NEWS, 8. Juli 2010
SUSANNE ZOBL
Der Rest ist vergänglich
 
In der ersten Tenor-Liga
Jonas Kaufmann, 40, Münchner, gefragtester Tenor der Gegenwart: „Wenn ich ruhig und locker bleibe, dann sollte es so weitergehen.“
In erster Linie ist er ein fabulöser Künstler, ein Tenor von betörender Stimmfarbe und großartiger Intensität. Für viele hat er im heldischen Zwischenfach, bei Wagner und Verdi, kaum noch Konkurrenz. Kein namhaftes Haus der Welt könnte auf ihn verzichten. Dass Jonas Kaufmann, 40, auch von enormer Ansehnlichkeit ist, betrachtet er selbst bisweilen als Beschwer. Am 14. Juli erscheint seine Biografie, in der ihn auch Größen wie Christa Ludwig und Placido Domingo feiern. In Wien und Salzburg wird er künftig die Nummer eins seines Faches: Sowohl das Staatsopern-Führungsduo Dominique Meyer/Franz Welser-Möst als auch der ab 2012 amtierende Salzburger Festspielintendant Alexander Pereira haben Massives mit ihm vor. Dies und mehr über die Tücken und Hoffnungen der Branche sowie seine Strategien an der Spitze gibt er im NEWS Interview bekannt.

NEWS: Alle großen Opernhäuser reißen sich um Sie, Sie sind in der Höchstliga. Wie gehen Sie damit um?

Kaufmann: Das darf einem keine Angst machen, sondern einen nur darin bestärken, dass man so weitermacht wie bisher.

Immer selbstkritisch bleiben und sich nicht für unhesiegbar halten.

Die Qualität, die mich an diese Stelle geführt hat, lässt mich hoffentlich auch da bleiben. Und wenn ich locker und ruhig bleibe und weiterhin meine Arbeit mache, übe, vernünftig bin, auch mit der Wahl der Partien, dann sollte es so weitergehen. Aber nicht noch höher hinaus. Da will ich auch nicht hin. Also über die Klassik hinaus will ich nichts reißen. Wäre ich ein Popstar, wäre mein Leben als Normalmensch vorbei. Und ich hin froh, dass ich als Münchner jetzt auch hier auftrete. Früher war ich zwar in Covent Garden und Paris, aber eben nicht in München.

NEWS: Und sehr selten in Wien. Das wird sich mit der Direktion Meyer/Welser-Möst ändern. Ein neuer „Lohengrin“, Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen“ und eine „Parsifal“ -Serie sollen kommen.

Kaufmann: Wir haben mehrere Produktionen in Planung. Aber nicht morgen. In diesem Geschäft plant man immer weiter voraus, deshalb komme ich in der nächsten Spielzeit erst für ein paar Vorstellungen von „Werther“. Die erste Neuproduktion ist in der Spielzeit 2013. Außerdem ist auch noch eine weitere französische Wiederaufnahme in Planung.

NEWS: Welser-Möst schreibt in Ihrem Buch, er würde gern Ihren ersten „Othello“ dirigieren. Wann wird das denn sein?

Kaufmann: Ich bin mit meiner Planung bereits in der Saison 2015/16. Der „Othello“ liegt grundsätzlich auf der Hand. Aber es gibt noch so viele andere Partien, die ich vorher machen möchte, „Troubadour“, „Macht des Schicksals“, „Andre Chenier“.

NEWS: Und mit Pereira in Salzburg?

Kaufmann: Es sieht so aus, als ob da jedes Jahr eine Produktion kommen wird. Und ein Liederabend oder ein Konzert.

NEWS: „Fidelio“, „Meistersinger“ und Verdi?

Kaufmann: Herr Pereira wird bekannt geben, was da passiert. Sicher kommen die genannten Opern infrage. Aber auch andere Sachen. Wir haben sehr weiträumig gedacht. Ich freue mich schon sehr darauf. Jetzt muss ich nur noch einen schönen Platz finden, wo ich den Sommer in Salzburg verbringen kann.

NEWS: Ist Ihr Buch auch eine Warnung für junge Sänger, sich nicht vom Opernbetrieb zerstören zu lassen? Während Ihres ersten Engagements in Saarbrücken wurden Sie oft falsch eingesetzt, hätten Ihre Stimme fast ruiniert.

Kaufmann: Man fragt mich immer, wie man es als junger Sänger zu etwas bringt. Aber es gibt kein Universalrezept. Man muss ein gutes Nervenkostüm haben und ein gesundes Selbstbewusstsein. Dabei aber immer selbstkritisch bleiben und sich nicht für unbesiegbar halten. Man überschätzt sich oft, aber man unterschätzt sich auch. Singen ist wie Auto-fahren. Wenn man immer Vollgas fährt, geht der Motor kaputt. Wenn man ihn aber immer schont, verliert er an Leistung. So ist das auch mit der Stimme. Deswegen singe ich die Bandbreite an Partien, um die Flexibilität in der Stimme zu halten. Das Buch soll jungen Sängern sagen, bleibt offen in eurer Wahrnehmung.

NEWS: Kann man sich vor einem Schicksal wie jenem von Rolando Villazon schützen?

Kaufmann:Das ist sehr traurig. Denn er hat so eine tolle Stimme und ist so ein sympathischer Mensch. Aber wirklich schützen kann man sich nicht. So ein Fall bringt einen zum Nachdenken. Man sollte sich immer wieder fragen, ob es nicht besser wäre, eine Pause mehr zu machen, als noch eine Produktion anzunehmen. Man lernt mit der Zeit seine Grenzen zu erkennen und weiß, wann man besser absagt, obwohl die Stimme vielleicht noch den einen Abend durchhalten kann. Doch erstens

 ‚Die Stimme kann man sich nicht zurückkaufen. Wir haben alle keine Garantie.‘

ist dieser „Eiertanz“ weder für mich noch das Publikum schön, und dann muss man danach ein paar Aufführungen pausieren, damit die Stimme sich hoffentlich von diesem Missbrauch erholt. Egal, welche Summe einem geboten wird, die Stimme kann man sich nicht zurückkaufen. Und wir haben alle keine Garantie.

NEWS: Ist der Opernbetrieb heute härter? Man findet doch schon jede Vorstellung tags darauf auf Youtube.

Kaufmann: Es ist riskant. Über Nacht wird ein Erfolg um die Welt gereicht, aber auch der Misserfolg. Das ist manchmal ärgerlich. Aber es hat überhaupt keinen Sinn, im Moment einer schweren Phrase über solche Dinge nachzudenken.

NEWS: Viele Kritiker heben ständig Ihr „sexy“ Aussehen hervor. Ist das lästig?

Kaufmann: Ich hatte viele Jahre in keiner Weise das Gefühl, dass ich gut aussehe. Das kam erst mit diesem Hype. Und dann wurde es zum Problem. Die Plakate schreckten viele Fachleute ab. Sie hörten mir gar nicht richtig zu, weil sie dachten, der sieht nur gut aus, da kann nichts dahinter sein. Es ist sehr schwierig, von so einem Status wegzukommen. Das geht nur mit Kontinuität. Aber auf der Bühne stehen, singen und seine Stimme, sein Innerstes nach außen kehren, seine Seele öffnen, seine Gefühle transportieren macht süchtig. Das möchte ich solange wie möglich machen. Das Handwerkszeug ist das Singen. Und das macht die Dauer aus. Der Rest ist vergänglich.

 






 
 
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