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SonntagsZeitung 20.1.2008 |
VON KAI LUEHRS-KAISER |
« Sexsymbol? Nebensache. »
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Jonas Kaufmann kommt als Weltklasse-Tenor
endlich gross raus — mit neuer CD und kurzen Haaren |
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Höchste Zeit für den grossen Auftritt. Im
Internet kursieren inzwischen private Fotos, die Jonas Kaufmann in jenen
Jahren zeigen, in denen er sich noch keinen Dreitagebart zugelegt hatte. Als
das Image vom «Rock-Star der Klassik» noch fern war und ihm ein flaumiger
Schein um die Nase lag. Schon damals hatten Fans den jungen Tenor fest im
Visier. Mit Macht schliesst Jonas Kaufmann jetzt endlich zum Feld der
grössten Weltklasse-Tenöre auf. Sein neuer Vertrag bei der Decca platziert
ihn direkt neben dem derzeit gefragtesten und besten Tenor der Welt: Juan
Diego Flórez.
In London singt er neben Netrebko — als Zürcher Export
«Ich bin ein Europäer unter vielen Südamerikanern», sagt Kaufmann über die
gesangliche Latino-Welle, die noch immer marktbeherrschend ist (siehe
Kasten). Dabei steht dem Münchner das Strahlen ins Gesicht geschrieben. Das
Vorurteil, deutschsprachige Sänger seien unterkühlt und kopflastig, will er
widerlegen. Dank glorioser Stimmentwicklung, schwarzer Locken,
Pepsodent-Lächeln und der Bühnenpräsenz eines Rampenstürmers gilt er heute
als «Latin Lover der Alpen».
Dazu kann Kaufmann nur milde lächeln: « Sexsymbol » klingt schmeichelhaft,
ist aber Nebensache. Ich gehe auf die Bühne und liefere mein Zeug ab — das
zählt.» Rauchen, trinken, Kneipenzüge durch die Nacht müsse er sich
versagen. Aber: «Bier, das muss ich als Bayer zugeben, rechne ich nicht zum
Alkohol.»
Seit 1999 hatte Jonas Kaufmann das Opernhaus Zürich als Basisstation seiner
Karriere benutzt. Hier konnte er nicht nur sämtliche Mozart-Rollen von
Tamino über Idomeneo bis zu Titus triumphal gestalten. Hier sang er auch
Faust und Florestan, dazu seinen ersten Rigoletto-Herzog, mit dem er sich
konsequent dem italienischen Fach zuwandte. Wenn er dieser Tage am Londoner
Covent Garden neben Anna Netrebko auf der Bühne steht —als Alfredo in «La
Traviata» — so gilt er dabei als eine Art Zürcher Export.
Auch seinen ersten Parsifal, also den Wechsel zu Wagner, hat Kaufmann im
Schutz des sänger-freundlichen Zürcher Hauses absolviert. Bald wird er in
München «Lohengrin» singen (und in Zürich Cavaradossi) — und wäre gewiss für
Bayreuth ein besserer «Meistersinger»-Tenor, als man dies seit Jahren dort
erlebte. Jonas Kaufmann ist heute der wohl vielseitigste Tenor weltweit —
neben Placido Domingo.
Sein erstes CD-Recital «Romantic Arias» lässt sein gesamtes Können Revue
passieren — von Bizet bis Verdi, von Puccinis Rodolfo («La Bohème») bis zu
Wagners Stolzing («Meistersinger»). Die Höhen schmelzen. Die Tiefe strahlt
jugendlich. «Im italienischen Fach», sagt Jonas Kaufmann, «hole ich mir die
Weichheit, die ich dann auch für deutsche Rollen brauche.» Herrliche
Pianissimi und grandiose Aufschwünge (etwa am Schluss der «Werther»-Arie)
zeigen, wie gut ihm das gelingt.
Für die Schweizer Fans des Tenors ist das neue Album ein Fest. Und
vielleicht auch Abschied, wenn die neue CD als Durchfahrt-Ticket zu noch
grösseren Häusern dienen sollte. Allerdings: Während die Spitzentöne in
Kaufmanns metallfester Stimme stolz erblühen, wirkt seine Mittellage
zuweilen gestopft — was ein Tribut der stimmlich anstrengenden Wagner-Rollen
sein könnte.
Italienische Rocker-Mentalität ist sein Markenzeichen
«Wagner-Partien werden besser bezahlt», lacht Jonas Kaufmann. Die Konkurrenz
sei klein, das Auftrittsangebot gross. «Nur liebe ich diesen Beruf viel zu
sehr, als dass ich schnell so viel Geld heranscheffeln wollte, dass ich mich
zur Ruhe setzen könnte —und vielleicht auch muss, weil die Stimme nicht mehr
mitmacht.»
Die langen Haare hat sich Jonas Kaufmann übrigens gerade abgeschnitten. Seit
man ihm einst in Mailand eine Perücke verpassen wollte, hielt er bisher an
seiner Mähne fest. Doch auch ohne sie hat er sich die italienische
Rocker-Mentalität bewahrt. «Ich nehme das Singen von der sportlichen Seite»,
meint er gelassen. Vielleicht seien die Haare auch bald wieder lang. «Dann
bin ich auch wieder ein Rock-Star.» Die Zürcher, und nicht nur sie, wird das
bestimmt freuen.
ALLEIN UNTER LATINO-TENÖREN
Seit langem ist Kaufmann der erste grosse Neuzugang im Lager der
Weltklasse-Tenöre. Nur der Peruaner Juan Diego FLórez und der Mexikaner
Rolando ViLLazón verfügen noch über grosse CD-Verträge. Daneben dominieren
José Cura, Marcelo Álvarez (Argentinien) und Ramon Vargas (Mexiko) das Feld.
Durch seinen skandalösen Scala-Abgang (wegen Buhs) hat Roberto Alagna
Chancen vertan. Leicht abgeschlagen: Joseph Calleja (aus Malta] und
Salvatore Licitra (Italiener aus Bern). Unvermindert glänzt PLacido Domingo.
Und bei Wagner brillieren Peter Seiffert und Ben Heppner. Kaum mehr eine
Rolle dagegen spielt der einstige Liebling José Carreras. |
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