Eine Stimme ist immer auch ein Geheimnis. In ihr verbergen sich private
Seelenwelten der Künstler, die Ideen eines Komponisten – und stets auch der
Geist jener Zeit, in der sie singen. Jonas Kaufmann und Elīna Garanča sind
sicherlich zwei Stimmen, die stellvertretend für den Gesang unserer Epoche
stehen. Ihre Kunst besteht nicht allein darin, Noten zu singen und Emotionen
zu schaffen, sondern vor allen Dingen darin, dass sie jenseits der Schönheit
ihres Repertoires die Ohren ihrer Zuhörer durch Klugheit öffnen.
Auf
ihrem Album „Romantique“ zeigt Elīna Garanča, was damit gemeint ist. In den
schönsten Arien von Camille Saint-Saëns, Charles Gounod, Hector Berlioz oder
Peter Tchaikovsky lässt sie ihren samtigen Mezzo nicht einfach um der
Schönheit willen über dem Orchester schweben, sondern scheint innerhalb der
kurzen Arien in eine Sphäre einzutauchen, in der sich der Mensch mit all
seinem Fühlen in einer Welt des Klanges auflöst. Wie kaum eine andere
Sängerin schafft es die Garancˇa, die Romantik als Ort von
Seelenlandschaften zu beschreiben, als Prozess, der in Gedanken beginnt und
bei der Auflösung des Körpers endet.
Einen ähnlichen Ansatz wählt
Jonas Kaufmann, wenn er auf seinem Album „Wagner“ den Opern-Jubilar zu
seinem 200. Geburtstag in Szene setzt. Jonas Kaufmann ist kein Tenor der
alten Schule, der mit hohen Tönen ringt und sich auf die Schwierigkeiten der
Partituren konzentriert. Er schafft es stets, in seinen Auftritten und
Arien, Geschichten zu erzählen. Kaufmann sucht den Subtext in der Musik,
das, was nicht in den Worten steht, sondern im Geist seiner Charaktere
passiert. Egal, ob er die Winterstürme der „Walküre“ toben lässt, die
Liebesgöttin Venus im „Tannhäuser“ bejubelt, als Gralsritter in „Lohengrin“
Abschied von der Welt nimmt oder Wagners innige „Wesendock-Lieder“
interpretiert: Bei ihm ist der Klang stets Teil des Dramas, der epischen
Geschichte. Seine Stimme setzt nie nur auf den Effekt der Virtuosität,
sondern sucht wie ein Seismograph nach den psychologischen Sollbruchstellen
seiner Rollen, nach inneren Konflikten und abgrundtiefen Schmerzen.
Beide Stimmen sind auch deshalb Ausdruck unserer Zeit, weil sie die Oper als
pure Unterhaltung ebenso hinter sich gelassen haben wie die Oper als rein
intellektuelle Angelegenheit. Elīna Garanča und Jonas Kaufmann verstehen es
wie derzeit kaum ein anderer Sänger, das Pathos und das Schwelgen mit
Klugheit und tiefen Gedanken zu paaren – sie singen mit Kopf und mit Bauch,
mit Seele und mit Körper. Und so darf man gespannt auf das nächste Album
sein, auf dem die beiden zu hören sein werden: In Verdis „Requiem“ werden
sie den Bereich zwischen Leben und Tod ausloten. Ein geheimnisvolles Reich,
das sie mit Klängen beleben werden.
|