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Berliner Morgenpost, 6.10.2013 |
Von Felix Stephan |
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Wie Jonas Kaufmann seinen größten Albtraum bezwang
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Im Konzerthaus erhält heute der Star-Tenor Jonas Kaufmann den "Echo Klassik". Ein Gespräch über Albträume und Glück |
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Zum 20. Mal wird er nun schon vergeben: der "Echo Klassik", die wichtigste
Auszeichnung der deutschen Klassikbranche. Ein Preis, mit dem die wichtigen
Plattenfirmen Jahr für Jahr ihre bedeutendsten Künstler feiern. Ein
Stelldichein der Stars von heute, von morgen, von übermorgen. Zum dritten
Mal in Folge im Konzerthaus Berlin. Wie schon im Vorjahr werden Nina
Eichinger und Rolando Villazón durch den glamourösen Abend führen.
Zugegeben: So spannend wie bei der Oscar-Preisverleihung wird es wohl nicht
zugehen. Denn die Auszeichnungen – sie stehen schon lange vorher fest. Doch
dafür kommt das Publikum umso sicherer in den Genuss internationaler
Top-Interpreten, die man so nie wieder zusammen an einem einzigen Abend zu
sehen und hören bekommt. Darunter die amerikanische Primadonna Joyce
DiDonato, das chinesische Tastenwunder Lang Lang, die argentinische
Vollblutcellistin Sol Gabetta.
Ein Vollprofi auch im Gespräch
Wohl der größte Star des Abends: Tenor Jonas Kaufmann. Auf den
wichtigsten Bühnen der Welt ist er zu Hause. Vom Publikum auf Händen
getragen, von der Kritik gelobt, von seinen Gesangskollegen durchweg
geschätzt. Ein attraktiver Allrounder, der in diesem Jahr bereits zum
zweiten Mal als "Sänger des Jahres" geehrt wird. Diesmal für sein
Wagner-Album, passend zum Wagner-Jahr 2013.
Kaufmanns Terminkalender
ist eng in diesen Tagen. Am Vorabend der "Echo Klassic"-Verleihung stand er
in Wien auf der Bühne, sang in der Premiere von Puccinis "La fanciulla del
West". Davor die umfangreichen Proben, unzählige Interviewtermine. Doch von
Stress kaum eine Spur. Auch im Gespräch ist Jonas Kaufmann ein Vollprofi.
Gerade eben noch hat er ein Interview souverän auf Italienisch geführt.
Redegewandt kehrt der Münchner nun zur deutschen Sprache zurück, spannt
große Bögen, holt weit aus, wenn er es für nötig hält. Wirkt authentisch,
liebenswürdig. Kaufmann gibt einem das Gefühl, dass man ihn alles fragen
kann. In dreißig Minuten erzählt er so viel wie andere Künstler in
anderthalb Stunden. Spricht über seine Albträume, über angebliche
Konkurrenzkämpfe unter Tenören, über sein Mitspracherecht bei aktuellen
Produktionen.
Doch zunächst geht es um Kaufmanns Vielseitigkeit. Denn
es ist auffällig: Im Wagner- und Verdi-Jubiläumsjahr kümmert sich der Tenor
um beide Komponisten gleichermaßen. Einerseits, weil er es kann,
andererseits aber auch, weil er muss. "Weder ohne Wagner noch ohne Verdi
könnte ich leben", gesteht Kaufmann. Zu Verdi hat er eine sehr persönliche
Beziehung. Mit der "Traviata" an der New Yorker MET feierte Kaufmann 2006
seinen internationalen Durchbruch. Und mit Verdi hat er auch seine gesamte
jetzige Stimmtechnik erlangt – unter der kontinuierlichen Anleitung seines
amerikanischen Lehrers Michael Rhodes.
Nach Kaufmanns viel zitierter
Stimmkrise in den 90ern, als der Münchner kurz davor gestanden hatte, den
Sängerjob an den Nagel zu hängen. Mit Rhodes ging er damals das gesamte
Verdi-Repertoire durch, alles, was für einen jungen Tenor wie ihn infrage
kam – Partien aus "Macht des Schicksals", "Maskenball", "La Traviata",
"Rigoletto".
Und Wagner? Über ihn kam Kaufmann auf Umwegen. Zu Beginn
seiner Karriere war an Wagner noch kaum zu denken. Erst nach Jahren der
Geduld, als seine Stimme dank neuer Technik immer größer, runder und dunkler
wurde, da wagte er sich an schwereres deutsches Repertoire. Entscheidenden
Anteil an Kaufmanns Weg zu Wagner hatte Dirigent Hellmuth Rilling, der bei
den diesjährigen "Klassik Echo"-Verleihungen für sein Lebenswerk geehrt
wird. Rilling war es, der Kaufmann den Florestan aus "Fidelio" vorschlug. Es
sollte eine Serie von konzertanten Aufführungen werden, auf dem Rheingauer
Musikfest 2002, in Bonn und Stuttgart. Kaufmann sagte nein, doch Rilling
ließ nicht locker, wollte ihn unbedingt haben. Zum Glück: Der "Florestan"
gab Kaufmann großen Schub, erzeugte Selbstvertrauen. Für den Tenor war das
ein neues, aufregendes Gesangsgefühl. Und seiner Stimme tat es erstaunlich
gut. Er schaute sich daraufhin im Wagner-Repertoire um. Sang 2006 erstmals
den Parsifal in Zürich. Debütierte im gleichen Jahr mit Walther von Stolzing
aus den "Meistersingern" in Edinburgh. 2009 folgte der "Lohengrin" bei den
Münchner Opernfestspielen. 2011 der Siegmund in der neuen "Ring"-Produktion
der MET.
Und wie steht es in der Zukunft mit den beiden Siegfrieden
in voller Länge, mit Tannhäuser? "Sie werden kommen", verspricht Kaufmann.
"Aber noch nicht jetzt." Einstweilen überlässt er die schwersten
Wagner-Partien seinen geschätzten Kollegen.
"Man versucht uns Tenören
ja ähnliche Konkurrenzkämpfe anzudichten wie den Sopranisten", amüsiert er
sich. "Aber Tatsache ist doch: Es gibt zu wenige von uns. Leider!" Kaufmann
wird ernst. Erzählt von Projekten, die im Vorwege abgeblasen wurden, weil
sie von seiner Zusage abhängig gemacht worden waren. Weil es keinen Tenor
gab, der stattdessen infrage kam. Das nagt an ihm. Viel lieber hätte er ein
paar mehr Tenorkollegen um sich, die in seiner Liga spielen. Sänger, die für
ihn einspringen können, wenn er verhindert ist.
"Der Gedanke, dass du
kurzfristig krank wirst und die Vorstellung deinetwegen ausfallen muss, ist
wirklich schlimm." Schlimmer ist da eigentlich nur noch ein Albtraum, der
ihm zu Beginn seiner Karriere zugesetzt hat. Ein Altraum, den verblüffender
Weise so gut wie jeder Sänger hat, dem Kaufmann bisher begegnet ist. Ein
Albtraum, bei dem es ebenfalls ums Einspringen geht. Und dieser Traum geht
so: "Man steht auf der Bühne, ersetzt einen Kollegen. Singt eine Arie, die
man gut kennt. Doch dann – läuft die Musik einfach weiter. Und man stellt
fest: Die Partie hab ich eigentlich noch nie gesungen. Ich kenne nur die
Arie." Zum Glück ist Kaufmann davon schon früh geheilt worden. Zwangsweise
allerdings, gleich bei seinem ersten Einspringen. Damals in den 90ern, als
er in Saarbrücken den Remendado in Bizets "Carmen" sang und ein anderes Haus
ihn plötzlich ersatzweise anforderte. Überglücklich sagte er zu.
Der Albtraum vom Einspringen
Was ihm allerdings
nicht bewusst war: dass die rezitativische Carmen-Fassung gespielt wurde
statt der ihm bekannten Version mit gesprochenen Dialogen. "Brutal"
erwischte ihn die Erkenntnis auf der Bühne, erinnert sich Kaufmann, "ein
Kollege sprang glücklicherweise für mich in die Bresche." Seither träumt er
den Einspringer-Albtraum nicht mehr. Hatte seither nur noch ein einziges
wirklich unangenehmes Erlebnis: Salzburg 2003, Mozarts "Entführung aus dem
Serail". Das Publikum buhte die Inszenierung so lautstark nieder, dass die
Musik mehrfach unterbrochen werden musste.
Kaufmann weiß, dass er mit
seiner Karriere ein Riesenglück hatte. Gerade weil es für ihn auch ganz
anders hätte laufen können, sieht er die Schattenseite des Sänger-Business
sehr deutlich: "Dieser Druck, diese Unwägbarkeiten, diese jahrelangen
Investitionen in einen Beruf, von dem man nicht weiß, ob man je von ihm
existieren kann – man hält das alles nur aus, wenn man es mit jeder Faser
seines Herzens möchte."
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