Bühne, März 2015
 
 
"Lachen hat noch niemandem geschadet"
JONAS KAUFMANN debütiert bei den Osterfestspielen als Turridu und Canio und singt im Mai im Rahmen von „Great Voices" in Wien Operettenschlager.
 
Liebe, Lust und Leidenschaft — starke Gefühle, und das gleich im Doppelpack: Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Pagliacci gelten als Inbegriff des italienischen Verismo und wurden schon kurz nach ihrer Uraufführung vor fast 120 Jahren zu einem Doppelabend zusammengeführt, schließlich ähneln sie einander nicht nur musikalisch: Beide Kurzopern spielen im ländlichen Italien, in beiden geht es um Leidenschaft und Eifersucht, um Frauen, die ihre Ehemänner betrügen, und um Liebhaber, die getötet werden. Im März sind die beiden Werke erstmals bei den Osterfestspielen Salzburg unter Christian Thielemann zu erleben. Der Star der neuen Inszenierung von Philipp StölzI ist Jonas Kaufmann, der hier gleich zwei Rollendebüts feiert: als junger Sizilianer Turridu in Mascagnis Cavalleria und als rachesüchtiger Ehemann Canio in Leoncavallos Komödiantentragödie Pagliacci.

Zuletzt überraschte uns Jonas Kaufmann mit schickem Dreitagebart und altmodischem Mikrofon auf dem Cover seines neuen Albums Du bist die Welt für mich, nach dem gleichnamigen Hit von der Tenor-Legende Richard Tauber. Eine CD, auf der sich Jonas Kaufmann auf die Wurzeln der Operette zurückbesinnt, als intelligentes, freches und etwas verrücktes Entertainment. Wieder einmal hat sich Kaufmann neu erfunden, wieder einmal ist das Ergebnis schlichtweg genial. Schon lange hat man diese Stücke nicht mehr so frisch und lässig gehört. Im Interview mit Miriam Damev spricht der Startenor über die vermeintlich leichte Muse, gelebte Emotionen auf der Bühne und erklärt, warum Musiktheater nicht immer so bierernst sein muss.

BÜHNE: Herr Kaufmann, was verbinden Sie mit den beiden Opern Cavalleria rusticana und Pagliacci?
KAUFMANN: Ganz große Gefühle und zwei absolute Meisterwerke des Verismo. Beide Komponisten haben mit dramatischen, effektvollen und gleichzeitig verständlichen musikalischen Mitteln den Nerv ihrer Zeit getroffen, indem sie die Gefühle des einfachen Volkes auf die Bühne brachten. Nachdem ich bereits Arien aus beiden Opern gesungen habe, freue ich mich darauf, sie endlich auch spielen zu dürfen.

BÜHNE: Die beiden Einakter gelten als Inbegriff des italienischen Verismo. Was fasziniert uns an dieser Art Geschichte heute noch?
KAUFMANN: Ihre Unmittelbarkeit. Es geht um wahre Gefühle, Verismo eben, und um die großen Dramen im Inneren des Menschen. Da sind Liebe, Lust und Leidenschaft auf der einen, Eifersucht, Hass, Neid und Gewalt auf der anderen Seite. Damit das auf der Bühne glaubhaft erscheint, muss man die Geschichte persönlich durchleben und sich auf die intensiven Figuren einlassen. Gleichzeitig darf es nicht überspielt rüberkommen — die Komponisten verlangen uns Interpreten einiges ab.

BÜHNE: Wobei das im Verismo schwierig ist, weil alles in der Partitur so unglaublich präzise beschrieben ist. Da bleiben keine großen Interpretationsspielräume.
KAUFMANN: Das stimmt. Die Verismo-Komponisten haben jeden Taktwechsel, jedes Rubato, jede auch noch so geringe Abweichung im Tempo notiert. Verismo steht und fällt mit der Tatsache, dass man ihn ernst nimmt. Einfach nur musizieren reicht nicht. Das muss tief empfunden werden.

BÜHNE: Macht es das für Sie als Interpret einfacher, wenn musikalisch alles vorgegeben ist?
KAUFMANN: Im Prinzip schon. Dann kann ich mich in die Rolle hineinstürzen, ohne viel nachzudenken. Andererseits will ich als Sänger und Interpret immer versuchen, eine Partie individuell zu gestalten. Beim Verismo lässt sich das Korsett nur sehr schwer dehnen. Dafür werde ich mit ekstatischer Musik belohnt, die mich erfüllt und befriedigt. Ich steigere mich beim Singen in einen richtigen Rausch hinein. Diesen Einschlag, den solch eine existenzielle Musik hat, diese ungeheure Kraft, die da dahintersteckt, muss man einfach spüren.

BÜHNE: Wie finden Sie die richtige Balance aus Kontrolle und Hingabe?
KAUFMANN: Ich bewege mich auf einem schmalen Grat — von dem Moment, wo ich voll erfüllt bin, aber immer noch das letzte Quäntchen Kontrolle habe, um mich stimmlich nicht zu verlieren. Mittlerweile greift ganz unbewusst ein Mechanismus ein, der mir hilft, das Ganze in den Schranken zu halten. Wenn ich von der Bühne gehe, streife ich den Mantel der Rolle einfach ab.

BÜHNE: Sie sind einer der wenigen Sänger, die Wagner wie Verdi, deutsche und französische Romantik, Operette und Liedgesang singen. Wie erheben Sie sich über Grenzen, die für andere Sänger gelten?
KAUFMANN: Ich mache die Unterschiede im Stil, nicht in der Tongebung. Ich singe ja alles mit meiner Stimme. Es geht immer um die Wahrhaftigkeit der Emotionen, die in der Musik stecken. In dem Moment, wo ich so sensibel bin, dass ich die Zerbrechlichkeit, das Erschüttern, das Leiden, die Eifersucht aber auch die Freude in mir verspüre, verändert sich meine Stimme dementsprechend. Sie wird dramatisch, stark, drohend, dunkel oder eben fahl, fragil und weich. Manche denken, wenn zum Beispiel Wagner draufsteht, muss alles unglaublich laut sein. Das ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich für die Stimme. Dasselbe gilt für das Lied. Wenn man sich künstlich zurückhält, weil man meint, dass alles ganz zart und sachte sein muss, ist das auch ungesund.

BÜHNE: Auf Ihrer neuen CD singen Sie Operette. Vor einigen Jahren war es noch verpönt, sich als so genannter seriöser Opernsänger der vermeintlich leichten Muse zuzuwenden.
KAUFMANN: Ein bisschen Angst schief angeschaut zu werden, wenn ich so ein Repertoire singe, hatte ich anfangs schon. Umso mehr habe ich mich über die positiven Reaktionen gefreut. Ich wäre sehr enttäuscht gewesen zu erfahren, dass man als Opernsänger aufpassen muss, was man tut, weil man sonst in die falsche Schublade gerät.

BÜHNE: Wie sind Sie überhaupt mit der Operette in Berührung gekommen?
KAUFMANN: Durch meine Großeltern. Mein Großvater hat im Berlin der 20er-Jahre studiert. In den Nachkriegsjahren war der Wunsch nach Unterhaltung riesig und die Operette der perfekte musikalische Ausdruck des Unterhaltungstheaters dieser Epoche. Meine Großmutter war eine sehr gute Hobbysängerin. Sie hatte diese Melodien ständig auf den Lippen.

BÜHNE: Die Zeiten stehen gerade gut für das Genre. Woher kommt Ihrer Meinung nach die Renaissance der Operette?
KAUFMANN: Ich glaube, dass wir gerade in ernsten Zeiten wie diesen eine Kunst der Leichtigkeit brauchen. Es geht darum, die Menschen zu unterhalten, auf die bestmögliche Art und Weise. Die Operette macht das mit großartiger Musik, kurzweiligen Texten und einem abwechslungsreichen Zusammenspiel aus Singspiel, Comedy, Revue und Tanz.

BÜHNE: Werden wir Jonas Kaufmann in einer Operettenproduktion erleben?
KAUFMANN: Das ist der nächste Schritt. Vorausgesetzt wir finden großartige Sänger und einen Regisseur, der die Musik ernst nimmt und den Charme, den Witz sowie die Ernsthaftigkeit dieser Stücke richtig verkaufen kann, ohne sie dabei zu intellektualisieren.

BÜHNE: Haben wir es verlernt, Musiktheater einfach nur zu genießen?
KAUFMANN: Seit Längerem gibt es die Tendenz in der Oper, System- und Gesellschaftskritik zu üben und so das gut situierte Publikum vor den Kopf zu stoßen. Subtil geführte Kritik hat in der Oper natürlich Raum und auch Tradition. Denken wir nur an Le nozze di Figaro, wo schon Mozart selbst das System kritisiert hat. Allerdings so elegant, dass man nicht das Gefühl hat, am Pranger zu stehen, sondern es auch genießen kann. Ich denke, dass hier auch das Erfolgsrezept der Operette und des Musicals liegt: Genuss. Bei der Oper ist die Hemmschwelle viel höher.

BÜHNE: Warum eigentlich?
KAUFMANN: Weil sie den Eindruck erweckt, dass man eine intellektuelle Hürde nehmen muss, um daran teilzuhaben, weil alles so komplex, so steif und so bierernst ist. Wir müssen weg von diesem elitären Gedanken, dass wir in der Oper etwas Besonderes machen. Vielleicht schaffen wir es dann wieder, einen Witz mit einer Pointe so zu erzählen, dass auch alle darüber lachen können. Das hat noch niemandem geschadet.









 
 
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