicheren
jungen Mannes - sehr schwer, die Leichtigkeit zu behalten. Diese Schwärmerei
habe ich vielleicht anderen voraus. Im zweiten Teil tritt ein ganz
anderer Charakterzug der Figur in den Vordergrund, die man unbedingt
heldisch singen muss.
Das heißt, Sie müssen da »zwei Seelen« in
der Brust spüren.
So kann man es ausdrücken. Im Prinzip gibt es
zwei verschiedene Charaktere in einer Person - den Vorkriegs-Radames und den
anderen hinterher. Das bedarf zweier verschiedener stimmlicher
Möglichkeiten, heldisch und nicht heldisch muss sich abwechseln. Das
Schwierige an der Rolle ist, dass sie gar nicht auf einen Stimmtyp
festgelegt werden kann. Möglicherweise ist das bei mir ähnlich und deshalb
funkioniert die Partie so gut... Was dabei nicht unterschätzt werden darf:
Wir hatten in Rom insgesamt eine tolle Besetzung - keine Frage.
Im September geben Sie Ihr szenisches Radames-Debut in München - in einer
»Aida« von Christoph Nel aus dem Jahre 2010, die nicht unumstritten war.
»Ein Buh für die Sterilität«, schrieb die Süddeutsche Zeitung nach der
Premiere. Und weiter: »Nicht revolutionär, sondern recht klischeebeladen.«
Der Produktion von Nel liegt vielleicht die Idee einer Aida
zugrunde, jenseits der überbordenden -Elefantenszenen« das Kammermusik-Stück
zu zeigen, das die Oper überraschenderweise auch ist. Es sind oft nur wenige
Personen auf der Bühne, und es gibt viele intime Dialoge zwischen nur zwei
oder drei Akteuren. Selbst mir war das vorher nicht klar. Solche
lnzenierungen sind also nicht verkehrt und werden dem Charakter des Werkes
absolut gerecht.
Allein zwischen Januar und März 2015 haben Sie
in »Andrea Chenier« (London), »Aida« (Rom), »Cavalleria Rusticana« und
»Bajazzo« (Salzburg) debütiert. Das ist ja Opernarbeit im Akkord - und das
auf höchstem Niveau. Allein die Stofffülle kann einem bange machen. Wie und
wann lernt man vier Rollendebuts in drei Monaten?
Eine Partie
muss ins Hirn kommen - und in die Stimme. Entweder plane ich lange vor oder
ich weiß, ich kann mich auf mein Hirn verlassen. Im Moment kann ich zum
Glück stimmlich aus dem Vollen schöpfen und muss »nur« lernen. Alles andere
läuft... toi, toi, toi. Sicher könnte ich auch mal ein Jahr ohne
Neuinszenierung leben, klar, aber das wird ja langweilig.
Die
Kritiker überschlagen sich, es gibt keinen Superlativ, der nicht auf Sie
angewandt wird »König der Tenöre« ist nur einer davon. Wie gehen Sie damit
um?
Mir ist es sehr wichtig, immer Menschen um mich zu haben,
denen ich künstlerisch vertrauen kann, die mir wirklich die Wahrheit sagen
und auch mit ehrlicher Kritik nicht hinterm Berg halten. Das brauche ich. In
dem Moment, wo es allen gefällt, wird's schwierig.
In diesem Jahr
sind Sie Stargast am 12. September bei der »Last Night of the Proms« in der
Londoner Royal Albert Hall. Die »Proms« gelten als das größte, musikalisch
verrückteste Klassikevent überhaupt mit einer Tradition von über 100 Jahren,
einer ganz besonders ausgelassenen Atmosphäre und weltweiter Übertragung
durch die BBC. Was war für Sie der Grund, dort mitzumachen?
Ich
bin schon mehrmals darauf angesprochen worden, diesmal hat es in den
Kalender gepasst. Die »Proms« sind ein Riesenevent - London dreht dabei
völlig durch. Ich kann mich erinnern, als ich es das erste Mal gesehen habe,
war ich völlig verwundert, dass es wie ein Popkonzert funktioniert - aber
die spielen Klassik! Das begeisterungsfähige Publikum ist faszinierend. Ich
finde es wichtig, solche Events zu unterstützen, damit sie auch weiterhin
existieren können - gerade wenn man mit seinem bekannten Namen dazu in der
Lage ist. Übrigens hat man mir neulich gesagt, dass ich der erste Deutsche
sein werde, der »Rule Britania« singen darf!
Im Februar 2016
werden Sie in der Neuproduktion von «Manon Lescaut« an der Metropolitan
Opera in New York einmal mehr als Grieux zu hören sein. Wieder zusammen mit
Kristina Opolais, mit der Sie bereits in München und London zu hören waren.
Was hat Sie letztendlich zu dieser dritten Manon- Produktion bewogen - und
was ist die besondere Herausforderung daran, das Stück jetzt auch an der Met
zu machen? In New York wird es eine Variante geben, die in der Zeit der
deutschen Besatzung spielt. Eine Koproduktion mit Baden-Baden unter der
Regie von Richard Eyre.
Ich erwarte mir jetzt nichts vollkommen
anderes, mir hat die Arbeit in München und London sehr viel Spaß gemacht.
Ich nehme an, so wird es auch in New York sein. Insgesamt ist es mir ein
Anliegen, Verismo-Produktionen zu unterstützen. Die sind in den letzten
Jahren nicht sehr viel gemacht worden - München ist da ein gutes Beispiel.
Ich erhoffe mir auch für New York, dass solche Stücke dort eine Weile
gespielt werden und die Popularität erlangen, die Ihnen meiner Meinung nach
zusteht.
Sicher werden Sie öfter gefragt, wann - spätestens nach
dem Werther - jetzt der Hofmann kommt. Schließlich ist das eine Partie, die
für Ihre Stimme geradezu prädestiniert ist.
Der Hofmann kommt in
eineinhalb Jahren - ich darf noch nicht sagen, wo. Es ist eine sehr
schwierige Partie, die man nicht unterschätzen sollte. Sie beinhaltet
operettenhafte Momente, aber auch sehr heldische. Und sie ist alles andere
als leicht - auch wenn alles leicht klingen soll. Das Leichte ist nun mal in
der Regel schwer. Es ist meiner Meinung nach egal, ob man zuerst Werther
oder Hofmann singt. Wobei auch anzumerken ist: Bei der Reihenfolge meiner
letzten Partien kann man ohnehin nicht von irgendwelchen Schemata sprechen.
Was mir übrigens auch noch fehlt, ist der »Maskenball«.
Wird es
eine neue »Hofmann«-Fassung geben oder studieren Sie die bekannten?
Ich weiß nicht, ob es etwas bringt, diese viele Varianten zu machen. Für
mich ist das kein Thema und mir eigentlich egal.
Was ist Ihnen im
Moment wichtig - im Leben, für Ihre Karriere und Gesundheit?
Ich
kann mich nicht beschweren, habe eine große Karriere hingelegt. Es besteht
natürlich die Gefahr -und da muss ich aufpassen - dass ich mich in der
Karriere verliere. Die Zeit, die man braucht, um die Batterien aufzuladen,
sollte man sich unbedingt nehmen. Da mir die Musik aber viel Energie
zurückgibt, merke ich oft nicht, wieviel Raubbau ich manchmal treibe. Und
leider lässt mein Terminkalender im Moment keine langen Auszeiten zu.
Das hört sich nach einer Gratwanderung an - zur Nachahmung nicht
empfohlen.
Da haben Sie Recht. Zum Ausgleich gehe ich manchmal
spontan segeln oder bei mir zuhause in die Sauna oder ins Schwimmbad. Das
ist dann wenigstens ein ruhiger Abend - und ich bin relativ gut im schnell
abschalten. Mit Kindern kann man auch gut dem Alltag entfliehen, und
abgesehen davon gehe ich ab und zum Bergsteigen oder Radfahren. Ich will
nicht im Hamsterrad enden - und ich weiß, daß ich im Ergebnis eher weniger
machen sollte.
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