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Nürnberger Zeitung, 30. Juni 2009 |
Thomas Heinold |
Mit Wagner auf den Gipfel
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Tenor mit Starqualitäten: Jonas Kaufmann |
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Wenn man jene Schwelle der Berühmtheit erreicht, bei der man nicht nur für
das Fachpublikum, sondern auch für die Allgemeinheit interessant wird, sind
solche Klischees wohl unvermeidlich: Als «Turnschuh-Tenor mit
Dreitagesbart«, wird Jonas Kaufmann derzeit vermarktet; überschäumende
Journalistinnen schreiben, dass manche Frauen dem gut aussehenden Münchner
«das Badewasser temperieren« möchten; mancher findet es erstaunlich, dass
man zugleich erfolgreicher Opernsänger und dreifacher Vater sein kann;
andere nennen ihn gar den «neuen Rolando Villazón«.
Dabei gilt dieser Hype keinem Shooting Star, nein, der gebürtige Münchner
und ehemalige Mathematikstudent Kaufmann kann schon auf eine solide
Weltkarriere als Tenor zurückblicken. Er ist an der New Yorker Met ebenso zu
Hause, wie am Royal Opera House in London; mit dem Zürcher Opernhaus ist er
seit Jahren eng verbunden; er feierte Erfolge an der Scala und sorgte für
Wirbel bei den Salzburger Festspielen, als das Publikum Stefan Herheims
Inszenierung von Mozarts «Entführung aus dem Serail« ausbuhte und Kaufmann
alias Belmonte rief: «Es steht jedem frei, nach Hause zu gehen.«
«Rüpel-Tenor« nannte ihn damals ungerechterweise die Boulevardpresse, aber
selbst das schlug in der Öffentlichkeit kaum Wellen. Erst seit ihn seine
Plattenfirma zum Aushängeschild erkor, geht es im Aufmerksamkeitssog der
Medien steil bergauf. Schon die erste CD «Romantic Arias« gelangte in die
Charts, nun präsentiert sich Kaufmann auf seiner zweiten CD auch optisch als
Gipfelstürmer: Im schwarzen Gehrock posiert er in Caspar David Friedrichs
Gemälde «Wanderer über dem Nebelmeer«. «Sehnsucht« heißt die Scheibe, auf
der Claudio Abbado das Mahler Chamber Orchestra sensibel lenkt und auch
Kaufmanns Ehefrau – die Mezzosopranistin Margarete Joswig – als
«Parsifal«-Kundry mit von der Partie ist.
Die CD versammelt ausschließlich deutsches Repertoire und spielt mit
romantischen Klischees ebenso wie mit nationalen. Als Schwerpunkt hat
Kaufmann Wagner gewählt, was wunderbar zur bevorstehenden anspruchsvollen
Aufgabe in seiner Heimatstadt München passt: Ab Juli singt er dort an der
renommierten Bayerischen Staatsoper die Titelpartie in «Lohengrin«; die
Gralserzählung «In fernem Land« findet sich auch auf der CD: Man hört darauf
eine ausgewogen dunkel timbrierte Stimme, die andererseits die heiklen Höhen
dieses Monologs wie selbstverständlich erklimmt.
Dazu kommt ein angenehmer, niemals zu süßlich wirkender Schmelz, wenn er als
Siegmund «Winterstürme wichen dem Wonnemond« singt. Überragend ist Kaufmanns
Wortverständlichkeit; jemand, der die Partie des Amfortas («Parsifal«) so
klug zu strukturieren weiß, ist schwer zu finden.
Nächstes Jahr steht das Debüt in Bayreuth an
Kein Wunder, dass der Grüne Hügel, der seit Jahren mit dem Vorwurf, oft nur
mittelmäßigen Wagner-Gesang zu bieten, leben muss, dankbar nach Kaufmann
greift: 2010 singt er den «Lohengrin« bei den Bayreuther Festspielen. Für
diesen Gipfelsturm ist die Münchner Premiere der passende Härtetest; der
«Lohengrin«, den Kent Nagano dirigiert und Richard Jones inszeniert, wird
bei der Premiere am 5. Juli live auf dem Platz vor dem Nationaltheater
übertragen.
Fünf Tage später wird Kaufmann 40 Jahre alt, was schon zeigt, dass sich hier
keiner in einer Blitzkarriere quasi selbst überholt und dabei seine Stimme
ruiniert. Nein, der «Lohengrin« ist bereits seine dritte Wagnerpartie auf
der Bühne, zuvor hat er den Parsifal (Zürich, 2007) und den Stolzing in den
«Meistersingern« (Edinburgh Festival, 2006) gesungen.
Nicht nur deshalb ist er kein «neuer Rolando Villazón«: der Mexikaner, der
sich so sehr strapaziert hat, dass ihn nun hartnäckig Stimmprobleme quälen,
würde das heldische Gewicht jener Wagner-Partien nicht stemmen können.
Andererseits hat sich Kaufmann nach seinem Gesangsstudium bei James King,
Hans Hotter, Michael Rhodes und seinem Debüt 1994 am Saarbrücker
Staatstheater in langen Jahren ähnlich wie Villazón mit Verdi- und
Mozart-Partien einen Namen gemacht. Auch mit «Traumpartnerin« Anna Netrebko
stand Kaufmann schon auf der Bühne: Als Alfredo in «La Traviata« in London.
Und, die neue CD beweist es, das Schwärmerische des «Zauberflöten«-Taminos
hat er ebenso drauf, wie die Entschlossenheit des «Florestan« in Beethovens
«Fidelio«. Dass jemand solch unterschiedliche Partien scheinbar so mühelos
singen kann, legt einen ganz anderen Vergleich nahe: Kaufmann hat das Zeug
dazu, in die Fußstapfen des berühmten und früh verstorbenen Fritz Wunderlich
(1930–1966) zu treten, den er selbst als sein Vorbild bezeichnet.
Mit dem Erfolg wachsen die Aufgaben: Als Siegmund ist er im «Ring« der Met
im Jahr 2011 fest gebucht, und das vielleicht größte Lob kommt aus England:
Kaufmann sei «der bedeutendste Tenor aus Deutschland der vergangenen 50
Jahre«, schwärmt der Musikkritiker des «Guardian«.
Neue CD: Jonas Kaufmann, «Sehnsucht«, Decca.
Premiere «Lohengrin«: 5. Juli, 17 Uhr, Bayerische Staatsoper München. |
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