Opernwelt, Jahrbuch
Wolfram Goertz
Doppelspitze
Sängerin und Sänger des Jahres
Was schreiben, wenn alles längst gesagt scheint? Wie preisen, wo einhaken, wenn Jubelarien erwartet werden? Eine nicht ganz gewöhnliche Laudatio auf Anja Harteros und Jonas Kaufmann, die Sängerin und den Sänger des Jahres.
 
Im Moment der Entgegennahme des freundlichen Auftrags der Redaktion, einen lobpreisenden Text über die Sopranistin Anja Harteros und den Tenor Jonas Kaufmann zu schreiben, mehr noch im Moment der wenig später erfolgten Zusage überkam mich eine Schreibhemmung.

Schon wieder Kaufmann? Für den in den vergangenen Monaten genug Lametta in den deutschen Blätterwald gehängt wurde? Für diesen Strahlemann, diesen Hoffnungsträger, diesen Vorzeigehelden Kaufmann? Muss das denn sein? Kann man den Mann nicht einfach, von uns Journalisten unbesungen, seine Arbeit tun lassen, die ihm in zahllosen Momenten nun wirklich beeindruckend von der Kehle geht?

Ja, das müsste man. Andererseits sind Kaufmann und Harteros seit ihrem Münchner «Lohengrin» und seit der fast postwendend eingetroffenen und weiß Gott hoch frankierten Jubelpost der «Opernwelt»-Kritiker eine geradezu unübersehbare Doppelspitze der Gesangskunst, dass der Auftrag natürlich auch eine Ehre ist. Vor allem, wenn es sich um das doppelte Präsidialvotum «beste/r Sänger/in» handelt.

Tief innen hat mich diese Münchner Premiere über alle Maßen gefreut. Denn: Man konnte Bedenken haben. Vor allem um Kaufmann musste man bangen, ob die vokalen Tendenzen seiner zweiten CD sich auch live auswirken würden. Sagen wir's offen: Die Platte wird bei mehrmaligem Anhören – das liegt gewiss an unseren maßlosen Ansprüchen – beinahe problematisch. Da will einer alles richtig machen, dann geht im Studio das Rotlicht an, und schon macht die Stimme ein wenig dicht. Man hört, wie sich Knödel im Hals versammeln. Hört Linien, die nicht harmonisch gefädelt wirken. Hört einen Sänger in gleichsam abstrakter Anordnung. Hört einen strahlwilligen Helden, der uns immerzu zuruft: Hört ihr’s, ich war beim Scherenschleifer! Fürwahr, der Schneid ist ja da, aber was ist schon Schneid, wenn die Klinge nur schneidet, aber nicht elegant aussieht? Das Heldische wirkt dann effektiv, aber trotzdem wie ein Fremdkörper.

In München war’s nun so, dass Kaufmanns Stimme wie befreit klang. Sie öffnete sich fraglos auf Kommando, aber sie konnte sich einfühlen in die Umgebung. Sie schwang im Raum, fand Widerhall, wurde getragen aus dem Graben, konnte reagieren, hatte Geleit vom Dirigenten Kent Nagano, der freilich anderes zu tun hatte, als sich auf die andächtige Assistenz eines Sängers zu kaprizieren. Nagano kontrollierte Wagner vor allem vom Orchester aus, und weil Kaufmann diese zutrauliche Abwesenheit von Kontrolle gerade gut tat, konnte er einfach das tun, was er am besten kann: singen.

Vor allem hatte er Anja Harteros als Gefährtin, die als Elsa von Brabant nicht auf einen vokalen Zweikampf aus war, sondern auf einvernehmliche voreheliche Geschmeidigkeit. Harteros und Kaufmann entwickelten sich auf der Münchner Bühne als integrales Paar, nicht als Summe zweier Individuen, die im Rahmen einer Pulverdampfpremiere die ganze Republik überzeugen mussten. Harteros sang die Elsa ganz von innen heraus, unbelastet von der Verpflichtung, in einer eher devoten Rolle die Festspiel-Primadonna herauskehren zu müssen. Ahnte sie, dass viele Hörer nur wegen ihres Partners gekommen waren? Vielleicht war genau dies ihr Vorteil. Für sie und ihre gesangspsychologische Situation nahm es die Luft aus dem Abend. Sie konnte ihre Partie unbeeindruckt gestalten, konnte sich Zeit lassen. Und weil Kaufmann und Harteros diese Zeit hatten, bedurften sie ihrer nicht. Beide konnten von jetzt auf gleich sensationell sein.

Harteros sang die Elsa frei, innig, mit Volumen, aber auch mit Distinktion, sie war gleichermaßen kess wie wärmend, sie glaubte an die Räumlichkeit der Zeit, die ihr bei allen möglichen Unwägbarkeiten einer Premiere helfen konnte. Deshalb sang sie ohne jeden Druck, ohne die Insistenz, einen Triumph landen zu müssen. Kaufmann seinerseits spürte diese Entspanntheit der Kollegin, ihre seelenvolle Nachgiebigkeit bei gleichzeitiger Herrlichkeit des Timbres – und konnte sich männlich-ritterlich, aber eben nicht präpotent dazugesellen.
Sie waren ein hehres, aber wahrhaft trautes Paar. Kaufmann befand sich in bester Verfassung, aber er war auch ein hörender Mensch, der sich nicht aus der Situation entfernte, um auf feindliche Übernahme einer Sopranistin zu schielen. Der Münchner Lohengrin ist vom Typ her ein sehr, sehr netter Kerl, und fast schien es, als wirkte Kaufmann in dieser Regie-Situation befreit, erlöst, beseligt. Er sang phänomenal, ohne Scheu in den großen, sattsam bekannten Soloszenen, mit Lust am Augenblick, ja mit einer gewissen Neugier auf seine eigenen Möglichkeiten. Er sang wie einer, der alles ausprobieren konnte und dem deshalb alles gelang. Überdruck war von ihm gewichen, Angst hatte sich verflüchtigt. Er war kein panzerbewehrter Ritter vom heiligen Gral, sondern Partner. Er baute ein Haus mit seiner Elsa. Stein auf Stein, alles höchst harmonisch verfugend – und seine Stimme tat es ihm gleich.
Deshalb war es so schön, so ergreifend, so wunderbar.

 
Anmerkung: Ehrlich gesagt finde ich diesen Artikel nicht nur etwas ungewöhnlich, sondern sehr merkwürdig. Das betrifft neben anderen Sachen auch das Kommentar über Jonas CD Sehnsucht, die Wolfram Goertz vorher so ausgezeichnet rezensiert hat. Nur weil Jonas Lohengrin live besser gefallen hat, ist doch die Studio Aufnahme nicht automatisch als schlecht zu bezeichnen und dann auch noch als problematisch (das ist sie schon gar nicht) einzustufen. Deswegen würde ich Herrn Goertz empfehlen, die anderen Kritiken aus dem In-und Ausland zu lesen. Die Nennung der vermeintlichen Gründe für die "nachträgliche Korrektur" seiner Kritik sind kaum verständlich. Viele Sänger sind auf der Bühne besser und ausdrucksstärker als in Studio-Aufnahmen (J.D. Florez, den ich des öfteren live gehört habe zum Beispiel). Die leider nicht immer optimale Soundtechnik tut ein Übriges. (Persönlich trauere ich den Soundtechnikers von vor 30 Jahren nach, denn jene waren noch in der Lage zwischen Pop, Rock und Klassik zu unterscheiden.) Leider sind einige Kritiker heutzutage nicht in der Lage soundtechnische Probleme bei der Beurteilung der Leistung eines Sängers auf einer CD auszuklammern.






 
 
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