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Diners Club Magazin, März 2013 |
VON ANTOINETTE SCHMELTER DE ESCOBAR |
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Bloß keine Routine!
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Jonas Kaufmann singt seinen ersten
Wiener Parsifal |
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Als
Kind hörte Jonas Kaufmann die Klassik-Langspielplatten seiner Eltern und
entdeckte seine Leidenschaft für die Musik. Heute ist er einer der
gefragtesten Tenöre weltweit und reist für Auftritte um den Globus.
Wie lebt und arbeitet ein kreativer Star mit einem starren
Terminkorsett?
Rund 38 Millionen Passagiere starten und landen pro
Jahr am Münchner Flughafen. Doch nur ein winziger Bruchteil davon darf in
den VIP-Wing: exklusive Klienten wie Jonas Kaufmann, der am Spätnachmittag
zu seinem nächsten „Lohengrin"-Einsatz an die Mailänder Scala fliegt und die
Wartezeit für Interviews in der schicken Suite Linderhof nutzt. Wie heute
von seiner Heimatstadt München, wo er mit Frau und drei Kindern lebt, zu
einem der internationalen Top-Opernhäuser auszuschwärmen, ist für den
43-Jährigen Arbeitsalltag. Seit seinem ersten festen Engagement am
Staatstheater Saarbrücken von 1994 bis 96 ist er als freischaffender Sänger
international auf Erfolgskurs. Das bringt einen Terminkalender mit sich, der
ähnlich illuster aussieht wie sein Schedule für die Monate März, April und
Mai 2013: 15. 2. bis 8. 3. „Parsifal" an der New Yorker MET parallel zum
Erscheinen seiner neuen Wagner-CD bei Decca, 28. und 31. 3. sowie 4.4.
Auftritte in der gleichen Rolle an der Wiener Staatsoper, 21.4. Konzert in
der Londoner Royal Festival Hall, anschließend fünf Mal Verdis „Don Carlos"
am Royal Oper House der britischen Hauptstadt, 21. 5.
Wagner-Geburtstagskonzert an der Dresdner Semperoper. Welche Highlights
darauf folgen, ist Kaufmanns Homepage zwar nicht über Juli 2013 hinaus zu
entnehmen. Grund ist aber nur seine Stillschweigepflicht vor der
öffentlichen Bekanntgabe kommender Spielpläne, wohingegen der Sänger selbst
schon sicher von Verpflichtungen bis 2017/18 weiß. Derart gefragt zu sein,
versteht Kaufmann einerseits als anerkennendes Kompliment. Andererseits
findet er dieses Festgelegtsein aber auch „komisch" und „unkünstlerisch",
weil derart terminlich eingeengt jede Spontaneität verloren gehe.
„Meine Familie war Wagner immer sehr zugetan. Aber als junger
Sänger habe ich nicht den Hauch einer Chance gesehen, jemals eine Rolle in
einer seiner Opern zu singen” Aus dem Traum ist
Wirklichkeit geworden: 2013 brilliert Kaufmann live und auf einer neuen CD
mit Wagner-Werken
STUDIUM DER MATHEMATIK „Ich
schaue mir doch auch keine Prospekte für ein Auto an, das ich in sechs
Jahren bekomme", gibt er zu bedenken. „Wer weiß, ob sich in der Zwischenzeit
nicht meine Meinung über die Farbe ändert oder ich andere Bedürfnisse habe?"
Außerdem können nach seiner Erfahrung auch körperliche Probleme die lange
geschmiedeten Pläne durchkreuzen. So geschehen im Sommer 2012, als der
Echo-Preisträger wegen einer Virusinfektion mehr als einen Monat pausieren
musste, was zwar für wilde Spekulationen gesorgt, ihn aber letztendlich
gerettet habe, weil diese erzwungene Auszeit „den Druck rausnahm und den
Heilungsprozess beschleunigte". Mit einer ähnlichen Erfahrung musste er
schon einmal zurechtkommen, als seine Karriere noch in den Kinderschuhen
steckte: Nach seiner allerersten Spielzeit mehrten sich die Stimmprobleme
derart bedenklich, dass die musikalische Zukunft ungewiss war. Doch zum
Glück ebnete eine „Umstellung der Technik" damals doch noch einen Berufsweg,
der in Kaufmanns Elternhaus mit dem Anhören von Klassik-Langspielplatten
begann und über Klavierunterricht, die Mitgliedschaft in verschiedenen
Chören und einem gymnasialen Leistungskurs im Fach Musik bis zur seiner
Ausbildung als Opern- und Konzertsänger führte, nachdem er auf Rat von Vater
und Mutter zunächst mit Mathematik einige Semester lang etwas „Solides" und
„Gscheit's" studiert hatte.
SÄNGER-LAUFBAHN IN DREI PHASEN
Dass Kaufmann seither der Aufstieg in den Sängerolymp gelungen ist, erkärt
er sich selbst „nicht nur mit Qualität". Oder seinem auffallend guten
Aussehen, das mit dunklen Locken und Dreitagebart die Damenwelt
dahinschmelzen lässt. Genauso wichtig sei das Glück gewesen, „im richtigen
Moment in der richtigen Verfassung von den Richtigen gehört zu werden". Zum
Beispiel Alexander Pereira, der ihn als erklärter Förderer junger Talente
ans Zürcher Opernhaus holte. Oder Peter Ruzicka, der ihn 2003 für die Partie
des Belmonte in Mozarts „Entführung aus dem Serail" zu den Salzburger
Festspielen einlud. Und James Levine, der ihn nach einem Vorsingen in
München an die New Yorker MET empfahl, was zum dortigen Debüt als Alfredo in
„La Traviata" führte. „Ich arbeite in einem unwägbaren Metier, in dem viele
Faktoren eine Rolle spielen", resümiert Kaufmann, der seine Sängerlaufbahn
in drei Phasen einteilt: „Erst bemüht man sich mit aktiver Akquise um Jobs.
Idealerweise kommen die dann irgendwann von allein, sodass man davon gut
leben kann. Letzter Schritt ist es, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen."
Das heißt für den Sänger, auf Basis des zuvor aufgebauten Netzwerks genau zu
eruieren, welche Produktion an welchem Haus unter welchem Dirigenten am
interessantesten wäre — laut Kaufmann, der sich nun an diesem Punkt
befindet, ein bisweilen „mühsamer," aber zugleich sehr „spannender"
Auswahlprozess.
"Planerfüllung liegt mir nicht, weil das
leicht eine Aura des Angestaubten hat. Viel lieber erfinde ich etwas Neues,
das frisch, spontan und natürlich sein sollte"
ROUTINE LANGWEILT IHN Dazu gehört für ihn auch, sich nicht auf
probate Paraderollen im italienischen oder deutschen Fach zu beschränken —
was sich allerdings 2013 im Doppel-Jubiläumsjahr von Verdi und Wagner
nicht vermeiden ließ —, sondern immer wieder unbekanntes Terrain
auszutesten. Oder zumindest bei bereits bekannten Werken „etwas Neues zu
erfinden", um nicht in „langweiliger Routine" zu erstarren und „Dienst nach
Vorschrift" zu machen. Vom Komponisten selbst stammt nämlich seiner Ansicht
nach nur eine „Grundidee", für deren Umsetzung es bei jeder Aufführung
andere Möglichkeiten gebe — wenn man sich mit einem Charakter identifiziere,
mit der Musik als Mittel der Gefühlsvermittlung eigene Emotionen in diese
hineinlege und durch sie einen direkten Draht zum Publikum bekomme, das
so an unerwarteten Stellen seiner Seele berührt werde.
"Auf der Bühne muss man echte Emotionen zeigen, allerdings in Form
kontrollierter Extase. Denn sonst findet man schlimmstenfalls nicht mehr
zurück"
AUFTRITT MIT GÄNSEHAUT
Übersetzt in eine reale Szene bedeutet das für ihn unter anderem, in
Beethovens „Fidelio" die Stimme zu Beginn der „Gott, welch Dunkel
hier!"-Arie „wie aus dem Nichts" anschwellen zu lassen. Denn alles andere
wäre für ihn als Hinterfrage-Fan „unlogisch" gewesen, der genau verstehen
will, wie es Florestan nach zwei Jahren Gefängnis geht. Wer je in den Genuss
eines solchen Gänsehaut-Auftritts wie an der Bayerischen Staatsoper gekommen
ist, wird Jonas Kaufmann nie wieder aus seinen Ohren und dem Kopf bekommen —
unter Garantie.
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