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Widersprüchliche Meinungen... |
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Sich widersprechende Auffassungen sind unter Nichtprofis
ganz normal. Ich kann sie mir in aller Ruhe anhören. Unter Fachleuten
sollten sie idealerweise aber kaum vorhanden sein. Ich glaube fest daran,
dass es für musikalische und gesangliche Standards Regeln gibt, die
allgemeingültig sind, und die im Laufe von Jahrzehnten durch die besten
Ohren und die größten musikalischen Geister festgelegt wurden. Deshalb
beunruhigen mich sehr widersprüchliche Meinungen von Kritikern, die dafür
bezahlt werden.
Nicht-Fachleute sagen oft, ein Auftritt berührt "das Herz". Dies gibt
sicherlich eine subjektiv empfundene Wahrheit wieder. Die betreffende
Person fühlt eine starke, möglicherweise überwältigende Emotion. Das sagt
aber nichts über die Qualität der Darbietung aus, denn "Herzen" empfangen
sehr unterschiedlich, abhängig vom Individuum. Für die meisten, vor allem
junge Menschen, erwecken laute Töne starke Empfindungen. So soll es
natürlich auch sein. Wenn ein Komponist "f" (forte -laut, stark,
kräftig), "ff" (fortissimo -sehr laut, sehr stark), "fff"
(forte fortissiomo - äußerst laut, stark) in die Partitur schreibt, hat
das natürlich einen Grund. Die meisten Komponisten, auch Wagner und Verdi
setzen aber viel häufiger "p" ( piano - leise, sanft), "pp",
sogar "ppppp" (bei Verdi) ein, Angaben, die von Sängern meistens
vollkommen ignoriert werden. Es ist traurig, dass es "Herzen" gibt, deren
Antennen diese feineren Signale nicht empfangen können, oder sie zumindest
nicht in einen starken und wertvollen Eindruck umwandeln können. Solche
Herzen sollten in der Brust von professionellen Kritikern verboten werden.
Ich meine, es wäre von Vorteil für die Oper, wenn es eine strenge
Eignungsprüfung und ein Zeugnis für Opernkritiker gäbe. Eine der
Hauptanforderungen sollten Sprachkenntnisse sein. Oper ist Musik in Worte
gefasst. Aus eigener Erfahrung weiß ich, (ich war nicht immer so gut in
Sprachen wie heute und mein (jetzt gutes) Italienisch verdanke ich ganz
meiner frühen Passion für italienische Opern) dass es absolut möglich
ist, starke Eindrücke in einer Opernaufführung zu bekommen, ohne zu
wissen, was der Künstler singt. Die Sprache der Musik allein ist so voller
Ausdruck und Kraft, dass die Kommunikation auch ohne die Hilfe von Worten
wirkt.
Zu meinem großen Missfallen erfahre ich, wenn ich heutige Opernkritiker
lese, dass viele von ihnen die Worte in Gesangsdarbietungen einfach
ignorieren, sie vielleicht auch gar nicht verstehen, und die Vorstellung
nur nach den Eindrücken des Klangs, meistens allein nach dem Timbre der
Stimme beurteilen. Es ist ein ständig fortgesetztes Unrecht sowohl
gegenüber Librettist und Komponist als auch gegen den Musiker und die
Leser. Der dänische Kritiker in meiner Übersetzung ist ein typisches
Beispiel.
Nie wurden mir diese Probleme deutlicher als während ich Jonas im München
Konzert zuhörte. Alle dargebotenen Stücke kannte ich so gut, dass die
Gefahr bestand, sie könnten ihre ihnen innewohnende Wirkung verlieren.
Aber weil ich die Worte auswendig kannte, oder, wenn nicht, sie während
des Vortrages erkennen konnte, hatte ich unerwartetes Vergnügen. Vergnügen
ist vielleicht ein zu schwacher Ausdruck. Ergriffenheit ist richtiger.
Denn es war so offensichtlich, dass keine dieser "klassischen Perlen" wie
vorausgegangene
Interpretationen angelegt war, von denen es mehr als genug gibt. Jeder
Satz, jede Wendung ist neu gedacht und interpretiert durch den
intelligenten und sensiblen Geist dieses bemerkenswerten jungen Mannes.
Die Mittel sind die der klassischen belcanto Schule. Beachtung der
dynamischen Zeichen, eine wunderbare Legatolinie, basierend auf einer
großartigen Atemtechnik, wunderschöne und abwechslungsreiche Klangfarben,
intelligente "tempi rubati -(Tonwertverschiebungen aber im Taktmaß)"
(ich hasse metronomische Interpretationen), kleine vokale Ausschmückungen
für den Ausdruck mit gutem Geschmack angefügt. Fügt man dazu noch ein
stimmliches Timbre von großer Verführungskraft (und Wärme), beeindruckende
Spitzentöne und eine Menge heldische Reserven, dann hat man .... Jonas
Kaufmann.
Die beiden letzten Worte des Don Jose in der sogenannten Blumenarie -
"Carmen, je t'aime" - , wie sie von Jonas interpretiert werden,
reichen allein schon aus, um zu bestätigen, dass wir es mit einem
vollkommen eigenständigen Künstler zu tun haben. |
Original: Olle |
Übersetzung: Peter |
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