Nordbayerischer , 26. August 2010
Christine Knorz
In Bayreuth ist jeder Ton gut aufgehoben

Für Tenor Jonas Kaufmann war der Lohengrin am Festspielhaus eine ganz besondere Erfahrung - er würde gerne wiederkommen
„Leb wohl! Mir zürnt der Gral, wenn ich noch bleib!", singt Lohengrin, wenn er Abschied nimmt von Elsa. Abschied nimmt auch Tenor Jonas Kaufmann von Bayreuth - zumindest vorläufig, Die Partie des Lohengrin singt im nächsten Jahr Klaus Florian Vogt. Doch Kaufmann will wiederkommen, verrät er im Interview zum Ende des Festspielsommers 2010.

Frage: Sie sagten einmal, es sei ein Traum in Bayreuth zu singen. Wie geht es Ihnen denn am Morgen nach diesem Traum. Ernüchtert oder inspiriert?

Jonas Kaufmann: (lacht) Am Morgen nach einer Vorstellung ist man immer wie leicht verkatert, aber generell habe ich noch nicht genug, keine Frage. Bayreuth ist ein besonderes Erlebnis, das wusste ich vorher schon, das hatte mir auch jeder gesagt. Trotzdem ist es dann noch mal was anderes, wenn man es selbst erlebt. Die Atmosphäre ist besonders, die Akustik - das ganze Haus ist ein Resonanzboden! Hier spürt man, dass jeder Ton gut aufgehoben ist und man sich nicht gegen eine übermächtige Orchestermasse wehren muss. Das macht natürlich sehr viel Spaß.

Frage: Merken Sie tatsächlich einen Unterschied zu anderen Häusern?

Kaufmann: Ich bilde es mir zumindest ein. Ich habe das Gefühl, dass man hier noch mal was anderes erreichen kann. Gerade in der Kombination mit Andris Nelsons als Dirigent ist es traumhaft. Er selbst hat auch ein paar Tage gebraucht, um sich an die Situation zu gewöhnen, dass er uns Sänger kaum hört. Aber als wir uns aneinander gewöhnt hatten, konnten wir blind Musik machen.

Frage: Das heißt, Sie haben sich gut verstanden?

Kaufmann: Auf jeden Fall. Man braucht nicht lange, um sich zu verstehen - oder eben zu merken, dass man sich nicht versteht. Das gibt es ja leider auch mal. Da könnte man Monate probieren und würde nicht zusammenkommen. Das war hier ganz sicher nicht der Fall.

Frage: Sie haben die ersten Proben verpasst, kamen Sie trotzdem schnell rein?

Kaufmann: Die Proben, die es auf der Bühne und mit Orchester gab, habe ich alle mitgemacht. Die Proben, die ich teilweise verpasst habe, fanden in einer dieser schönen Hallen statt, wie es sie auch an allen anderen Opernhäusern gibt. Und ich hatte das Gefühl, dass mir die „Tosca"-Aufführungen in München geholfen haben, den Lohengrin immer wieder neu anzugehen - und zwar in jeder Hinsicht. Zum Beispiel musikalisch, weil man sich durch die italienischen Phrasierungen daran erinnert fühlt, was Wagner wollte: nämlich dass man mit einer gewissen Italianità singt.

Frage: Wie haben Sie den Klangraum hier für sich ausgelotet?

Kaufmann:
Ich denke, dass man hier in Bayreuth eine größere Farbpalette anwenden kann, gerade aufgrund der akustischen Gegebenheiten. Weil der Raum nicht unglaublich groß ist, weil er aus Holz ist, weil das Orchester diesen Deckel hat, ist es anders; und das muss man ausnutzen, um eigene Grenzen auszuloten, aber gleichzeitig auch Vertraute haben, die während der Proben im Publikum sitzen und sagen, was funktioniert und was nicht. Es war auch teilweise nicht ganz einfach, weil manche gesagt haben, „Nein, unmöglich", und andere gesagt haben „Genau so!".

Frage: Sie meinen die Piano-Passagen?

Kaufmann: Genau. Ich glaube nicht, dass es eine Geschmacksfrage ist, denn ich halte mich an das, was Wagner geschrieben hat. Und wenn er piano oder pianissimo schreibt, dann glaube ich, dass er das so gemeint hat. Und wenn er dazu noch einen Orchesterklang komponiert, der das auch erlaubt, dann finde ich es fahrlässig, wenn man es in diesem besonderen Klangraum des Festspielhauses nicht ausnutzt. Aber es war sehr ungewöhnlich und viele, die hier lange Jahre musikalische Beratungsdienste machen, waren etwas irritiert und haben gesagt: „Mensch, immer dieses ewige Legato, wir brauchen mehr Text ..." Da prallen zwei Welten aufeinander.

Frage: Es gibt ja einige hier, die sich mit Ihrem Legato-Stil nicht anfreunden wollten.

Kaufmann: Denen empfehle ich, mal in die Partitur oder in den Klavierauszug zu schauen, da gib es nämlich einige Überraschungen. Auch für mich gab es die, als ich den Lohengrin letztes Jahr für die Münchner Festspiele studiert habe. Dass zum Beispiel das berühmte „Nie sollst du mich befragen" wirklich leise gesungen werden soll und beim zweiten Teil des Satzes schreibt Wagner nochmal ein Piano hin. Er meint das also wirklich. Das habe ich nie so gehört. Aber es sagt ja auch etwas über den Lohengrin aus. Ich finde es sowieso interessant, wenn ein Superheld, der in einem Minuten langen göttlichen Chor angekündigt wird, ankommt und anstatt sich hinzustellen und gleich mal ein paar heldische Phrasen loszulassen, unheimlich zärtlich mit dem Schwan spricht. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass Wagner gar nicht wollte, dass Lohengrin von vorne bis hinten den Helden mimt, sondern auch eine zarte, menschliche Seite zeigt.

Frage: Dann muss es Ihnen doch entgegen gekommen sein, dass Hans Neuenfels die intimen Momente zwischen Lohengrin und Elsa auch intim inszeniert hat?

Kaufmann: Unglaublich, ja! Es ist einfach wahnsinnig schwer im ersten und zweiten Akt, die intime und menschliche Komponente, die zwischenmenschlichen Spannungen und Bezugnahmen gerade des Lohengrin aufzubauen, weil er so wenig auf der Bühne ist. Wenn die ganze Zeit 150 Leute drum herumstehen und auf ihren Einsatz warten, ist man geneigt, das Ganze staatsmännisch herunterzuspulen. Durch die Idee, die Ratten immer wieder in ihre Zellen zu verbannen, entstehen intime Momente, die ich nie erwartet hätte. Das hilft sehr. Gerade der Moment, „Elsa, ich liebe dich" ist ungeheuer schwierig. Lohengrin kommt auf die Bühne, ist drei Minuten da, sagt: Willst du, dass ich dich heirate? Also gut, dann darfst du aber nie fragen, woher ich komme, ich liebe dich, Kuss. So steht es im Klavierauszug. Das kann man doch gar nicht glauben. Wenn man es analysiert, müsste man meinen, dass sein „Ich liebe dich"nur Teil des Missionskonzepts ist, ein Trick. Es geht nur um das große Ganze und das Wohl des deutschen Volkes. Das fände ich furchtbar schade, weil es den ganzen Charakter unglaublich verflacht und Lohengrin einfach nur zu einer Marionette des Grals macht. Das fände ich nicht richtig. Und ich glaube, dass man an der musikalischen Gestaltung Wagners sieht, dass auch er das so nicht gesehen hat, dass die Gefühle keine politische Entscheidung sind. Aber wie interpretiert man das? Es war genial von Neuenfels, dass die Bühne innerhalb von wenigen Sekunden leer gefegt ist und man sich auf das Zwischenmenschliche konzentrieren kann. Elsa hat Lohengrin vorher nie in die Augen gesehen, erst in diesem Moment tut sie es. Und wenn sie es tut, fällt ihm die Klappe runter und er sagt „Ich liebe dich«. Das ist wirklich Liebe auf den ersten Blick.

Frage: Sie haben schon mal - zumindest von den Publikumsreaktionen her - nicht so gute Erfahrungen gemacht, was Regiekonzepte und alte Stoffe betrifft. Stichwort Herheim und Salzburg. Wie ging es Ihnen denn mit Neuenfels' Einfällen in Bayreuth?

Kaufmann: Mir ging es damit sehr gut. Mir ging es auch damals bei Stefan Herheim sehr gut. Wir hatten großen Spaß, haben dem Affen ordentlich Zucker gegeben und es vielleicht ein bisschen übertrieben. Wir hätten vielleicht maßvoller sein sollen. Die Inszenierung war zwar umstritten, aber nicht grundverkehrt. Ich bin immer sehr offen für Neues, auch für auf den ersten Blick Verrücktes. Ich möchte nur nicht gerne für dumm gehalten werden. Wenn jemand seine Intellektualität über das Wissen der Protagonisten stellt und sagt, „Du machst das, du jenes und ihr werdet schon noch sehen, was das bedeutet" - das ist nicht meins. Ich will gerne Mitwisser sein, will gerne über das Ganze reden. Dann kann ich auch etwas entwickeln, was in der Regie, aber auch in mir funktioniert. Und das hat hier mit Neuenfels hervorragend geklappt. So stelle ich mir das im besten Falle vor. Nach einem Grundgespräch weiß man, wo ein Charakter hingeht, dann macht man als Sänger seine Sache, und dann ist der Regisseur der Beurteiler, der Schiedsrichter, der einem mitteilt, was er verstanden hat, was zu viel und was zu wenig ist.

Frage: Das heißt, Sie würden keinen Auftrag ablehnen, nur weil Proteste und Diskussionen zu erwarten sind? Sie wollen nicht der brave Tenor sein?

Kaufmann: Nein, ganz sicher nicht. An was ich mich manchmal stoße, sind zwei Dinge. Es gibt immer wieder Regisseure, die von dem Stück keine Ahnung haben und denen es auch nichts bedeutet. Denen Eigenprofilierung viel wichtiger ist, als irgendwas aus dem Stück zu machen. Die einer Geschichte, die, wenn man genau hinschaut, interessant ist, eine andere überstülpen, weil ihnen das momentan besser ins Konzept passt, und die dann auch noch respektlos mit der Musik umgehen. Was mich noch stört ist, dass das Publikum die Sänger mit der Regie in einen Topf wirft, wenn eine Inszenierung provokativ oder grenzwertig ist. Nach dem Motto: „Ihr seid mit verantwortlich, Ihr müsst nach Haus gehen und sagen, dass ihr so etwas nicht macht." Aber das geht nicht. Wir können oft gar nicht erahnen, wie es im Endeffekt wirken wird. Eine Woche vor der Premiere denkt man manchmal noch: „Das wird furchtbar!", und auf einmal ergibt es sich. Deshalb muss man den Dingen auch eine Chance geben und nicht sagen: „Mein Gott, lauter Ratten, das mache ich nicht." Das wäre Unsinn. Bei Neuenfels ist es Teil des Konzepts, dass es Doppeldeutigkeiten gibt, symbolhafte Handlungen und Darstellungen, die in vielfacher Weise interpretiert werden können. Das macht es spannend. Weil jeder etwas hineininterpretieren kann. Ob man sagt: Das ist Kritik an der Menschheit von heute, oder daran, dass das Volk immer wieder verführt werden kann. Ich habe schon Stimmen während der Proben gehört, die fragten: „Wer sind denn jetzt die Ratten, sind das die Nazis?" Wo sieht man das? Da ist kein Zaunpfahl, mit dem gewunken wird. Es gefällt mir gut, weil es, obwohl es sehr stark, intensiv und extrem ist, gleichzeitig aber auch dezent wirkt, weil es in viele verschiedene Richtungen interpretiert werden kann. Noch mal: ich bin immer offen, aber ich diskutiere auch gerne mit einem Regisseur, wenn etwas für meine Begriffe Missverständliches passiert.

Frage: Ging das mit Herrn Neuenfels?

Kaufmann: Wir haben uns sehr gut verstanden. Wir hatten schon lange vorher Kontakt und haben darüber geredet, wie die Figur angelegt ist. Ihm war auch die menschliche Seite, der tragische Held, ungeheuer
wichtig, wenn er am Schluss alleine durch das Feld der Toten wandert. Ich hoffe, dass man die Vereinsamung, Verbitterung und diese unglaubliche Enttäuschung, die er verspürt, bemerkt.

Frage: Bedauern Sie, dass Sie den Lohengrin jetzt schon wieder abgeben müssen?

Kaufmann: Absolut, das ist keine Frage. Ich hatte: nie vor, das nur als einjähriges Gastspiel zu sehen. Es hat aber, mit den Probenzeiten 2011 nicht funktioniert. Die Zeiten wurden mehrfach geändert. Ich hätte im nächsten Jahr Vorstellungen an anderen Häusern absagen müssen, um bei der Wiederaufnahme dabei zu sein. Bevor ich Verträge unterzeichne, überlege ich lange, aber wenn ich unterzeichnet habe, fällt es mir nicht leicht etwas wieder abzusagen.

Frage: Und das ließ sich nicht koordinieren?

Kaufmann: Anscheinend nicht. Wir haben viel hin- und her diskutiert. Dann kam von der Gegenseite der Hinweis: Wir haben auch andere, die den Lohengrin singen können. Na gut.

Frage: Haben Sie vor, noch mal nach Bayreuth zu kommen?

Kaufmann: Auf jeden Fall. Als Zuschauer und als Sänger.

Frage: Haben Sie sich eine Altersgrenze gesetzt, den Tristan erst ab 50?

Kaufmann: So ungefähr. Das muss man auch. Ganz viele Opernhäuser und Dirigenten fragen an, solche Partien jetzt schon zu machen. Es ist klar, dass man nicht zu lange warten darf. Man darf nicht sagen, das mache ich erst mit 65. Die Rolle finde ich sehr reizvoll, was die Darstellungsmöglichkeiten betrifft. Allein auf der Insel, da kann einem schon viel einfallen. Auch da gibt es lyrische Momente, wie im Duett im zweiten Akt. Es würde mir auch gefallen, die verschiedenen Farben darzustellen und zu singen. Die Wagnerianer werden aufschreien, aber ein Don José hat auch viele psychologische Dimensionen. Er fängt auch leicht und lyrisch an und steigert sich immer mehr. Ist natürlich nur ein Bruchteil von dem, was Tristan singt. Otello reizt mich auch sehr.

Frage: Der aber auch noch warten muss?

Kaufmann: Ja, keine zehn Jahre mehr, aber vielleicht fünf.

Frage: Wenn man jetzt weiß, dass Ihr Fünfjahresplan steht, kann man ja anfangen zu spekulieren.

Kaufmann: (lacht) Genau. Die Entscheidung steht jetzt an. Aber das ist keine leichte. Es ist auf der einen Seite schön, wenn man als Künstler das gute Gefühl einer Fünfjahresauslastung hat. Auf der an
deren Seite ist es so was von unkünstlerisch, so lange im Voraus zu planen. Denn aus der Spontaneität, aus der Lust her aus dieses oder jenes zu machen, könnte man ja noch eine ganz andere Kreativität entwickeln. Wenn ich als Maler jetzt schon die Farben kaufen müsste, mit denen ich in fünf Jahren ein Bild malen sollte, das fände ich unmöglich. Aber was will man machen? Es hat keinen Sinn zu sagen: Da mache ich nicht mit. Denn das würde bedeuten, dass ich an den großen Opernhäusern keine Produktionen mehr machen könnte. Covent Garden oder die Met planen eben fünf Jahre im Voraus.

Frage: Wie gehen Sie denn innerlich mit den Bedenkenträgern um, die sagen: Der hat keine Kopfstimme, der macht's nicht mehr lange?

Kaufmann: Ich spüre eigentlich, ziemlich gut, was meiner Stimme gut tut und was nicht. Ich bin momentan in einer stimmlichen Verfassung, in der ich mehr Möglichkeiten habe denn je, in jede Richtung. Es ist nicht so, dass irgendwas nicht mehr funktioniert, im Gegenteil, es gehen neue Türen auf, ohne dass andere zufallen. Ich kann immer noch - Gott sei Dank - Lieder singen und auch die feinen Nuancen umsetzen. Ich denke, dass ich durch die abwechslungsreiche Gestaltung des Kalenders im deutschen, italienischen und französischen Fach mir viele verschiedene Bereiche der Stimme lange erhalten kann. Ob es immer so geht, weiß ich nicht. Man kann immer ins Straucheln geraten. Man muss sich ständig hinterfragen und nicht nur das; Planen mit Verstand betreiben, sondern auch das Abarbeiten. Wenn man die Stimme überanstrengt hat, weil man sich überschätzt oder trotz Krankheit gesungen hat, muss man die Konsequenzen ziehen. Aber noch viel besser ist, dass man pausiert, bevor man sich schadet. Jede Aufführung, die man macht, ist in den Augen derer, die ein Ticket dafür haben, die Wichtigste des Jahres und für die Veranstalter meistens auch. Ich habe zum Glück eine Agentur, die mir nicht immer einredet: „Heute musst du unbedingt auftreten, da hängt alles dran." Die haben wie ich den Eindruck, dass auch einem Publikum mehr daran gelegen ist, dass ich noch viele Aufführungen singen kann und nicht nur diese eine. Solange man ehrlich zu sich ist, kann man da sehr gesund über die Runden kommen. Man muss sich halt auch mal eingestehen, dass man sich verplant hat.

Frage: Wann gingen die Absprachen wegen Lohengrin eigentlich los?

Kaufmann: Das weiß ich gar nicht mehr genau. Es kam eine Anfrage, ich habe dann dreisterweise gefragt, wer singt die Elsa, wer dirigiert und so weiter. Das fanden die eigentlich gar nicht so lustig, dass ich das wissen wollte. Ich hab ihnen aber klar gesagt, dass ich nur unter Preisgabe dieser Informationen überhaupt zusagen kann, weil ich zu dem Zeitpunkt noch keinen Lohengrin gesungen hatte; München war vielleicht schon im Gespräch, aber noch nicht unterschrieben. Also war es Neuland für mich, und da konnte ich nicht sagen: Na klar, ich mache es, egal mit wem. Das ist auf großes Unverständnis gestoßen, und dann haben wir in gegenseitigem Einverständnis den Plan ad acta gelegt. Ich hatte dann schon längst die „Tosca" in München zugesagt, als plötzlich ein neuer Vorstoß kam. Wir haben uns dann geeinigt und einen Kompromiss gefunden, dass ich nicht permanent hier bin, sondern den anderen Verpflichtungen auch nachgehen kann. Da gab es viele Stimmen, die sagten, „Das ist völlig unmöglich", und „Das schafft der nie" und „Der macht sich kaputt". Natürlich ist das nicht einfach, das braucht Disziplin. Aber es kann sich dann auch gegenseitig befruchten. Der Florestan vor drei Tagen in Luzern war die Vorbereitung für den Lohengrin gestern. Das funktioniert sehr gut. Aber ob das noch bis zum Ende des Monats geht, weiß ich nicht. Es kann sein, dass ich morgen erkältet bin und dann pausiere. Das gibt's, damit muss man auch leben.

Frage: Können Sie sich vorstellen, hin zu mehr populären Konzerten und CD- Aufnahmen zu gehen, um den Markt jenseits der Opernfans abzugrasen?

Kaufmann: Hmmmm... eigentlich nicht. Ich glaube, dass das eher kontraproduktiv ist. Wenn man sich zu sehr von seinem eigentlichen Repertoire entfernt, kann man seine Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit als Opernsänger verlieren, und das möchte ich mit Sicherheit nicht riskieren. Ich bin "gelernter" Opernsänger und das sollte auch mein Hauptaugenmerk bleiben. Es gibt natürlich Grenzbereiche. Ich möchte nicht sagen, dass ich es nie mache. Weil man zum Beispiel mit jemandem befreundet ist, der in der Pop-Branche tätig ist, und man so viel Spaß miteinander hat, dass man sagt: Komm wir machen das, aus Gaudi.

Frage: Auch aus finanziellen Gründen?

Kaufmann: Das glaube ich nicht. Ich kann nicht darüber jammern, was ich bisher in meinem Beruf verdient habe. Aber was ich bisher an CDs verdient habe, ist lächerlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich was Gutes tut, wenn man es aus diesen Gründen macht. Und das Publikum merkt sofort, wenn man auf-Teufel-komm-raus versucht, sich zu vermarkten. Es mag bequem sein, dass die CDs für einen arbeiten. Der Nachteil ist, dass man unheimlich an Privatsphäre verliert, wenn man einem größeren Publikum bekannt ist. Ich weiß nicht, ob ich das so toll finde. Und wenn man sich dadurch verscherzt, ein hoffentlich langes Leben an den Opernhäusern zu verbringen, weil die Verantwortlichen sagen: „Nee, der singt doch heute nur noch Schnulzen, den wollen wir hier nicht mehr hören", fände ich das ganz furchtbar. Ich mag meinen Beruf so gerne, dass ich ihn so lange als möglich machen will.

Frage: Haben Sie sich überlegt noch mal eine Auszeit zu nehmen? Um noch mal zu Herrn Rhodes zu gehen und zu lernen?

Kaufmann: Das wäre mal interessant, ja. Da ich eine Frau habe, die auch Sängerin ist, und die sich Proben, Generalproben oder Aufführungen anhört, wenn sie Zeit hat und auch mit mir teilweise heftig darüber diskutiert, was man wie machen kann und soll, habe ich zum Glück eine Vertrauensperson, die auf mich schaut. Und ich habe auch ein sehr gutes Gespür für meine Möglichkeiten und Grenzen. Vieles, was Michael Rhodes in mir angestoßen hat, habe ich über die Jahre weiterentwickelt. Ich habe immer wie der Kontakt mit ihm, doch viele Jahre keinen Unterricht mehr bei ihm gehabt. Aber ich denke immer wieder darüber nach.

Frage: Haben Sie jetzt ein neues Zettelchen, auf dem steht „Don't forget ..." irgendwas?

Kaufmann: (lacht) „Don't forget the Met", das war damals der Running Gag. Ich habe natürlich überhaupt nicht dran geglaubt, als ich während der Krise im Jahr 1995 bei ihm war und er sagte: „Du wirst mal den Lohengrin singen". Da habe ich nur gedacht: Es ist nett, dass du mich aufbauen willst, aber bitte nicht unrealistisch werden. Als aber eins nach dem anderen eintraf und ich mit meiner Stimme immer sicherer wurde, dachte ich: Glück gehabt! Und dann musste ich wieder an seinen Notizblock aus dem Met Gift Shop, der immer auf seinem Klavier lag, denken, auf dem gedruckt war: „Don't forget the Met!" Leider gibt es den Block nicht mehr zu kaufen! Das hat sich mir eingraviert. Es ist wunderschön dort zu singen, es ist unheimlich berührend, weil es eine traumhafte Akustik ist und ein Publikum, das sich sehr begeistern lässt. Das hat schon was.

Frage: Was fehlt Ihnen denn noch, Sie haben ja schon fast alle großen Häuser, abgehakt?

Kaufmann: Moskau und St. Petersburg fehlen noch und Südamerika. Allen voran das Teatro Colon in Buenos Aires und die Bühne in Manaos im Dschungel, da würde ich noch gerne hin. Wenn ich keine Familie hätte, würde ich wahrscheinlich überall herumtingeln und mir das alles ansehen, aber so gibt es eben Wichtigeres.

Frage: Wenn Sie nach Bayreuth zurückkommen, haben Sie dann einen Wunsch, mit welcher Rolle?

Kaufmann: Nein, habe ich nicht. Als nächstes wird es Siegmund an der Met im Frühjahr geben, und dann ist erst mal eine lange Pause mit neuen Wagnerpartien. Aber dann wäre es sicher ideal, eine schwierigere Partie wie Siegfried oder Tannhäuser oder Tristan in Bayreuth zu machen, weil man hier den kleinen Vorteil des gedeckelten Orchesters hat. Schau'n wir mal. Der Sommer ist ja immer auch noch was anderes, was den Fünfjahresplan betrifft. Ich bin auch mit Alexander Pereira, meinem ehemaligen Intendanten von Zürich, der jetzt nach Salzburg geht, im Gespräch für viele Produktionen. Das ist natürlich die direkte Konkurrenz, denn Bayreuth und Salzburg gleichzeitig geht ja leider nicht. Wir werden sehen. Von meiner Seite war es nicht das letzte Mal.
 






 
 
  www.jkaufmann.info back top