Donaukurier, 8.5.2008
Von Jesko Schulze-Reimpell
Das Musiktheater wird sexy
München (DK) Irgendwie nervt es ihn. Bei jedem Interview, bei jedem Opernauftritt, seit er schlagartig Anfang des Jahre berühmt wurde, geht es immer um das eine: sein Aussehen. Und immer muss Jonas Kaufmann (38) weit ausholen, sich erklären, sich quasi dafür entschuldigen, dass er nicht nur gut singt, sondern auch schön ist wie ein Filmstar. So sitzt er dann im Garten des Münchner Hotel Palace, in buntem Hemd und lockeren Jeans und kann gar nicht verhindern, dass Frauen ihm bewundernde Blicke zuwerfen. Mit einer Hand schiebt er die ungestüm lockigen Haare zurück, während darunter glutvoll dunkel große Augen blitzen. Dazwischen ragt die markant gebogene Nase über sinnlichen geschwungenen Lippen. Ein Tenor-Traum, ein singender Latin Lover aus Deutschland, ein Popidol der Klassik. Und endlich ein Sänger, der mehr zu bieten hat als nur innere Werte. Ein Sexsymbol, wie man es braucht für alle die italienischen Liebhaber von Alfredo bis Don Jose.
Peinliche Komplimente

Warum nur ist das in den bunten Blättern immer das wichtigste Thema, fragt er sich. Statt über sein markiges hohes C wird er nach Diäten und Gesichtscremes befragt, nach seinen langen Haaren und seinem kurzen Bart. Alles unwichtig: "Meine Berufsbezeichnung ist immer noch Opernsänger und nicht Model", erwidert er. "Mir persönlich sind diese Komplimente, die ich immerzu bekomme, peinlich. Ich habe das Gefühl, dass ich Meriten für etwas einstreiche, wofür ich gar nichts geleistet habe."

Aber Kaufmann ahnt, dass er mit seinem Aussehen gut in unsere Zeit passt. Noch nie kam es in Operninszenierungen so sehr auch auf die Optik an, noch nie wurden an großen Theatern die Sänger so sehr nach ihrer jugendlichen Ausstrahlung ausgewählt. Das Auge triumphiert über die Ohren, das Musiktheater gehorcht den Gesetzen der virtuellen Medienwelten. Im Konkurrenzkampf mit Kino und Videospiel, Computergrafik und Internet muss sich auch die alte Tante Oper behaupten.

Jonas Kaufmann liegt da goldrichtig. Und das ist vielleicht auch ein Geheimnis seines gewaltigen Erfolgs.

Der sich allerdings erstaunlich spät erst einstellte. Schon seit über 14 Jahren steht der Tenor auf Opernbühnen, aber richtig bekannt wurde er erst vor wenigen Monaten mit der Veröffentlichung seiner ersten Solo-CD "Romantic Arias" (Decca). Seitdem rauscht es im Blätterwald, strahlt der Sänger von den Titelseiten. Warum er jetzt plötzlich einen dieser hoch begehrten Plattenverträge bekam, warum alle Welt auf einmal ihn umwirbt – so richtig verstanden hat das Jonas Kaufmann, der derzeit im Züricher Opernensemble engagiert ist, nicht. "Ich bin überrollt worden", gesteht er. Aber grundlegend geändert hat er an seiner Stimmtechnik eigentlich nichts.

Außer: Vor einigen Jahren hat er sich entschieden, sein Repertoire auszuweiten. Allzu lange hat er sich als deutscher lyrischer Tenor verstanden. Mit einer Mozart-Rolle, dem Belmonte aus der "Entführung" war er so 2003 auch schon bei den Sommerkonzerten im Ingolstädter Festsaal gewesen. Inzwischen setzt er seine Stimme vielseitiger ein, singt nun auch große Verdi-Rollen, sogar Wagner-Partien. Als Lohengrin (in München 2009) und als Siegmund (im "Ring" in New York 2011) ist er schon fest gebucht. Und auch den Tristan, diese sportivste Herausforderung des Opernrepertoires, kann sich Jonas Kaufmann in Zukunft vorstellen. Der häufige Rollenwechsel hat seiner Stimme offenbar gut getan. "Wenn man immer in dieselbe Kerbe haut, wie soll sich die Stimme da umfassend entwickeln", erläutert er. "Wovon" Mit seinem Tenor ist er zurzeit überaus glücklich. Aber: Er muss aufpassen. "Das ist wie mit einem Spielzeug, das man so lange strapaziert, bis es kaputt ist. Ich versuche mich also erst einmal noch ein bisschen zurückzuhalten." Beispiele von Sängern, die durch häufigen Fachwechsel ihr Organ frühzeitig ruinierten gibt es zur Genüge – von Giuseppe di Stefano bis Maria Callas.

Den unverhofften Karriereschub genießt Kaufmann in vollen Zügen. Auch wenn seine Familie unter dem übervollen Terminkalender leidet. Aber das wird sich regeln in nächster Zeit, hofft er. Kaufmann ist mit der Sängerin Margarete Joswig verheiratet und hat drei Kinder. Die Familie ist ihm besonders wichtig. "Wenn ich heute eine Produktion nicht mache, redet in 20 Jahren kein Mensch mehr darüber. Wenn ich aber meine Kinder so vernachlässige, dass die in 20 Jahren nicht mehr mit mir sprechen, da habe ich dann einiges zu tun."

Auch mal Ubugug singen

Die Spielfreude ist Kaufmann anzumerken. "Es macht mir einen Höllenspaß auf der Bühne", erzählt er. Der gebürtige Münchner ist längst ein ausgebuffter Profi. Sicher, es kann immer mal passieren, dass man mit dem Text kämpft. "Da muss man eben improvisieren. Man kann leicht auch mal Ubugug singen, das merkt kein Mensch. Aber Gott sei Dank habe ich ein gutes Gedächtnis." Lampenfieber hatte er nur als Schüler. "Mit 15 oder 16 vor den Klassenkameraden sich zum Affen machen und irgendwelche klassischen Sachen von Telemann singen – da haben sich doch alle schlapp gelacht." Das waren noch echte Herausforderungen.

Mit klassischer Musik ist der Sohn einer Kindergärtnerin und eines Juristen aufgewachsen. Mit fünf ging er zum Chor und mit sechs nervte er seine Eltern so lange, bis sie ihm Klavierunterricht gewährten. Seitdem hat ihn der Zauber der Musik nicht mehr losgelassen, besonders beim Chorsingen: "Ich war berauscht." Auch wenn er das Risiko, das Hobby zum Beruf zu machen, zunächst nicht wagen wollte. So begann er erst einmal, Mathematik zu studieren.

In seiner Freizeit geht Kaufmann gern Bergsteigen und Schwimmen. "Vor allem aber handwerke ich leidenschaftlich gerne." Wenn er Freunde und Bekannte besucht, haben die meist schon eine Liste vorbereitet, was alles in ihrem Haus zu richten ist. Und in keine Stadt reist er ohne eine Grundausstattung an Werkzeugen. "Ich komme in irgendein Appartement, und schon nervt mich, dass die Tür klemmt oder dass der Herd irgendwelche Geräusche macht. Das Reparieren entspannt mich total."

Nach dem Erfolg seiner ersten Solo-CD plant Kaufmann jetzt weitere Aufnahmen. Gerne würde er eine Liedplatte produzieren. Der höchst differenzierte und spontane, leidenschaftliche Umgang gefällt ihm hier besonders, auch wenn es nicht leicht ist, mit diesem Repertoire ein großes Publikum zu erreichen. Und dann träumt er von großen Rollen, Otello in der gleichnamigen Verdi-Oper etwa. Oder einem Auftritt im verwunschenen Dschungel-Opernhaus in Manaus. Und viel später könnte er sich auch etwas ganz anderes vorstellen: "Vielleicht wechsele ich die Seiten und werde Dirigent. Oder schlimmer noch: Intendant."






 
 
  www.jkaufmann.info back top