Stereoplay 2/2008
Meinen die wirklich Dich?
Spätestens seit seinem sensationellen Debüt an der Met ist er der neue deutsche Startenor: Jonas Kaufmann. Thomas Voigt traf den Sänger in Zürich und stellt sein erstes Opern-Album vor, das in wenigen Tagen veröffentlicht wird.
Ein deutscher Tenor, der an führenden Opernhäusern der Welt nicht nur das deutsche, sondern auch das italienische und französische Fach singt? Ein Sänger, der bei Bach und Mozart genauso zu Hause ist wie bei Verdi, Wagner und Massenet?

Diesen Ausnahmefall hätte es fast gegeben: Fritz Wunderlich hatte die besten Voraussetzungen dafür. Nach seinem frühen Tod konnte man nur noch fantasieren: Wie hätte er als Max und Walther von Stolzing, als Don Jose und Hoffmann, als Werther und Des Grieux geklungen? Wunschvorstellungen. Der Theateralltag sah anders aus; da bedeutete es schon viel, wenn ein deutscher Tenor als Tamino, Lohengrin oder Evangelist weltweit zur ersten Garde zählte.

Von dem oben beschriebenen Sonderfall konnte man all die Jahre nur träumen. Doch jetzt gibt es ihn. Er heißt Jonas Kaufmann, stammt aus München, gehört zum Ensemble des Opernhauses in Zürich und macht in London und New York Schlagzeilen — als Don Jose in „Carmen“ und als Alfredo in „La Traviata“.

Mit Verdi an die Met

Mit der Verdi-Partie gab er am 4. Februar 2006 sein Debüt an der Metropolitan Opera, neben Angela Gheorghiu in der Titelrolle. Dass deutsch(sprachig)e Sänger an der Met Verdi und Puccini singen durften, ist in der Geschichte des Hauses die ganz große Ausnahme: Die Happy Few seit 1950 lassen sich fast an einer Hand abzählen: Erna Berger, Hilde Güden, Josef Metternich, Leonie Rysanek, Christa Ludwig, Bernd Weikl... und wer war es sonst noch? Dass die Rysanek ihr Met-Debüt 1959 nicht mit Wagner oder Strauss, sondern mit Verdi gab, war ein absoluter Sonderfall. Entsprechend angespannt war Kaufmann, als er vor den Vorhang trat. Die Reaktion der Zuschauer haute ihn buchstäblich um: „Als sie aufsprangen und ‚Bravo‘ brüllten, wurde mir schwarz vor Augen; ich sank in die Knie und dachte nur noch: Meinen die wirklich dich?“

Seither steht der Name Jonas Kaufmann ganz hoch im Kurs. Doch eine Blitzkarriere war es nicht — glücklicherweise. Seine Vita liest sich eher wie eine Sänger-Biographie aus guten alten Zeiten: Zwei Anfängerjahre in Saarbrücken, dann kleinere Rollen an größeren Häusern, behutsam-vernünftige Erweiterung des Repertoires, Engagement in Zürich und von dort aus Start in die Weltkarriere.

Zürich ist seit sechs Jahren sein Zuhause. Sowohl künstlerisch als auch privat (Kaufmann ist verheiratet und hat drei Kinder). Im Ensemble der Oper kann er eine Repertoire-Vielfalt pflegen, die er als freischaffender Reise-Star irgendwann aufgeben müsste. Er liebt es, in Zürich nach einer Serie von „Don Carlos“ -Aufführungen wieder einen Tamino, nach einem Parsifal einen Alfredo oder Rodolfo zu singen. Nicht nur, weil es die Stimme geschmeidig hält, sondern weil sich die unterschiedlichen Stile, Sprachen und Klangfarben gegenseitig positiv beeinflussen. Der Versuchung, zu früh zu schwere Rollen zu singen, hat er bisher widerstanden.

„Immer fragt man mich, warum ich nicht den Otello singe. Aber das wäre jetzt einfach zu früh. Natürlich reizt mich die Rolle, und stimmlich würde ich sie mir auch zutrauen — nur nicht allzu oft. Und das ist genau der Punkt: Hat man einmal diesen Schritt getan, steckt man in der Schublade ‚Heldentenor‘. Und da kann es durchaus sein, dass man nicht mehr ernstgenommen wird, wenn man weiterhin Mozart singen will. Außerdem ist Otello eine Partie, die mich emotional derart mitreißen würde, dass ich Gefahr laufen könnte, zu viel zu geben.“

Auf Platten ist Kaufmann schon seit seinen Anfängerjahren dokumentiert, zunächst mit Raritäten von Loewe und Abert, dann mit Marschners „Vampyr“ (WDR 1999), Beethovens Neunter unter Norrington (SWR 2002) und Schoenbergs „Jakobsleiter“

„Bühnentier“ im Studio

unter Nagano (harmonia mundi 2003). Spätestens mit den Einspielungen von Webers „Oberon“ unter Gardiner (Philips 2005) und von Humperdincks „Königskinder“ (Accord 2005) wurde er zum neuen Hoffnungsträger unter den deutschen Tenören. Und dass er auch optisch und darstellerisch ein Gewinn für die Opernszene ist, zeigen sechs Produktionen der Oper Zürich, die auf DVD erschienen sind, darunter Paisiellos „Nina“ mit Cecilia Bartoli, Beethovens „Fidelio“ unter Harnoncourt sowie Mozarts „Titus“ und Schuberts „Fierrabras“ unter Welser-Möst. Seine erste Solo-CD, ein Recital mit Liedern von Richard Strauss, erhielt 2007 einen „Gramophone Award“ in der Kategorie „Solo Vocal“.

In wenigen Tagen veröffentlicht die Decca sein erstes Opern-Album.Titel: „Romantic Arias“. Was auf den ersten Blick wie eine typische Sammlung von Tenor-Hits aussieht, erweist sich beim Zuhören als außergewöhnliches Programm. Es zeigt Kaufmanns vokale Qualitäten, seine Vielseitigkeit und vor allem seine künstlerische Integrität: keine Highlight-Collection mit quasi „konzertantem“ Vortrag, sondern Rollenporträts. Zum Beispiel Don Jose: Kaufmann singt hier nicht die „berühmte Blumen-Arie“, sondern zeichnet in vier Minuten ein bewegendes Porträt des gedemütigten Liebhabers. Und man hört genau, was er meint, wenn er im Interview sagt: „Für Jose war ‚Liebe‘ bisher die Liebe zu seiner Mutter und zu Micaela, seiner Sandkasten-Beziehung. Carmen aber weckt in ihm ein Gefühl, das er bisher nicht kannte, das ihn beängstigt und das er nicht kontrollieren kann. Das wird ihm in dieser Szene klar, es ist ein Moment der Selbsterkenntnis, wie in einer Sitzung beim Therapeuten. Und deshalb kann das B am Schluss der Arie kein strahlender Ton sein. Ich wollte die Arien im Studio so singen, wie ich sie auch auf der Bühne singen würde —und nicht tolle Töne loslassen mit Blick auf die Schallplatten-Konkurrenz, nach dem Motto: Meiner ist größer und länger!“

Was immer wieder beeindruckt: Kaufmann hat das baritonale Fundament und die dunkle Farbe für dramatische Partien (exemplarisch zu hören in „E lucevan le stelle“ der „Invocation a la nature“ in Berlioz‘ „La Damnation de Faust“) und dazu die lyrische Emphase bei den tückischen Höhenflügen im Preislied des Walther von Stolzing. „Konzentrierte Entspannung“ ist für ihn der Schlüsselbegriff, die Stimme frei strömen lassen, sie nicht manipulieren.

Kaufmann gehört zu den Sängern, die von ihren Vorgängern lernen. Mit Liebe und Respekt

Vorbild Wunderlich

spricht er von Fritz Wunderlich, schwärmt von seinen Aufnahmen. „Ob Mahlers ‚Lied von der Erde‘ oder ‚Granada‘— was er auch sang, er hat es mit einem Gusto gesungen, als würde er gleich zerspringen vor Glück und Freude. Und selbst seichte Musik und schlechte Texte hat er so gebracht, als wären sie das Schönste von der Welt. Er war bei allem, was er sang, mit Herz und Seele dabei. Von ihm habe ich gelernt, was es heißt, immer ‚echt‘ zu sein.“

So unsinnig es wäre, Kaufmanns Aufnahmen mit denen von Wunderlich zu vergleichen (dazu sind sie in Klang, Phrasierung und Stimmführung viel zu verschieden), so wenig lässt sich leugnen, dass man bei bestimmten Stücken Wunderlich im Ohr hat. Und so war ich etwas befangen, als ich auf der „unofficial website“ (http://www. jkaufmann.info musikraum.htm) Kaufmanns Aufnahme vom „Lied von der Erde“ hörte.

Doch am Schluss des Trinklieds, nach der Phrase „Hört ihr, wie sein Heulen hinausgellt in den süßen Duft des Lebens! Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen, sprang ich vom Sessel: So mitreißend hatte ich diese höllisch schwere Phrase seit Wunderlich nicht gehört.






 
 
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