Magazin Echo Klassik 2013
Axel Brüggemann
 
Wie Klugheit Ohren öffnet
 
 
Es gibt ein Reich zwischen Kopf und Bauch – und das besingen die Stimmen von Elīna Garanča und Jonas Kaufmann.
 
Eine Stimme ist immer auch ein Geheimnis. In ihr verbergen sich private Seelenwelten der Künstler, die Ideen eines Komponisten – und stets auch der Geist jener Zeit, in der sie singen. Jonas Kaufmann und Elīna Garanča sind sicherlich zwei Stimmen, die stellvertretend für den Gesang unserer Epoche stehen. Ihre Kunst besteht nicht allein darin, Noten zu singen und Emotionen zu schaffen, sondern vor allen Dingen darin, dass sie jenseits der Schönheit ihres Repertoires die Ohren ihrer Zuhörer durch Klugheit öffnen.

Auf ihrem Album „Romantique“ zeigt Elīna Garanča, was damit gemeint ist. In den schönsten Arien von Camille Saint-Saëns, Charles Gounod, Hector Berlioz oder Peter Tchaikovsky lässt sie ihren samtigen Mezzo nicht einfach um der Schönheit willen über dem Orchester schweben, sondern scheint innerhalb der kurzen Arien in eine Sphäre einzutauchen, in der sich der Mensch mit all seinem Fühlen in einer Welt des Klanges auflöst. Wie kaum eine andere Sängerin schafft es die Garancˇa, die Romantik als Ort von Seelenlandschaften zu beschreiben, als Prozess, der in Gedanken beginnt und bei der Auflösung des Körpers endet.

Einen ähnlichen Ansatz wählt Jonas Kaufmann, wenn er auf seinem Album „Wagner“ den Opern-Jubilar zu seinem 200. Geburtstag in Szene setzt. Jonas Kaufmann ist kein Tenor der alten Schule, der mit hohen Tönen ringt und sich auf die Schwierigkeiten der Partituren konzentriert. Er schafft es stets, in seinen Auftritten und Arien, Geschichten zu erzählen. Kaufmann sucht den Subtext in der Musik, das, was nicht in den Worten steht, sondern im Geist seiner Charaktere passiert. Egal, ob er die Winterstürme der „Walküre“ toben lässt, die Liebesgöttin Venus im „Tann­häuser“ bejubelt, als Gralsritter in „Lohengrin“ Abschied von der Welt nimmt oder Wagners innige „Wesendock-Lieder“ interpretiert: Bei ihm ist der Klang stets Teil des Dramas, der epischen Geschichte. Seine Stimme setzt nie nur auf den Effekt der Virtuosität, sondern sucht wie ein Seismograph nach den psychologischen Sollbruchstellen seiner Rollen, nach inneren Konflikten und abgrundtiefen Schmerzen.

Beide Stimmen sind auch deshalb Ausdruck unserer Zeit, weil sie die Oper als pure Unterhaltung ebenso hinter sich gelassen haben wie die Oper als rein intellektuelle Angelegenheit. Elīna Garanča und Jonas Kaufmann verstehen es wie derzeit kaum ein anderer Sänger, das Pathos und das Schwelgen mit Klugheit und tiefen Gedanken zu paaren – sie singen mit Kopf und mit Bauch, mit Seele und mit Körper. Und so darf man gespannt auf das nächste Album sein, auf dem die beiden zu hören sein werden: In Verdis „Requiem“ werden sie den Bereich zwischen Leben und Tod ausloten. Ein geheimnisvolles Reich, das sie mit Klängen beleben werden.












 
 
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