Gala, 7. März 2013
ANDREA SELL
 
"Wir sind relativ normal" 
 
Auf diesen Mann würden Tausende stundenlang warten. Bei uns ist er überpünktlich. Star Tenor Jonas Kaufmann, 43, hat versprochen, während einer Probenpause zum „Parsifal" an der New Yorker Metropolitan Opera zwischen 17 und 22 Uhr für ein Interview anzurufen. Um 16.55 Uhr klingelt das Telefon in der GALA-Redaktion.
 

Hallo?
Hier ist Jonas Kaufmann.

Guten Tag, Herr Kaufmann! Wo sind Sie gerade?
Ich sitze in Kostüm und Maske in der Garderobe mit meinem iPad und rufe übers Internet an. Ich höre über Lautsprecher, was auf der Bühne passiert, weil ich den nächsten Auftritt erwischen muss. (stellt den Garderoben-Lautsprecher leiser)

Spreche ich gerade auch ein bisschen mit Parsifal?
Jein. Es ist schon so, dass ich wo ich gehe und stehe diesen Text und diese Melodien im Kopf habe. Der Parsifal ist ein Stück mit sehr eingängigen Melodien, die sind wie Ohrwürmer.

Und charakterlich?
Es ist ja eine, ich sag mal: unmenschliche Rolle. Parsifal ist am Anfang ein völlig unbeleckter Tor, der durch Kundrys Kuss von einer Sekunde auf die andere zum Allwissenden wird. Der sofort sehr schlau daherredet und jeder Situation gerecht wird. Das ist nichts, was man im täglichen Leben nachmachen kann. Mir ist das so zumindest noch nicht passiert. (lacht)

An der Scala haben Sie mit „Lohengrin" begeistert, jetzt mit „Parsifal" an der Met, beides archaische Heldentypen. Wie viel Held steckt in Ihnen?
Ach, ein bisschen Held schon. Vielleicht ist es aber auch das falsche Wort. Meine Heldentat besteht nur darin, dass ich den Spagat schaffe, ein relativ erfolgreiches Berufsleben zu gestalten und gleichzeitig eine intakte, glückliche Familie zu haben. (lacht)

Sie leben in München, haben aber in einem halben Jahr 28 Auftritte in neun Orten. Wo bleibt da die Familie?
Ich versuche, mein Leben besser zu organisieren. Dazu gehört, dass die sogenannte Quality-Time mit der Familie im Kalender auftaucht wie ein Pflichtprogramm, so wie jede Aufführung. Ich bemühe mich außerdem, Reisen so zu organisieren, dass ich zwischen längeren Aufenthalten in fremden Städten eine Zeit frei habe. Wenn ich zur Tür reinkäme und die Kinder fragen würden: ,Wann musst du wieder gehen?" - da wüsste ich, dass ich zu viel unterwegs bin.

Manchmal sind Sie wochenlang an einen Ort gebunden.
Jetzt in New York haben wir das Glück, dass die Schulen unserer Kinder zugestimmt haben, dass sie hier zur Schule dürfen. Ich bin mit der ganzen Familie für zwei Monate hier. Das hilft sehr, weil man da noch mehr zusammenwächst. Die Erfahrungen, die die Kinder hier machen, geben ihnen einen unheimlichen Entwicklungsschub.

Sie setzten im vergangenen Jahr krankheitsbedingt mehrere Wochen aus. Hatten Sie Angst um Ihre Stimme?
Nein, ich hatte keine Angst, es war ja auch nichts Bedrohliches. Ich war mir sicher, dass das wieder weggeht - ich war nur sehr überrascht, wie lange es gedauert hat.

War Ihre Familie froh, Sie mal für sich allein zu haben?
Das ist sehr positiv angekommen, keine Frage. Am Anfang war ich natürlich sehr nervös und wohl auch unleidig. Aber dann habe ich es genossen und meine Familie mit mir - weil ich ganz normalen Alltag gelebt habe. Das war sehr angenehm, da könnte man sich dran gewöhnen.

Gab es keine Reibereien, weil Papa plötzlich nonstop zu Hause war?
Ich habe ganz gut gelernt, dass man nicht als zweites Elternteil
nach Hause kommt und dann versucht, die Kinder in anderer Weise zu erziehen. Das hat keinen Sinn, man muss einfach sehr gut eingespielt sein und sich abgesprochen haben, wer für welchen Bereich zuständig ist - und sich dann auch zurücknehmen. Letztlich lastet das meiste doch auf den Schultern meiner Frau.

Wissen Ihre Kinder, dass Sie ein Weltstar sind?
Meine Tochter schon, die ist alt genug, und die Jungs sind da sehr locker, das ist angenehm. Ich möchte nicht, dass die Kinder Respekt vor mir haben, weil ich irgendetwas Besonderes erreicht habe, sondern einfach nur, weil ich ihr Vater bin. Man tut ihnen auch keinen Gefallen, wenn man sie sich zu sehr im Familienruhm sonnen lässt. Das ist ein Grund mehr zu sagen: Wir sind relativ normal und machen keine Extravaganzen.

Mit Ihrem Aussehen sind Sie eher der klassische Latin Lover. War es schwer, an Wagner-Rollen zu kommen?
Ich glaube nicht, dass irgendwo steht, dass ein Siegfried oder Tannhäuser oder wer auch immer blond gelockt sein muss. Das ist einfach nur ein altes Klischee. Im Gegenteil, es ist eher umgekehrt, als Deutscher wird man international eher in die deutsche Opernecke gesteckt.

Wie stehen Sie zu Wagners umstrittenem ideologischem Hintergrund?
Ich denke, wir würden diesen Mann und sein Talent noch viel mehr schätzen, wenn er einfach nur komponiert hätte und sich ansonsten aus all den anderen Dingen rausgehalten hätte. Das ist natürlich ein Wermutstropfen, den die Person Wagner hat, keine Frage. Ich versuche immer, die Privatperson Wagner von dem Komponisten und seinem Werk zu trennen. Da er aber einer der bekanntesten deutschen Komponisten ist, wäre es falsch, seine Musik wegen seiner persönlichen ideologischen Einstellung zu verbannen.

Im Parsifal geht es ja-sehr verkürzt- um religiöse Erlösung. Ist das noch zeitgemäß?
Wenn man diese Musik hört, versteht man, warum der Mensch glaubt, hofft, bangt, an etwas festhält. Die Musik ist so tiefgründig, so emotional, so stringent, so soghaft, das ist wirklich faszinierend und phänomenal. Sie ist so stark, dass jeder Nichtgläubige genauso viel Freude daran hat wie einer, der an diese Geschichte glaubt.

Wie halten Sie es mit der Religion?
Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll. Ich bin gläubig... (im Hintergrund klopft es, Kaufmann ruft: „I'm coming!") Nun steht einer vor der Tür, um mich auf die Bühne zu holen. Jetzt muss ich Sie lassen ...







 
 
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