Geheimnisvoll und mystisch, das ist Erich
Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt". Ein Psychodrama voller Symbolik
und Freudscher Trauminterpretation. Die literarische Vorlage, der Roman
"Bruges-la-morte" des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach,
inspirierte vermutlich auch Alfred Hitchcock zu "Vertigo". Wenige Wochen vor
der erfolgreichen Uraufführung von "Die tote Stadt" am 4. Dezember 1920
bezeichnete Giacomo Puccini den damals 23-jährigen Erich Wolfgang Korngold
als „die stärkste Hoffnung der neuen deutschen Musik“. Arien aus der Oper
wie „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wähnen“ gehören wegen
ihrer melodischen Eindringlichkeit zum Konzertrepertoire vieler Opernsänger.
"Die tote Stadt" begann der als Wunderkind geltende Korngoldbereits im Alter
von 20 Jahren zu komponieren. 1897 im tschechischen Brünn geboren, musste
der Komponist mit jüdischen Wurzeln 1934 von Wien nach Hollywood emigrieren.
In den USA schrieb Korngold fast ausschließlich Filmmusik und war damit sehr
erfolgreich. Er wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet (Anthony Adverse, 1937,
sowie The Adventures of Robin Hood, 1939).
Fast 65 Jahre lang war
Korngolds Oper nicht mehr an der Bayerischen Staatsoper zu sehen. Zur
Saisoneröffnung feierte das Stück jetzt in München Premiere. Die
Inszenierung brachte Regisseur Simon Stone aus Basel mit.
Die
Bewältigung von Trauer Paul kommt nicht über den Tod seiner Frau Marie
hinweg. Dann verliebt er sich in Marietta, ihr Ebenbild. Er ist hin- und
hergerissen zwischen Begehren und Schuldgefühlen. Emotionen, die sich auch
im Bühnenbild widerspiegeln:
"Diese Räume, die sich teilen, die sich
spalten, die sich wieder zusammensetzen, das hat auch etwas mit der inneren
Situation zu tun", meint der Direktor der Bayerischen Staatsoper Nikolaus
Bachler. "Das hat, finde ich, der Bühnenbildner sehr gut umgesetzt. Man
könnte auch sagen, es ist eine Stadt in sich, ein psychologischer Raum, es
ist ein Sigmund Freud-Raum."
Bariton Andrzej Filończyk ergänzt: "Das
Badezimmer wird nach oben verlegt und Paul ist unten. Das erzeugt dieses
Gefühl wie in einem Traum: Man kann etwas nicht erreichen, selbst wenn man
meint, es zu können, weil es zum Greifen nah ist."
Im Laufe der
Handlung löst sich die Grenze zwischen Traum und Realität zunehmend auf. Ein
schwieriges Ausnahmewerk, weiß Nikolaus Bachler: "Was der Tenor im ersten
Akt machen muss, ist eigentlich technisch fast nicht zu bewältigen."
Startenor Jonas Kaufmann, der in der Rolle des "Paul" brilliert, meint: "Das
muss man wahrscheinlich auch dem jugendlichen Alter von Korngold
zuschreiben, dass er nicht genau wusste, wie weit er gehen kann. Dass er das
alles im Kopf hat, diese unglaublichen Harmonie- und Rhythmuswechsel. Das
ist ein wahnsinniger Irrgarten von verschiedenen Stilrichtungen."
Ein
schwieriges Ausnahmewerk Ausdrucksstarke Klänge, Finesse und
psychedelische Melodien - die Oper fordert auch einen Dirigenten heraus.
"Hören Sie in den Orchestergraben und schauen Sie da zu", so Nikolaus
Bachler. "Das werden Sie schwer woanders finden. Vor allem in einem so
schwierigen Werk, das Kirill Petrenko fast seziert und dabei die Poesie nie
verliert. Gleichzeitig aber auch diese Widersprüchlichkeit und Schnitte und
diese großen - da sind wir wieder fast bei Hitchcock - fast überraschenden
Blitze, die da auftauchen."
Ausloten der Seele Nach einer
albtraumhaften Reise in die Tiefen seiner Seele tötet Paul Marietta, aber
nur im Traum. Kann er den Tod seiner Frau endlich verwinden?
"Meiner
Meinung nach ist es eine gute Idee, das Ende offen bzw. unklar zu lassen.
Und Korngold hat es sogar in seine Partitur geschrieben, dass die Bühne bis
zum letzten Takt der Musik zu sehen sein muss", so Andrzej Filończyk. _"Der
Vorhang muss oben bleiben und die Leere der Bühne zeigen."