Verdutzt und unverhohlen enttäuscht blickte das
Publikum auf den Direktor der Zürcher Oper, der soeben vor den Vorhang
getreten war und tapfer versuchte, mit breitem Lächeln die Situation zu
retten. In wenigen Minuten sollte Mozarts „Zauberflöte“ als luxuriös
besetzte Premiere über die Bühne gehen, und kein Operndirektor der Welt
macht sich in einem solchen Moment wichtig, wenn nicht eine mittlere
Katastrophe eingetreten ist: Der Tenor, so gab Alexander Pereira zerknirscht
bekannt, werde an diesem Abend nicht singen. Er sei an Bronchitis erkrankt.
Das Publikum des Opernhauses ächzte. Eine „Zauberflöte“ ohne Startenor? Das
ist ähnlich reizvoll wie ein Stones-Konzert ohne Mick Jagger. „Ich habe aber
auch eine gute Nachricht“, setzte Pereira wirkungsvoll fort. Ein Kollege
habe „wie ein Wahnsinniger“ geprobt, um den Abend zu retten. Die Mienen der
Zuschauer erhellten sich nur zögerlich. Pereira gab sich zuversichtlich:
„Sie werden ihn lieben!“
Die Prognose bewahrheitete sich: Jonas Kaufmann brachte Mozarts Arien an
jenem Februarabend 2007 fachgerecht zum Leuchten und kam sogar mit den
manierierten Tempi des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zurecht. Als Kaufmann
am Ende vor den Vorhang trat, zuckte er zusammen: Der Applaus entlud sich
wie eine Explosion.
Spätestens seit jenem Abend steht fest:
Der stimmkräftige Sänger gilt als neuer Liebling der Opernwelt. Kaufmann,
38, ist an der Mailänder Scala ebenso gefragt wie an der Pariser Oper, die
New Yorker Met hat ihn für Wagners „Ring“ gebucht, zuletzt gab er am
Londoner Covent Garden „La Traviata“ an der Seite von Anna Netrebko: Verdis
sentimentaler Blockbuster war binnen Stunden ausverkauft.
Jubel. Der Lockenkopf scheint im Moment nichts falsch machen zu können.
Selbst die Experten ergehen sich in wohltönenden Superlativen. Als
„Offenbarung“ erlebte ihn die Londoner „Times“, der „Guardian“ hält den
Münchner für den „wohl besten deutschen Tenor der vergangenen
Jahrhunderthälfte“, selbst die distinguierte französische Tageszeitung „Le
Monde“ schwärmte: „Welche Stimme! Welche Musikalität!“
Anders als Kollege Rolando Villazón, der die Zuckerstücke des Repertoires
erfolgreich karamellisiert, serviert Kaufmann seine Arien kalt: mit viriler
Stimme und ohne jeden Hauch von Rührseligkeit. Selbst die düsteren Abgründe
von Franz Schuberts „Winterreise“ durchwandert er naturburschenhaft: Mit
Ausbrüchen ins Forte bäumt sich Kaufmann immer wieder gegen die maßlose
Trostlosigkeit des Liederzyldus auf.
Schon stimmen Intendanten, Plattenbosse und Manager ein in den Dreiklang aus
Geld, Glamour und Gesang: Jonas Kaufmann soll als deutsche Antwort auf die
Vorherrschaft der lateinamerikanischen Tenöre aufgebaut werden. Denn zu
seiner kräftigen Stimme passt praktischerweise auch sein Äußeres: Während
Kaufmann von der „Times“ als „latin lover“ taxiert wird, findet ihn der
„Evening Standard“ einfach nur „unfassbar sexy“.
Der neue „Superman der Tenöre“ (Decca) behält trotz dieses Hypes kühlen
Kopf. „Was die Leute manchmal über mich schreiben, ist schon dreist“, meint
der Vater von drei Kindern, der nicht als singender Feschak in die Annalen
der Opernbranche eingehen will, im profil-Gespräch. „Ich bin kein Model und
kein Schauspieler, ich bin Sänger.“ Der Dreitagebart und das bubenhafte
Grinsen stehen ihm trotzdem gut.
Lässig. Jonas Kaufmann ist der gelassene Pragmatiker des überdrehten
Opernbetriebs. Er taucht vollkommen entspannt erst eine Viertelstunde vor
Aufführungsbeginn im Opernhaus auf. Wenn Anna Netrebko als „Traviata“
hüstelnd in seinen Armen verendet, denkt der Sänger, wie er nonchalant
gesteht, bloß: ‚Jetzt noch zwei Minuten, dann hamma‘s.“
Geboren 1969 in Miinchen, steckte sich Kaufmann bereits als Fünfjähriger mit
dem Opernvirus an: Gemeinsam mit seiner Schwester besuchte er eine
Vorstellung von „Madama Butterfly“. Tränenverschmiert rammte sich
Cho-Cho-San auf offener Bühne ein Messer in die Magengrube. Als sich der
Vorhang öffnete und die Diva lächelte, rief Kaufmann entsetzt: „Wie? Die
lebt?!“
Doch als hehren Dienst an der Kunst mag Kaufmann seinen Job bis heute nicht
definieren. „Für mich gibt es ein Leben außerhalb der Oper“, versichert er.
Die Klavierstunden seiner Jugend seien „eine Quälerei“ gewesen. Mit seinen
Eltern besuchte er zwar regelmäßig die Oper, mehr jedoch faszinierten den
Teenager Fußball und nüchternes Zahlenwerk: An der Uni schrieb sich Kaufmann
zunächst für Mathematik ein.
Der langsame Brüter hätte längst Karriere machen müssen: Mitte der neunziger
Jahre verrichtete Kaufmann an der Oper Saarbrücken zwei Jahre lang tenorale
Knochenarbeit, 2001 trat er ins Ensemble der Zürcher Oper ein, wo er auch in
Raritäten wie Humperdincks „Die Königskinder“ zu sehen war. Bei den
Salzburger Festspielen debütierte er 2002 in Mozarts „Entführung aus dem
Serail“, doch die Inszenierung geriet zum Skandal: „Bei uns haben die
Straßenkehrer mehr Gefühl für Mozart“, pöbelte ihn eine Passantin an. Aus
dem Durchbruch wurde wieder nichts.
Kaufmann schien zur ewigen „Nachwuchshoffnung“ (so die „Financial Times“
2003) verdammt. Das Label Harmonia Mundi versprach vollmundig, mit dem
Allrounder so viele Liederalben aufzunehmen, wie er wolle, machte allerdings
nie Werbung für seinen angeblichen neuen Star. Kaufmanns Einspielung von
Strauss-Liedern, die später einen Gramophone Award gewinnen sollte, wurde
noch nicht einmal international vertrieben.
Durchbruch. Erst 2006, nachdem Kaufmann an der New Yorker Met
debütiert hatte, horchte die Branche auf. „Ich wäre nie auf die Idee
gekommen, dass die europäische Kulturszene so stark darauf reagiert, was die
Met macht“, kommentiert er sarkastisch. Staatsopernchef Ioan Holender
beispielsweise habe ihn „voll verschlafen“: „Es gab viele, die mich ihm
empfohlen haben, aber ich war eben kein ganz billiges Frischfleisch aus
Osteuropa mehr“, las Kaufmann dem Impresario unlängst die Leviten. Man
einigte sich gütlich: Kommenden April wird er im Haus am Ring in „Manon“
pittoreske Liebesqualen leiden.
Kein Zweifel: 2008 wird im Operngeschäft das Kaufmann-Jahr. Soeben brachte
die Londoner Plattenfirma Decca ein erstes Arien-Potpourri weltweit auf den
Markt, an der Garderobentür des Sängers geben die Intendanten einander die
Klinke in die Hand, sogar Open-Air-Konzerte sind bereits in Planung:
Kaufmann steht bei der Deutschen Entertainment AG unter Vertrag, die zuletzt
mit den Goldkehlen von Netrebko und Villazón den großen Reibach machte.
Als Kaufmann im März 2006 am Zürcher Opernhaus für Placido Domingo die
Titelrolle in Wagners „Parsifal“ übernahm, gab die Opernleitung bekannt, die
Ticketpreise entsprechend auf die Stufe V herabzusetzen. Im Sonderangebot
ist Kaufmann inzwischen nicht mehr zu haben. Im O-Ton
Jonas
Kaufmann über:
Nervosität
„Lampenfieber kenne ich nicht. Ich gehe auf die Bühne, wie andere ins Büro
gehen. Ich mache meinen Job, danach ziehe ich diesen Mantel ‚Künstler‘
wieder aus und gehe nach Hause.“
seine Stimme
„Es ist nicht Absicht, dass meine Stimme rauchig und sexy ist. Aber ich bin
froh, dass ich so eine Stimme bekommen habe.“
sein Aussehen
„Das Äußere ist eine vergängliche Sache. Ich bin Sänger, kein Model.“
dicke Opernsänger
„Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber es gibt sicher Regisseure,
die sagen: Mit dem nicht. Man muss dann besonders gut sein.
die Wiener Staatsoper
„Wien ist nicht das Haus, das Sänger mit hohen Gagen ködert, sondern mit der
Reputation aufwartet. Aber Reputation hin oder her: Die Staatsoper kann
nicht jenes Haus sein, das am billigsten davonkommt.“
seinen Vertrag mit Decca
„Ein Plattenvertrag ist letztlich ein Marketingvertrag. Ich erwarte in
keiner Weise, damit Geld zu verdienen. Sänger erhalten einen Vorschuss auf
ihre Tantiemen, aber die sind ein Witz. Die Summe liegt weit unter einer
Abendgage an der Oper.“
Sängergagen
„Wenn ich sehe, was die Top Ten in Hollywood verdienen, sind die Gagen der
weltbesten Opernsänger sehr niedrig.“
einsame Hotelzimmer
„In Hotelzimmern kommt es zum Frust. Man fragt sich: Warum mache ich das
eigentlich alles? Ich könnte zu Hause bei meiner Familie sein. Stattdessen
schlage ich die Zeit mit irgendeinem Unsinn tot. Dieses Gefühl kennt jeder
Opernsänger.“ |