Hoer Zu, 22. Oktober 2010
ANGELA MEYER-BARG
Mit ganzem Herzen  
 
Starke Sitmme, starker Auftritt: So erobert der Tenor JONA KAUFMANN die Opern- und Konzertbühnen der Welt
 

So, wie er aussieht, könnte er geradewegs einem venezianischen Fresko entstiegen sein. Braune Augen und dunkle Locken: die perfekte Besetzung für die Liebhaberrollen in Opern. Aber Jonas Kaufmann (41) ist waschechter Münchner, verheiratet, Vater dreier Kinder. Seine Sprechstimme klingt jungenhaft hell, seine Laune ist strahlend - auch jetzt beim Gespräch mit HÖRZU. Kein Wunder: Kaufmann gilt als Sänger mit Potenzial zum Weltstar.

HÖRZU: Herr Kaufmann, Sie sind der schönste Tenor Deutschlands.

Neee, wirklich, das hat mir noch keiner gesagt!

Wie lebt es sich mit diesem Etikett?

Ein Produkt, das nicht nur einen guten Inhalt, sondern auch eine attraktive Verpackung hat, verkauft sich einfach besser. Problematisch wird es nur, wenn hinter der Fassade die Leistung in den Schatten tritt.

Kennen Sie solche Vorurteile?

Anfangs gab es sie schon. Als die erste CD erschien, waren gerade Fachleute eher abgeschreckt. Nach dem Motto: Das ist so ein Schönling, das kann nichts sein. Die haben sich meine Arbeit nicht mal angehört. Das hat sich geändert.

Sie haben Verpflichtungen für die kommenden fünf Jahre, auf Ihrer neuen CD mit italienischen Arien gehen Sie stimmlich in die Vollen. Was bedeutet eigentlich der Titel „ Verismo Arias" genau?

Das ist ein ab 1890 in Italien üblicher Opernstil, bei dem man vor allem an Puccini denkt. Es gibt aber noch viele andere Perlen. Typisch ist, dass zum ersten Mal intensive Gefühle gezeigt werden. Vorher wurde die Contenance gewahrt, da waren die Geschichten eher in adeligen Kreisen angesiedelt. Bei den „wahren Arien" ist es so, als öffnest du eine Box, und die Emotionen springen dir entgegen.

Liegt Ihnen so viel Pathos denn?

Man kann das nicht halb machen. Wenn es mir insgeheim peinlich wäre, mein Innerstes nach außen zu kehren, dann bräuchte ich's gar nicht zu machen. Das würde man sofort hören. Bei dieser Kunst muss ich die Hand ins Feuer legen und sagen: Ich bin mit ganzem Herzen dabei!

Gibt es ein sängerisches Risiko?

Auf der Bühne kann ich in eine Art Adrenalinrausch geraten. Dann muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht ein derartiges Fass aufmache - und anschließend die nächsten 14 Tage stimmkrank bin. Deshalb brauche ich Beobachter - oft ist es meine Frau. Die sitzt dann in den Aufführungen und warnt mich: An dieser Stelle pass auf!

Was könnte denn passieren?

Man verliert die Kontrolle über sein Zwerchfell und gibt zu viel Druck da rein. Das kann Unheil bringen, manchmal umgehend.

Angst vor dem Versagen hat schon viele Kollegen gebeutelt, zuletzt Rolando Villazón. Wie wappnen Sie sich?

Angst ist der größte Feind des Sängers, weil Anspannung die Tiefenatmung verhindert. Bei mir dreht sich die Spirale gottlob andersherum: Durch positive Erfahrungen bekomme ich mehr Ruhe, kann mich lockerer und weicher singen. Außerdem mache ich vor jedem Auftritt Yogaübungen. Die fokussieren und weiten den Brustraum.

Mussten Sie Konzerte schon absagen?

Zweimal Lohengrin in Bayreuth und einen Liederabend in Salzburg. Ich war erkältet. Es nützt ja nichts: Ich habe nur dieses eine Instrument, und für kein Geld der Welt kann ich mir ein neues kaufen.

Sie sind mit Musik aufgewachsen: Ihr Großvater spielte Klavier, Ihr Vater ging oft ins Konzert und legte Klassikplatten auf. Wie wichtig sind Vorbilder?

Nur wenn ich als Kind schon den Virus der Musik in mir habe, interessiere ich mich auch als Erwachsener dafür und habe keine Hemmschwelle. Mit fünf wollte ich Klavierunterricht nehmen wie meine Schwester Katrin. Das war leider nicht möglich. Stattdessen habe ich im Kinderchor gesungen. Seit dem weiß ich: Musik ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.

Wie halten Sie es mit dem Musikunterricht bei Ihren Kindern?

Ich singe mit ihnen, die musizieren auch, aber ohne Druck. Ich will Anstöße geben und die Mittel bereitstellen. Ob sie aktive oder passive Musikgenießer werden, ist mir egal. Aber sie sollen wissen, was für ein Schatz die Musik ist.

Von Ihren Eltern, die regelmäßig in Italien Urlaub machten, übernahmen Sie die Liebe zur italienischen Lebensart. Jetzt aber trinken Sie Tee. Was ist passiert?

Ich geb's ja zu: Was Kaffee angeht, bin ich ein wenig speziell.

Wie muss er denn zubereitet sein?

Zunächst mal bestelle ich italienische Röstungen in meiner speziellen Mischung. Dann benutze ich eine Siebträgermaschine, die mit Kolbendruck funktioniert. Dieser Apparat wird glühend heiß. So muss es sein.

Keine Chance für Automatengebräu?

Nein, das tue ich mir nicht an.

INTERVIEW: ANGELA MEYER-BARG JONAS KAUFMANN: VERISMO ARIAS ARIEN aus ,.La Boheme"..,Giulietta e Romeo" und anderen Opern. Dirigent: Antonio Pappano. Decca

 






 
 
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