Bühne, 3/2012
das Gespräch führte Martin Kienzl
 
Im Sog der Emotionen 
 
JONAS KAUFMANN singt den Don José in „Carmen" sowie das Tenorsolo in Mahlers „das Lied von der Erde" bei den Osterfestspielen Salzburg.
 

Er gilt als einer der besten Sänger unserer Zeit, der aus München stammende Jonas Kaufmann. Ob als Lohengrin oder Faust, als Tamino oder Werther, als Cavaradossi, Siegmund, Stolzing oder Parsifal - sein baritonal gefärbter, ausdrucksstarker und technisch souverän geführter Tenor hat das gewisse Etwas, um das Publikum dahinschmelzen zu lassen. Zu Jonas Kaufmanns Glanzrollen zählt auch der Don José in Bizets Carmen. In der Regie von Aletta Collins und unter der musikalischen Leitung von Sir Simon Rattle singt er ihn am 31. März und 9. April bei den Osterfestspielen Salzburg (Restkarten sind noch erhältlich). Mit Jonas Kaufmann führte Martin Kienzl das folgende Interview.


BÜHNE: Vom lyrischen Beginn bis zu den dramatischen Finalakten - in Carmen können Sie besonders viele Facetten zeigen?

KAUFMANN: Stimmt, das vokale und darstellerische Spektrum dieser Partie ist sehr breit, und darin liegt für mich der besondere Reiz.

BÜHNE: Don Jose gibt für seine geliebte Carmen sein bisheriges Leben auf. Ist er ein Mensch, der sich in keiner seiner Rollen, ob als Soldat und Sohn, dann als Schmuggler, wohl fühlt?

KAUFMANN: In der Novelle von Mérrimée und in der französischen Dialogfassung der Oper wird ja erzählt, dass José zum Jähzorn neigt, dass er jemanden im Streit getötet hat und dass er zur Armee gegangen ist, um dem Gefängnis zu entkommen und ein neues Leben anzufangen. Das ist seine Situation, wenn er Carmen kennen lernt. Und die Begegnung mit ihr wirft ihn erneut aus der Bahn. Er wird wieder kriminell, und diesmal entkommt er dem Gefängnis nicht. Als er wieder frei ist und sie aufsucht, gesteht er ihr, was mit ihm los ist, nämlich in der so genannten „Blumen"Arie, die ich als eine Art von Eigentherapie auffasse: Indem er Carmen seine Geschichte erzählt, erzählt er sie eigentlich sich selbst. Seit der Begegnung mit ihr hat er dieses erschreckende Gefühl im Bauch, hat es zwei Monate im Gefängnis mit sich herumgeschleppt und hat nicht gewusst, was das eigentlich ist. Liebe war für ihn bisher immer etwas Unbedrohliches gewesen: Liebe zur Mutter, Liebe zu Micaela, seiner Sandkastenfreundin. Mit der Arie gesteht er ihr und sich selbst ein, wie sehr er ihr verfallen ist. Er outet sich komplett.

BÜHNE: Worin liegen für Sie die wichtigen Spannungsmomente in Carmen? In den Konflikten von Liebe und Tod, Anarchie und Ordnung?

KAUFMANN: Ganz sicher. Die Konfrontation mit der „freien Liebe", die Carmen lebt, ist für José der Anfang vom Ende. Er gerät vollkommen aus der Balance, sein Leben kippt um: Liebe und Leidenschaft schlagen um in Verzweiflung, Wut und Gewalt. Der Ordnungshüter wird zum Mörder.

BÜHNE: Kann er mit diesen Widersprüchen nicht leben?

KAUFMANN: In meinen Augen zerbricht er daran, dass er mit den Gefühlen von Leidenschaft, Hingabe und Hörigkeit nicht fertig wird. Er ist überwältigt von diesen Emotionen, ist ihnen ähnlich ausgeliefert wie einem tödlichen Virus.

BÜHNE: Bergen die letzten beiden Bilder der Carmen die Gefahr, sich als Sänger zu sehr zu verausgaben? Immerhin fühlt sich José zusehends in die Ecke getrieben.

KAUFMANN: Das ist das Schwierige und zugleich die besondere Herausforderung bei solchen Rollen. Man muss sich so weit wie möglich mit der Figur identifizieren - und zugleich aufpassen, dass man nicht zu sehr in den Sog der Musik und der Emotion gerät. Wenn man Figuren verkörpert, die derart unter Strom stehen, muss man sich als Sänger immer wieder zur Vernunft rufen und sagen: ,,Halt, so geht das nicht, wenn du dir deine Qualitäten über lange Jahre bewahren willst:' Wenn es einen hin und wieder überkommt, ist es nicht schlimm. Aber wenn es öfter passiert, hat man ein Problem. Besser, man bleibt immer Herr der Lage. Es sollte noch so viel Verstand eingeschaltet sein, dass nicht die Pferde mit einem durchgehen. Karajan fand dazu das berühmte Wort von der „kontrollierten Ekstase": Im Idealfall sollte man sich so weit in die Emotion hineinsteigern können, dass man selbst davon ganz erfüllt ist, spürt, wie das Publikum mitgeht - und zu gleich noch in der Lage ist, alles zu kontrollieren und in die „richtigen Bahnen" zu lenken. Es ist eine Gratwanderung. Wenn sie gelingt, ist es eine große Befriedigung.

BÜHNE: Läuft bei der Rolleneinstudierung manchmal der Gedanke mit, dass eine Wirkung, die sich einmal bei Ihnen als Zuschauer in dem Werk eingestellt hat, von Ihnen als Interpret wieder erzielt werden soll?

KAUFMANN: Wer einmal als Zuschauer erlebt hat, welche Gefühle eine gute Opernaufführung auslösen kann, der wird sich vorstellen können, was in uns Sängern vorgeht, wenn wir auf der Bühne stehen. Natürlich trachten wir alle danach, das Publikum zu berühren und zu bewegen, so wie wir es oft als Zuschauer am eigenen Leib erlebt haben. Das ist es auch, was viele Sänger antreibt, überhaupt auf die Bühne zu gehen. Bei mir ist es ganz sicher so. Jeder Abend, den ich auf der Bühne stehe, ist von dem Gedanken erfüllt, dass ich Teil eines Kraftwerks bin, das im Zuschauer ungeahnte Emotionen und Energien freisetzen kann.

BÜHNE: Von vielen Sängern hört man, dass Französisch als Gesangssprache noch idealer als Italienisch wäre. Sehen Sie das ähnlich?

KAUFMANN: Beim Italienischen ist die Gesangssprache viel näher an der gesprochenen Sprache als im Deutschen und Französischen und aufgrund ihrer reinen und offenen Vokale kommt sie einem Sänger sehr entgegen. Aber ich merke auch, dass die französische Sprache meiner Stimme sehr gut tut. Es macht mir große Freude, dieses Weiche und Elegante der französischen Sprache in Klang umzusetzen, und natürlich freut es mich riesig, wenn mir Franzosen sagen, dass man aufgrund meiner Aussprache schwören könnte, ich sei mit der französischen Sprache aufgewachsen.

BÜHNE: Woher rührt Ihre Affinität zum Französischen? KAUFMANN: Meine erste Begegnung mit der französischen Sprache kam relativ spät während des Studiums. Offenbar ist davon bei mir nicht viel hängen geblieben. Als ich 2001 in Toulouse meine erste französische Partiesang -Wilhelm Meister in Mignon von Thomas -, war mein Französisch noch sehr dürftig. Durch „learning by doing" ist es besser geworden.

BÜHNE: Was schätzen Sie an dieser Sprache?

KAUFMANN: Dass kleine Dinge den großen Unterschied ausmachen. Ein etwas stärkerer Akzent, eine andere Farbe im Vokal - und schon hat dieselbe Phrase einen ganz anderen Ausdruck. Das hört man vor allem bei den großen Chansonniers, aber auch bei Opernsängern. Zum Beispiel bei Georges Thill. Seine Aufnahme des Werther war mir eine große Hilfe. Da kann man hören, was Prägnanz und Differenziertheit der Artikulation konkret bedeuten.

BÜHNE: Nachdem Ihre internationale Karriere in Fahrt kam, hatte man bisweilen den Eindruck, Sie würden sich viel zumuten und Angeboten schwer widerstehen.

KAUFMANN: Der Verlockung, zu früh zu schwere Partien zu singen, habe ich immer ganz gut widerstehen können, da ist bei mir die Vernunft letztlich doch stärker als die Lust auf tolle Rollen. Dass ich mir manchmal zu viel zugemutet habe, möchte ich nicht bestreiten. Solange alles gut läuft, meint man ja immer, dass man so weitermachen kann - bis sich der Körper eines Tages wehrt und einem das Stop-Schild zeigt.

BÜHNE: Nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Rollenwahl? KAUFMANN: Ich strebe immer nach einer guten Mischung von deutschen, italienischen und französischen Partien. Das hält die Stimme geschmeidig und flexibel, und es schützt vor vorzeitigem Verschleiß, siehe Plácido Domingo.

BÜHNE: Werden Ihnen mit Ihrem heutigen Starstatus auch Rollen angeboten, mit denen Sie nicht a priori Zugpferd-Funktion übernehmen müssten? Gibt es weniger prominente Tenoraufgaben, die Sie reizen würden?

KAUFMANN: Das kommt auf Rolle und jeweilige Partner an. Lensky in Eugen Onegin reizt mich als Figur, ebenso Laca in Jenufa. Letztlich finde ich es reizvoller,Teil eines starken Teams zu sein, als die Rolle des Zugpferds zu übernehmen. Andere mitziehen zu müssen ist wesentlich schwieriger als sich mit gleich starken Partnern zu steigern.

BÜHNE: Ihr künstlerischer Weg ist bis ca. 2018 abgesteckt. Können Sie den einen oder anderen zukünftigen Rollenwunsch verraten?

KAUFMANN: Über Wünsche darf ich immer sprechen: Riccardo, Alvaro, Otello, Andrea Chenier, Hoffmann, Tannhäuser, Kaiser in Frau ohne Schatten, Hermann in Pique Dame und Paul in Die tote Stadt. Was davon schon geplant ist und wo es als Erstes herauskommen soll - darüber möchte ich mich erst dann äußern, wenn es spruchreif ist.


 

 






 
 
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