Verdis rare französische Fassung von "Don Carlos" in Paris
Die italienische Fassung ist die
bekanntere, doch die Opéra Bastille in Paris hat die diesjährige Saison mit
der französischen Originalfassung von Verdis “Don Carlos” eingeläutet. Eine
Produktion mit internationaler Starbesetzung, dafür ist die Inszenierung des
namhaften polnischen Regisseurs Krzysztof Warlikowski umso schlichter. Er
stellt das persönliche Drama der Figuren in den Mittelpunkt, die mit dem
Chaos und der brachialen Gewalt der Macht kämpfen müssen. Bei Publikum und
Kritikern stieß die Inszenierung auf geteiltes Echo.
Sopranistin
Sonya Yoncheva gibt die Prinzessin Elisabeth, die verbotene Liebe des
Titelhelden. “Es ist eine sehr reine, schnörkellose Inszenierung. Man ist
dem Text treu geblieben, der Handlung und auch völlig dem Seelenzustand der
Figuren. Ich finde, dass dies für uns als Künstler auf jeden Fall
unabdingbar war, denn dadurch konnten wir uns völlig offenlegen und wir
selbst sein.”
In der Titelrolle glänzt Tenor Jonas Kaufmann. Und
begibt sich sprachlich auf neues Terrain: “Ja, wieder ein großer Held, ich
habe natürlich oft Don Carlo(s) gesungen – das ist keine Partie, die ich zum
ersten Mal mache. Aber zum ersten Mal auf Französisch und das hat einiges am
Spiel geändert. Es ist unglaublich schwer – für mich, und ich habe mit den
Kollegen gesprochen, eigentlich für alle – ungleich schwieriger, es in
französischer Sprache aufzuführen. Nicht, weil man es extra lernen muss.
Nein, weil der Rhythmus anders ist, weil viele neue Musikstücke dazukommen.
Aber vor allem für mich als Tenor, weil eigentlich fast jedes Mal, wenn ein
hoher Ton kommt, er auf einem E oder auf einem U, also einem wahnsinnig
unbequemen Vokal gesungen werden muss. Das macht es wirklich schwer, dieses
Stück gesund zu singen.”
Die Inszenierung des polnischen Regisseurs
kam ihm entgegen: “Die Interpretation von Krzysztof Warlikowski hat mir
persönlich geholfen, noch mal andere Aspekte dieses Charakters, dieses doch
sehr verrückten Don Carlos zu finden.”
Und Sonya Yoncheva lobt den
italienischen Komponisten: “Verdi ist ein Mann des Theaters. Er hat das
Theater wirklich sehr gut in die Oper, in die Musik integriert. Für uns
Sänger ist es ein echtes Vergnügen, das nicht nur zu singen, sondern zu
interpretieren. Für mich als Künstlerin ist es ein Privileg, heute Verdi zu
singen.”
Große Stars, schlichte
Inszenierung: Verdis "Don Carlos" mal im "Original"
Es ist eine der düstersten Opern
Verdis: “Don Carlos” hat die neue Saison an der Opéra Bastille in Paris
eingeläutet. Mit internationaler Starbesetzung: Jonas Kaufmann in der
Titelrolle und Sonya Yoncheva zum ersten Mal als Elisabeth. Politischer
Idealismus, Verrat, Liebe und Intrige im Spanien des 16. Jahrhunderts
bestimmen die Geschichte der unmöglichen Liebe zwischen dem spanischen
Infanten Don Carlos und der französischen Prinzessin Elisabeth, die durch
die politisch ratsame Heirat mit Carlos’ Vater Philipp II. zu seiner
Schwiegermutter wird.
“Ich mag diese große Liebesgeschichte zwischen
den beiden sehr”, begeistert sich Yoncheva, “auch diese Versuchung, diese
Leidenschaft, die zwischen ihnen auflodert, und die Unmöglichkeit, sie zu
erfüllen.”
Vorlage für Verdis epischen Fünfakter war das gleichnamige
Drama Friedrich Schillers. Zum 150. Jahrestag seiner Premiere in Paris wurde
das Meisterwerk in seiner Originalsprache aufgeführt, auf französisch. Verdi
ließ es später ins Italienische übersetzen und kürzte es. Zwei Jahrzehnte
lang hat er die Oper immer wieder überarbeitet, die bekannteste Fassung ist
die italienische, “Don Carlo”.
Für den deutschen Star-Tenor, der Don
Carlo(s) schon oft auf Italinenisch sang, ist der Ausflug ins Französische
eine Herausforderung: “Es verändert sich durch die französische Sprache. Die
Charaktere sind noch ein bisschen weicher, ein bisschen feiner. Ich habe
fast das Gefühl, sie sind weniger dramatisch geworden, einfach durch diese
französische Sprache, die das ganze ein bisschen feiner, ein bisschen
subtiler macht, als das doch sehr fleischige Italienische.”
Auch wenn
Don Carlos der Titelheld ist, mangelt es an großen Solos für ihn – sehr zu
Kaufmanns Bedauern: “Es ist eine sehr interessante Frage: Was könnte ich
Verdi sagen, wenn ich vor 150 Jahren bei der Premiere dabei gewesen wäre?
Vor allem deshalb interessant, weil Verdi in seiner ursprünglichen
Konzeption eine große Arie des Don Carlo(s) im 5. Akt vorgesehen hatte, und
als er den Tenor kennengelernt hat und er so unzufrieden mit ihm war, hat er
sein Konzept geändert und hat eine Arie für Elisabeth geschrieben. Ich hätte
ihm also gesagt: Bitte schreibe eine Arie für den Tenor, schließlich heißt
das Stück Don Carlo(s).”
Elisabeth hat einen ihrer großen Auftritte
mit der Arie “Toi qui sus le néant”. “Es ist eine großartige Arie”, schwärmt
Yoncheva, “ein Moment des Nachdenkens, ein sehr intimer Moment für
Elisabeth. Das ist eine lyrische Rolle, eine Rolle mit großer Bandbreite,
sie bringt alle Klangfarben zum Ausdruck.”
Und über das Schlussduett
mit Don Carlos, “Au revoir dans un monde où la vie est meilleure” sagt sie:
“Das Duett ist überwältigend – Musik von einer menschlichen Tiefe…”
Kaufmann: “Man hat fast das Gefühl, Verdi hat einen Weg gefunden, den Himmel
aufzuschließen und man sieht die Treppe, die langsam nach oben führt. Die
beiden wissen, dass es nur mit dem Tod enden kann.”