Der Tenor Jonas Kaufmann untermauert mit seiner neuen Platte seine
enormen vokalen Fähigkeiten
Herr Kaufmann, mein fünfjähriger Sohn hat, als er das Cover Ihrer
neuen CD mit Verismo-Arien sah, behauptet, der Mann darauf sähe aus wie ein
Räuber.
Jonas Kaufmann: (lacht schallend) Wunderbar. Gefällt mir
sehr gut. Ich habe einen Kollegen im Orchester, der hat immer gesagt: "Ich
habe einen Freund, der ist ein als Opernsänger getarnter Drogenhändler. So
sieht der aus." Das Klischee will es ja auch so: lange Locken, Dreitagebart,
Lederjacke. Aber letztlich sind die Typen, die auf diesem Album auftauchen,
teilweise ja auch wirklich so: wild und verwegen. Auf der anderen Seite gibt
es aber auch diese Muttersöhnchen. Alles in allem finde ich das Cover sehr
schön, weil es genau das ausstrahlt, was die Musik ausdrückt: sehr viel
Leidenschaft, höchste Intensität. Es ist vielleicht nicht besonders
freundlich, das stimmt. Ich lache nicht.
Betrachtet man das Repertoire, besteht dazu allerdings auch wenig
Anlass.
Kaufmann: Das wollte ich gerade sagen. Man muss
aufpassen, dass man sich vor lauter Bekümmernis nicht aus dem Fenster
stürzt. Weil es so brutal und ungeschminkter Verismo ist, so wahrhaft, so
echt. Und dafür fand ich das Bild eigentlich ideal: Dass man sieht, da ist
einer, der auch anders kann als nur Heiteitei. Und damit kommen wir schon
wieder in die Richtung Räuber ...
... der natürlich den Großmüttern nicht nur die Kaffeemühle stiehlt
wie Hotzenplotz, sondern in großen Teilen auch noch das Herz. Insbesondere
sowohl jüngere als auch ältere Damen sind ja im höchsten Maße angetan von
der Stimme, die diesem Räuber gehört und bestätigen damit gewissermaßen ein
Wort von Ernst Bloch, der den Tenor einmal als "singendes Erotikon"
bezeichnet hat.
Kaufmann: Ich betrachte das sehr gelassen. Natürlich
freue ich mich sehr, wenn das, was ich an Emotionen und an Leidenschaft in
meine Interpretation hineinlege, so auch beim Publikum ankommen. Solche
Effekte, wie von Ihnen gerade geschildert, haben ja nichts damit zu tun,
dass ich während der Aufführung den Leuten zuwinke oder zuzwinkere. Es liegt
offensichtlich daran, dass da eine intensiv gefühlte Wallung über den Graben
hinüber hüpft, oder im Falle einer CD über die Stereoanlage transportiert
wird; etwas, das diese Leute irgendwo berührt. Das finde ich ungeheuer
faszinierend, und ich freue mich sehr, dass ich das Glück habe, ein solches
Instrument zu haben, mit dem man eben auf der Klaviatur von Gefühlen spielen
kann. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch die Gefahr: Man darf das
nicht übertreiben, man muss es in Maßen machen.
Wie geht das? Haben Sie einen Anwalt an Ihrer Seite, der Ihnen das
richtige Maß zuflüstert?
Kaufmann: Nein. Man muss selber sehr offen sein. Sich
wirklich exhibitionieren, alles aus sich herauslassen. Das sind ja wirkliche
Gefühle von mir, auch wenn sie ein anderer komponiert hat - aber eben von
mir empfunden. Und deswegen muss man sich darüber im Klaren sein, dass man
sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen kann. Irgendwann kommt der Moment,
wo man Gefahr läuft, sich selbst zu verlieren in diesen Abgründen, in die
man hineinschaut, dort zu verenden. Kurz: Das ist nicht ganz ohne, dieses
Metier.
Der Schauspieler Ulrich Mühe hat einmal auf die Frage, ob er eine
Figur auf der Bühne ganz sein oder sie "nur" zeigen könne, geantwortet,
vermutlich ginge das Sein nicht, nur das Zeigen.
Kaufmann: Das sehe ich ebenso. Das Tolle ist, dass man
versucht, sich die ganze Zeit über im Zustand einer "kontrollierten Ekstase"
zu befinden, um ein Wort Karajans aufzugreifen. Man versucht, so viel wie
möglich an Emotionen in die Gestaltung einer Partie hineinzulegen und dabei
nur den allerletzten Krümel Verstand im Hinterkopf arbeiten zu lassen, der
den Stecker zieht, wenn man dabei ist, sich selbst zu vergessen. Und dieses
Spiel ist am Anfang schwierig zu spielen. Entweder man schießt übers Ziel
hinaus und verausgabt sich auch, ohne es zu merken, stimmlich allzu sehr.
Oder es ist langweilig für einen, weil man denkt, weil man zu kontrolliert
agiert, ohne echte Gefühle. Wenn jemand auf der Bühne wirklich weint,
entsteht der Moment, wo man als Zuschauer abschaltet und sagt: Nein, das ist
jetzt zu viel. Es dürfen nicht 100 Prozent echte Emotion und Lust sein -
aber 98 bis 99 Prozent schon.
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